Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4 - Группа авторов

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Wo sind aus Ihrer Sicht die Auswirkungen des Strukturwandels, den Sie ja selber als „Strukturbruch“ bezeichnet haben, für die Menschen besonders deutlich geworden?

      Die Veränderungen im Strukturwandel, die werden, so glaube ich, häufig unterschätzt. Strukturwandel kann man nicht bewältigen, ohne die Menschen mitzunehmen. Und das war schon ein ganz großes Handicap. Das hat sich ja heute ein wenig gemildert durch den Stolz der Oberhausener auf die Neue Mitte auf der einen Seite und andererseits verschärft durch die Tatsache, dass in manchen Branchen Niedriglöhne gezahlt werden. Wir hatten doch in der Montanindustrie als Arbeitnehmer nicht nur Weltmeister, sondern wir hatten doch auch einfache Arbeitsplätze, die sich zum Teil nicht unterschieden von denen, die heute im Handel sind. Diese Einfacharbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, die sind aber heute für jeden sichtbar. Wer diese Einfacharbeitsplätze in der Großindustrie hatte, der musste ja nicht sagen, ich feg den Platz oder ich feg die Späne, sondern der arbeitete bei Thyssen, bei Babcock oder auf der Zeche. Der war also in dieser großen gesellschaftlichen Gruppe aufgenommen. Und gerade die Menschen in der Montanindustrie haben ja ihr Selbstwertgefühl, auch wenn sie kein Weltmeister waren, kein intellektueller Weltmeister, bezogen aus der Tatsache, dass sie diese schwere körperliche Arbeit konnten. Und die haben eigentlich auf alles herab geblickt, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken, ob berechtigt oder unberechtigt, auf die, die im Dienstleistungsberuf tätig waren. Ein Kellner, das war doch für einen Bergmann ein Tablettschwenker. Ein Friseur, der war doch nur Friseur geworden, weil er meine schwere Arbeit nicht konnte. Und diese Menschen mussten ihren Kindern jetzt sagen: Hört mal, das können wir nicht mehr, denn die alten Arbeitsplätze gibt es nicht mehr.

      Auch die Struktur in den einzelnen Siedlungen, wo alle den gleichen Lohntag hatten, einen relativ gleichen Verdienst, hat sich geändert. Auch in den Siedlungen ist ein bisschen sozialer Zusammenhalt verloren gegangen. Denn heute hat der eine einen guten Job, der andere hat einen schlechteren und der Dritte hat gar keinen. Und das führt zwangsläufig dazu, dass vieles von diesem sozialen Zusammenhang zumindest Risse kriegte. Und ganz schwierig ist das geworden auch für die Arbeit der Parteien und der Gewerkschaften. Es gibt die Großbetriebe nicht mehr, in denen man neben guten Kontakten zum Vorstand auch gute Kontakte zu den Betriebsräten hatte, in denen Organisationsgrade in der Gewerkschaft herrschten zwischen 90 und 95 Prozent. Und das macht die Arbeit, sowohl die politische als auch die gewerkschaftliche heute sehr viel schwerer. Man kommt an die Menschen in einzelnen Bereichen einfach nicht ran. Und dazu kommt noch, dass nach meiner Einschätzung sowohl Gewerkschaften als auch Parteien überhaupt noch nicht begreifen, was in einigen IT-Berufen z. B. passiert. Die haben doch gar keine Vorstellung davon, dass die Leute zu Hause arbeiten, die sind nicht in der Firma und trotzdem arbeiten sie. Und welche Interessen haben diese Menschen? Wie geht man darauf ein?

       Kommunen und Kommunalpolitik stehen heute vor der Herausforderung, die Zukunftsfähigkeit von Städten anders zu denken. Dabei hat das gesamte Thema Bildung in den letzten Jahren einen deutlich gewachsenen Stellenwert bekommen. Stellt sich aus Ihrer Sicht die Integration in das Beschäftigungssystem heute anders dar als beispielsweise vor 30 bis 40 Jahren?

      Der Strukturwandel hat viele Menschen doch auf ein Lohn- oder Einkommensniveau gedrückt, das unter dem der damaligen Montanindustrie liegt. Und entsprechend schlechte Bildungschancen vieler Kinder waren die Folge, einfach weil sie von zu Hause nicht gefördert werden, weil das alles nicht geht. Und jetzt klagt die Industrie über Facharbeitermangel. Das kann ich nur schlecht verstehen. Wenn ich daran zurück denke: Womit hat denn nach dem Krieg eigentlich der Aufschwung begonnen? Der Bergbau hatte ein eigenes Schulwesen, eigene Berufsschulen, eigene Fortbildungsschulen, Babcock hatte eine Werksberufsschule, die GHH auch. Da sind doch nicht die hingekommen, die solche Anforderungen erfüllt haben, wie sie heute gestellt werden. Sondern das hat die Industrie doch betriebsspezifisch übernommen und ausgebildet. Den Weg, den geht heute offensichtlich niemand mehr. Aber ich glaube, das wäre ein Weg, um Facharbeiter zu gewinnen. Das wäre auch ein Weg, um über Bildung im Sekundärbereich, über den zweiten Bildungsweg, einiges zu tun. Wir müssen sicher im Primärbereich, in den Schulen anfangen. Aber das ist damit nicht zu Ende. Die betriebliche Fortbildung kann nicht erst bei dem anfangen, der schon Facharbeiter ist. Sondern wir müssen diese Facharbeiter „erst machen“. Diese Aufgabe hat die Industrie damals wahrgenommen.

