Yan Chi Gong. Frank Rudolph

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Yan Chi Gong - Frank Rudolph

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wir entgegen der Natur handeln und die natürlichen Fähigkeiten verlieren. Wir Menschen können viele Dinge von ganz allein – atmen, leben, kämpfen –, ohne dass man sie uns beibringen muss. Aber durch unsere Sozialisierung verlieren wir unsere Instinkte und unsere Natürlichkeit, weshalb es so schwierig ist, genau dann zu essen, wenn man hungrig ist und zu schlafen, wenn man müde ist. Gedanken sind immer eine Störung des Natürlichen. Meditation bedeutet, die Gedanken zu beseitigen und zur ursprünglichen Leere zurückzukehren, aus der einst alles entstanden ist, der Mensch wie letztendlich auch das gesamte Universum.

      Es ist wichtig, die Übungen des Yàn Chí Gōng so langsam wie möglich auszuführen, bis hin zur Bewegungslosigkeit. Dadurch erreicht man körperlich und geistig den besten Trainingseffekt. Der Kopf bleibt vollkommen frei, ohne Gedanken. Nähme man Zeit und Raum nicht mehr wahr, so wäre dies vermutlich der Zustand der vollkommenen Freiheit, nach dem so viele Menschen verzweifelt suchen. Diese Art des Meditationszustandes kann man durch langsame Bewegungen erreichen. Zeit ist so kostbar wie flüchtig. Wir können sie nicht beeinflussen, nur die Wahrnehmung von ihr können wir verändern. Zeit ist auch ein Gefühl. Albert Einstein beschrieb diese Tatsache mit den folgenden Worten: »Eine Stunde mit einer schönen Frau nimmt man anders wahr, als eine Stunde mit einer alten Matrone.« Obwohl die Zeitstunde von der Länge her bei beiden Frauen dieselbe ist, so sind die Wahrnehmung davon und das Gefühl dafür verschieden.

      Wir Menschen leiden oft unter Zeitdruck, und unser ganzes Leben »leidet« gewissermaßen an zeitlicher Begrenztheit. Wenn es uns gelingt, die empfundene Zeit für uns zu verlangsamen, bis wir sie gar nicht mehr wahrnehmen, erreichen wir ein freieres Leben. Das liegt in erster Linie an uns selbst, nicht so sehr an unserem Umfeld. Und es kann durch geeignete Bewegungen erreicht werden. Deswegen spricht man auch von Meditation durch Bewegung. Bei der Übung des Yàn Chí Gōng sowie bei allen anderen Gōng-Übungen geht es darum, dem Menschen ein anderes Bewusstsein zu vermitteln, es geht um körperliche und geistige Gesundheit und Freiheit. Ein geistig gesunder und innerlich freier Mensch wird sich keine Sorgen mehr darum machen, was andere von ihm denken. Er wird erkennen, dass ein Slogan wie »Zeit ist Geld« einzig und allein zu gesundheitsschädlicher Hektik antreibt. Man will die Zeit nicht verschwenden, weil auf diese Weise Geld verschwendet wird. Daraus ergibt sich, dass man alles schnell schaffen will, um die Arbeit so schnell wie möglich fertig zu bekommen und somit mehr Geld zu verdienen. Aber abgesehen davon, dass auf diese Weise oft die Qualität der Arbeit leidet und man letztendlich draufzahlen muss, verliert das Leben durch die Eile seinen wahren Geschmack und seinen Sinn. Es ist wie im Straßenverkehr. Wenn jeder versucht, mit seinem Auto so schnell wie möglich zu fahren, entstehen immer mehr Unfälle und es entstehen immer häufiger Staus. In vielen Ländern hat man bereits erkannt, dass man die Geschwindigkeit begrenzen muss, um mehr Sicherheit und einen besseren Verkehrsfluss zu erlangen.

      Viele Menschen wollen alles auch deshalb schnell erledigen, um mehr Freizeit zu bekommen, benötigen dann jedoch ihre Freizeit vor allem dazu, sich von den Folge der Hektik notdürftig zu erholen. Es gibt Fast-Food, das schnelle Essen, welches auf Dauer unseren Organismus nachhaltig schädigt, wohingegen liebevoll zubereitetes Essen, das gemächlich verzehrt wird, unserem Körper gut tut. Wir wollen in jungen Jahren soviel wie möglich schaffen, um dann im Alter endlich Zeit für die »wichtigen Dinge im Leben« zu haben. Doch das funktioniert so nicht. Wer in der Jugend nicht lernt, auf »richtige« Weise zu leben, dem bringt das Alter nur Krankheit und Verdruss, und es ist dann nichts weiter als ein Warten auf den Tod.

      So lange wir leben, so lange können wir uns verbessern. Die alten xiákè Chinas betonten, dass man zu allen Zeiten ein Krieger ist. Das bedeutet, egal ob man jung oder alt ist, ob man 25 oder 85 Jahre zählt, dass man keinen Wert auf Zahlen wie das Alter oder den Kontostand legt und dass man sich nicht nach den gesellschaftlichen Regeln definiert. Man behält immer einen freien ungebunden Geist und arbeitet ständig an seinen körperlichen Fähigkeiten. Dazu bedarf es lediglich der richtigen Einstellung und geeigneter Trainingsmethoden. Ein Hauptziel des Gōng-Trainings ist die Zeitvergessenheit im Geist und im Herzen. Zeitvergessenheit ist die höchste Form des Glücks und ein Weg zum Erreichen der Ewigkeit.

