Lust und Liebe dann kam das Leben. Peter Nimsch

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Lust und Liebe dann kam das Leben - Peter Nimsch

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Dieses fast schon erotische Knarren kannte er noch aus einer längst vergangenen Zeit.

      Als erstes fiel mir ein goldener Sicherheitsschlüssel in den Schoß. ›Sollte ich eine neue Chance bekommen? Aber mit über 37 Jahren hat man schon viele Glauben verloren.‹ Nachdem ich mich an die Zeitintervalle der Hausbeleuchtung gewöhnt hatte und auch nicht viel mehr in meinem Umfeld auf dem Weg zum Lichtschalter zu Bruch gehen konnte, versuchte ich die vermutlich letzten Zeilen von Anja zu lesen. Langsam las ich die wenigen Wörter, natürlich in ihrer ausgefeilten Handschrift zu Papier gebracht, die mir von ihr verblieben waren.

       Mein Lieber Paul, ich habe dich immer gewarnt, aber auch immer wieder gehofft!

       Es reicht!!!!

       P.S.: Da ich in einem meiner vorherigen Leben Sozialarbeiterin war, hier ein Schlüssel für eine Wohnung. Diese ist bewohnbar und preiswert. Ideal für einen Musiker, der seit über 20 Jahren mit seiner Karriere verstecken spielt.

      Statt einer Unterschrift war ein roter Abdruck mit Anjas dunkelrotem Lieblingslippenstift zu sehen, der mich an irgendetwas erinnerte … Fast sah er aus wie ein langer schmaler Schmetterling. Daneben stand in großen Druckbuchstaben:

       Ich habe auch Rechte und meine Flügel werden schlapp, wenn ich nicht regelmäßig gegossen werde!

       Ich bin im Gegensatz zu deiner virtuellen Welt lebendig und will es auch immer bleiben!!!

      Mir gingen die Augen auf und blieben starr auf den roten Fleck gerichtet, vom Mund ganz zu schweigen, Maulsperre im Endstadium. Langsam bewegte sich meine Nase Richtung roter Fleck … Ja, so duftete Anja an ihrer schärfsten, immer blank gepflegten Stelle. Wenigstens ihr Geruch war mir geblieben.

      ›Aber jetzt nichts wie weg hier, habe genug gehört und erlebt für heute!‹, dachte ich mir. Zum Demontieren und für Statik-Prüfungen in unserer ehemaligen gemeinsamen Wohnung wurde ich nicht mehr benötigt, wie ich aus dem aufs Neue aufkommenden Klappern und Kratzen und den scheppernden, rhythmischen Lauten, spitzen Schreien und urzeitlichem Gestöhn entnehmen konnte.

      Ich suchte wie immer krampfhaft in meinen Taschen nach dem Handy. Der Ladebalken zeigte, dass ich noch eine Chance für einen Anruf bei meinem alten Kumpel Fred hatte. Fred, mein engster Freund seit meiner frühesten Jugend und stolzer Besitzer eines Großraumtaxis, was ich jetzt dringend benötigte. ›Aber wohin soll es mich und meine Beziehungskistenreste fahren?‹ Erst jetzt fiel mir der gelbe Klebezettel an meinem mit fünflagigem Toilettenpapier mit Weihnachtsduft umwickelten Unterschenkel auf.

      ›Für die Wohnung meiner Freundin Maria auf der Karli. Sie braucht diese nicht mehr …‹, konnte ich entziffern. Fast unleserlich stand darunter noch eine Zahl. ›Ist hoffentlich die Hausnummer …‹, flehte ich innerlich. Der Zettel gehörte bestimmt zu dem goldenen Schlüssel, dem Abschiedsgeschenk von Anja. Nach dem Wählen von Freds Nummer ertönte nach nur zweimaligem Tuten seine aufgeräumte Stimme.

      »Na, mein Lieber, hast dich ja ewig nicht gemeldet, wollen wir nicht mal wieder zusammen richtig einen drauf machen? … so wie früher?«

      »Gerne«, kam es etwas verstört von mir, »aber erst einmal brauche ich dein super Taxi.«

      »Habt wohl mal wieder zu viel Ramsch bei IKEA gebunkert?«, kam es lachend zurück.

      »Ne«, murmelte ich, »ich brauch einen Transport mit meinen Beziehungsresten in eine neue Wohnung, und zwar bitte sofort.«

      »Verstehe Bahnhof?!? Neue Wohnung?«

      Eigentlich hatte ich keine Lust zu einer peinlichen Beichte, ich hatte aber keine andere Chance.