       (Fortsetzung siehe Seite 117)

       „Das Knappenviertel ist ein Ort des sozialen Strukturwandels“

      Interview mit Klaus Wehling (Teil 1)

       Der wirtschaftliche Strukturwandel hat einen sozialen und kulturellen Wandel ausgelöst. Das Erscheinungsbild der Stadt und die Arbeitssituation der hier tätigen Menschen wurden im Laufe mehrerer Jahrzehnte stark verändert. Dies führte zwangsläufig auch zu einschneidenden Veränderungen des Wohnumfeldes und der nachbarschaftlichen Kontakte.

       Als für die gesamte Stadt bedeutsames Beispiel haben in den letzten 50 Jahren derartige Prozesse im Knappenviertel stattgefunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden große Teile der alten Werksräume abgerissen, um durch eine neue Bebauung den damals dringend nötigen Wohnraum zu schaffen. Wie haben Sie, als Kind des Knappenviertels, diese bauliche Veränderung persönlich erlebt?

      Hautnah, weil ich selber in einem Hüttenhaus gewohnt habe, das 1958 abgerissen worden ist und der damals neuen Bebauung weichen musste. Und auch sehr wohltuend, weil wir dann in der neuen Wohnung auf der Falkensteinstraße zum ersten Mal ein Badezimmer hatten und nicht mehr in den Stall aufs Klo mussten.

       Für die von der Großindustrie geprägte Bevölkerung erfüllte das Knappenviertel in früheren Jahren alle wichtigen Versorgungsfunktionen. Seit den 1980er Jahren setzte ein Abstieg ein. Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe gaben auf, in den Wohnungsbestand wurde kaum noch investiert. Die Schließung des Thyssen Stahlwerks in den 1980er Jahren bedeutete Arbeitslosigkeit für viele Bewohner. Wie reagierten die Menschen im Knappenviertel auf diese neue Lebenssituation?

      Was die Nahversorgung anbelangt, ist positiv, dass sich aus meiner Sicht im Knappenviertel die Situation in einem positiven Sinn nicht verändert hat. Denn nach wie vor ist das Knappenviertel ein intaktes Nebenzentrum mit entsprechender Versorgung, was den Einzelhandel anbelangt, aber auch die ärztliche Versorgung. Grundsätzlich kann man sagen, dass wir es bei dem Knappenviertel mit einem intakten Stadtviertel zu tun haben.

      Ich würde gerne noch ergänzen, dass die in den 1960er Jahren gebauten Häuser inzwischen den Anforderungen nicht mehr genügen im Hinblick auf eine immer älter werdende Bevölkerung. Die Wohnungen sind nicht behindertengerecht wegen der in den 1960er Jahren gewählten Bauweise, weil man damals ja das Kellergeschoss nach oben gezogen, praktisch als Souterrain gebaut hat und damit das Erdgeschoss nicht ebenerdig war. Daraus ergeben sich Probleme nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern jetzt auch für Menschen, die auf Rollatoren angewiesen sind. Ich hoffe auf intelligente Lösungen für dieses Problem, weil diese Bauweise in Oberhausen sehr weit verbreitet ist, nicht nur im Knappenviertel.

       Als Mitte der 1980er Jahre die Krise der Stahlindustrie auch die Bevölkerung des Knappenviertels so richtig erreichte, sind ja eben auch Veränderungsprozesse in Gang gesetzt worden. Kann man sagen, dass der Besatz mit Geschäften und mit Versorgungseinrichtungen im weitesten Sinne, was die Privatwirtschaft betrifft, sich in den letzten 20 Jahren durchaus wieder zum Besseren entwickelt hat?

      Ja, auf jeden Fall. Wenn man sich z. B. die Angebote ansieht, die in unmittelbarer Nähe gegeben sind mit Aldi, Edeka, Penny und jetzt aktuell Netto, dann hat sich im Grunde die Einkaufssituation verbessert, allerdings sind die Wege länger geworden. Woran man längere Wege auch festmachen kann, ist das Kneipensterben.

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