      Kosmologische Vorstellungen hatten in der chinesischen Kultur, besonders im Daoismus und im Neokonfuzianismus, einen hohen Stellenwert. Die chinesische Lehre von der Gesundheit und der Kampfkunst befasste sich stets auch mit Dingen wie der Alchemie und der Astrologie beziehungsweise der Astronomie. Die chinesischen Tierkreiszeichen sind heute auch in der westlichen Welt in Mode gekommen. Wir möchten an dieser Stelle versuchen, dem Leser ein Verständnis von der chinesischen Ur-Lehre zu vermitteln. Dadurch soll auch ein besseres Verständnis des Begriffs erreicht werden.

      Die Chinesen nahmen zu allen Zeiten das Universum, die Natur auf der Erde, die Tiere und Pflanzen als Vorbild und leiteten ihr eigenes Handeln und Sein daraus ab. Diese Denkweise ist tief verwurzelt in den Lehren des Daoismus und auch in denen des Buddhismus. Meist ist es so, dass die Konzepte, die Prinzipien und die Philosophie der Übungen aus dem Daoismus stammen, aber durch den Buddhismus verbreitet wurden. So ist es auch der Fall beim Yàn Chí Gōng. Der Daoismus vermarktet sich nicht und verbreitet seine Lehre nicht im großen Umfang, sondern gibt sie nur im innersten Kreis weiter.14 Erst durch den früher häufig stattfindenden Austausch zwischen Daoismus und Buddhismus kam es zu größerer Verbreitung, denn im Buddhismus ist es durchaus üblich, Lehren und Übungen vorbehaltloser weiterzugeben.

      Unser Körper und seine im Innern ablaufenden Prozesse bergen immer noch Geheimnisse und unbeantwortete Fragen. Die allerkleinsten Dinge geben uns ähnlich viele Rätsel auf wie das Universum. In der chinesischen Kampfkunstlehre sieht man die allerkleinsten Dinge und die allergrößten Dinge als dasselbe an, als das Nichts, welches jedoch als unterschiedslos zur Unendlichkeit betrachtet wird. Die Unendlichkeit entsteht aus dem Nichts und führt ins Nichts zurück.

      Das Universum, von dem unsere Milchstraße und erst recht unsere Erde nur einen winzigen Teil darstellen, ist gemäß dem heutigen Stand der Wissenschaft vor rund 14 Milliarden Jahren durch den Urknall entstanden, sozusagen aus dem Nichts. Mit dem Urknall entstanden auch Raum und Zeit. Seitdem dehnt sich das Universum aus. Es wächst und besteht aus großen Galaxien-Haufen, mit über 100 Milliarden Galaxien, in denen sich unzählbar viele Sterne und Planeten befinden. Zudem ist heute die Annahme verbreitet, dass es im Universum die sogenannte Dunkle Materie gibt, die nur durch ihre gravitative Wirkung erkannt werden kann, sowie die noch rätselhaftere Dunkle Energie, die eine antigravitative Wirkung zu haben scheint und dafür sorgt, dass das Universum sich immer schneller ausdehnt. Alles in allem sind diese Dinge bis heute den Wissenschaftlern sehr rätselhaft.

      Wozu diese Exkursion ins All? – In der alten asiatischen Trainingslehre betrachtete man den menschlichen Körper als ein eigenes Universum. Der japanische Kampfkunstmeister Ueshiba Morihei (植芝 盛平, 1883 - 1969)15, dessen Kampfkunst und Philosophie sehr starke esoterische Einflüsse besaß, sagte einst: »Ich bin das Universum.« Er meinte damit, dass das Universum in uns selbst steckt, und damit hatte er nicht unrecht. Man könnte das Universum als einen (menschlichen) Organismus betrachten; dabei entsprächen die Galaxien mit ihren Sternen und Planeten den inneren Organen. Ebenfalls befinden sich viele Gase, aus denen sich in ferner Zukunft neue Galaxien bilden werden, und Substanzen, die von sterbenden, explodierten Sternen stammen, im All. Dies entspricht den Nähr- und Abfallstoffen im lebenden Organismus. Und wie lebende Organismen ist alles im Universum dem Zyklus aus Geburt, Leben und Tod unterworfen. Planeten entstehen, existieren beziehungsweise leben eine Weile und gehen dann wieder unter. Dasselbe trifft auf Sterne zu, auf Sonnensysteme und auf Galaxien. Die Dunkle Materie, die alles im Universum durchdringt und es durch seine Gravitation zusammenhält, ist wie das Bindegewebe (die Faszien) im menschlichen Körper, welches die inneren Organe und die Muskeln verbindet und den Menschen sozusagen zusammenhält. Die Dunkle Energie ist das

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