      »Bin rausgeflogen bei Anja«, kam es stockend aus meinem Mund.

      »Du wirst nie erwachsen« und ein herzhaftes Lachen dröhnte in mein Ohr. Und mit einer mir den letzten Rest gebenden Betonung ging es weiter, »so eine heiße Braut wie Anja gibt es nur wenige auf der Welt, aber Du kriegst auch das hin, bei ihr rauszufliegen …, … vielleicht habe ich jetzt endlich die Chance meines Lebens bei ihr, wollte sie schon immer gerne mal vernaschen, aber unter Kumpels ist man ja fair …, hahahahaaaa!«

      »Kotzbrocken!!!«, schrie ich zurück.

      »Komm, krieg dich ein, in fünf Minuten bin ich bei dir.«

      Erleichtert, aber leicht angesäuert, steckte ich mein Handy in die Tasche, welches mit einem leisen Piep seine letzte Batteriespannung aushauchte.

      Aus den fünf Minuten wurde zwar fast eine Stunde, aber ich hatte ja zum Glück keine Langeweile. Ich nutzte die Zeit, um mir inzwischen einen Überblick über die spärlichen Reste einer zweijährigen Beziehung zu verschaffen. Immer, wenn ich in regelmäßigen Abständen bei der Bestandsaufnahme verzweifeln wollte, gaben mir die im ungefähr zehnminütigen Abstand wechselnden rhythmischen Geräusche aus meiner ehemaligen Wohnung ein neues Rätsel auf, welcher geliebte Wohnungsgegenstand gerade laut DIN-Zerstörungsnorm getestet wurde.

      Ganz hinten, auf dem Treppenabsatz in einer dunkleren Ecke, fand ich zum Schluss der Inventur erfreut meinen Zwei-Meter-Riesenspiegel – ein Erbstück von meiner Großmutter. Ich dankte innerlich vielmals, dass er noch heil war. Aber Anja war ja zum Glück etwas abergläubisch und wollte bestimmt nicht nur Blümchensex in den nächsten sieben Jahren.

      Als sich über die Unversehrtheit meines Lieblingsspiegels gerade Erleichterung in mir ausbreiten wollte, sah ich auf der Spiegeloberfläche Anjas Kreativität. Mein Kopf gemalt, natürlich mit dem kaminroten Lippenstift, dessen Farbe und Geschmack ich immer so an ihr geliebt hatte. Über meinem vortrefflich getroffenen doofen Gesichtsausdruck stand in Anja-Schönschrift:

       So sieht ein Scheiß-Kerl aus!

      Bevor ich erneut in Selbstmitleid flüchten konnte, hörte ich schwere Schritte auf den alten Treppenstufen, zweieinhalb Zentner Lebendgewicht sind einfach nicht zu überhören.

      »Neues Spiel, neues Glück mein Lieber«, kam es kurzatmig aus seinem Mund. »Zum Glück hat Anja ja schon mal ausgemistet, wie ich sehe. Das schaffen wir locker mit einer Fahrt und hinterher gehen wir auf die Piste!«, kam lachend hinterher.

      »Ha, haa, haaaa …«, dieses typische Fred-Lachen, was ich an normalen Tagen so liebte, aber heute war ja der vorverlegte Weltuntergang, wie ich in den letzten Stunden schon mehrfach feststellen durfte.

      Innerhalb einer halben Stunde hatten wir meine verbliebenen Habseligkeiten in Freds Taxi verstaut und starteten Richtung Karli.

      »Wir sind da!« lachte Fred, »Hast ja mächtig Glück gehabt, coole Gegend, coole Kneipen und schräge Clubs! Haste eigentlich nicht verdient, … ha … haa, … haaa! … und vor allem in der Nähe meines Lieblingspubs!«

      Ein kleiner Lichtblick am Ende des Tunnels wurde vor mir für Sekundenbruchteile sichtbar und Klein-Paul zuckte kurz gut gelaunt, als er Freds Hinweise hinsichtlich meiner neuen Wohngegend vernahm.

      Nach knapp einer weiteren halben Stunde durch das mittlerweile nächtliche Leipzig standen wir nun vor meiner neuen Bleibe. Bewundernd ließ ich meinen Blick über die tollen Häuserfronten wandern, und soweit meine Augen blicken konnten: Kneipen, Cafés, Klubs und, und, und … ›Wirklich Glück gehabt.‹ Schwer rang ich mir ein kleines Dankeschön an Anja ab.

      »Hör auf zu träumen!«, rief Fred, »Lass uns endlich deinen Krempel reinbringen, umso eher können wir losziehen.«

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