Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn

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damit gerechnet hätten, noch auf Deutsche zu treffen, wären kurz vor Pouilly plötzlich mindestens zehn feindliche und bis an die Zähne bewaffnete Soldaten in hellen Uniformen auf sie zugerannt, die sich an einem Waldrand versteckt gehalten hätten. Da sie selbst unbewaffnet gewesen wären, hätten sie gegen die Übermacht schwer bewaffneter Soldaten keine Chance gesehen und ihr Heil in der Flucht gesucht. Wie ich es ihnen geraten habe, hätten sie sich in dieser argen Bedrängnis schweren Herzens von der Kiste trennen müssen und sie in ein Gebüsch geworfen. Als sie merkten, dass sie nicht mehr verfolgt wurden, hätten sie sich eine Weile im Unterholz versteckt. Als die Luft rein gewesen sei, wären sie nochmals zu der Stelle zurückgekehrt, wo sie sich ihrer Last entledigt hätten, aber die Kiste sei fort gewesen.

      Sie hätten dann schnell ihren Weg fortgesetzt. Ein Bauer, der auf dem Weg zum Markt nach Pompey gewesen sei, habe sie auf seinem Fuhrwerk mitgenommen. Ab Pompey wären sie mit dem Zug über Vitry-le-François und Châlons nach Paris gefahren und hätten sich schnurstracks nach hier begeben.“

      „Halten Sie es für möglich, dass Ihre Männer die Kiste für sich behalten und sie irgendwo versteckt haben könnten“, fragte Grau vorsichtig.

      „Das habe ich mich auch gefragt und sie auch darauf angesprochen“, antwortete Fréchencourt.

      „Und wie war ihre Reaktion?“, fragte Muller.

      „Sie waren entsetzt über meinen Verdacht und haben geschworen, nie auch nur im Entferntesten einen Gedanken daran verschwendet zu haben, die Kiste für sich zu behalten. Ich glaube ihnen das, sonst wären sie sicherlich nicht hierher gekommen. Ich meine, wir sollten es dabei bewenden lassen.“

      „Non, Richard, Sie müssen verstehen, dass wir uns mit der Aussage nicht zufrieden geben können, wir werden sie morgen früh abholen lassen und in unserem Ministerium nochmals getrennt befragen. Ich versichere Ihnen, fair und ohne Druck auf sie auszuüben. Wir müssen ganz sicher sein, dass sich die Pläne in deutscher Hand befinden.“ Grau ließ keinen Zweifel aufkommen, dass Widerspruch zwecklos war.

      „Gut Pierre, dann erlauben Sie mir bitte meinen Leuten zu sagen, dass sie morgen im Kriegsministerium ihre Aussage wiederholen müssen“, bat Fréchencourt.

      „Das geht leider auch nicht Richard, denn wir möchten nicht, dass sie sich vorher absprechen.“

      „Sie haben Recht Pierre. Was halten Sie denn davon, die Befragung ganz entspannt hier im Haus durchzuführen? Ich würde gerne dabei sein, damit bei meinen Männern nicht der falsche Eindruck eines Verhörs entsteht. Das bin ich ihnen schuldig, denn ich habe sie in diese Situation gebracht und sie haben ja schließlich auch einiges für mich riskiert. Ich selbst werde mich selbstverständlich im Hintergrund halten und nur eingreifen, wenn Ihr es wünscht.“ Grau blickte Muller an und als dieser kurz nickte, stimmte er Fréchencourts Vorschlag zu. Letzterer ergriff nun wieder das Wort:

      „Ich habe die Zeit vor dem Diner damit verbracht, hier im Haus nach Kopien der Pläne zu suchen, obwohl ich weiß, dass mein Vater erst dann Kopien angefertigt hat, wenn er sicher war, nichts mehr ändern zu müssen. Ich wollte nichts unversucht lassen, aber ich habe wie erwartet nichts gefunden. Was ich allerdings entdeckt habe, sind Pläne für eine schwere Geschützlafette, auf die vermutlich die neue Kanone montiert werden sollte. Leider bringt uns das nicht einen Schritt weiter.“

      „Hm, das fürchte ich auch“, Graus Stimme klang ein wenig deprimiert.

      „Und wir können nichts tun“, ergänzte Muller.

      „Das Schlimmste was passieren kann ist doch, dass die Deutschen die Kanone bauen. So lange dies nicht der Fall ist, bleibt doch der Status quo erhalten, oder?“, fragte Gisele Fréchencourt.

      „Ja, das ist richtig, Madame Fréchencourt“, stimmte Muller zu.

      „Wir wissen nicht, was die Deutschen mit der Kiste gemacht haben und ob sie die Pläne überhaupt gefunden haben, beziehungsweise jemals finden werden. Ich glaube, dass alle Mutmaßungen darüber, was geschehen sein könnte oder noch geschehen wird, reine Spekulationen sind. Man kann eigentlich nur abwarten und hoffen, dass es gut geht“, fuhr Giselle Fréchencourt fort.

      „Sie haben vollkommen Recht, Madame Fréchencourt! Wir können in der Tat nur abwarten und unsere Agenten in Berlin und bei den deutschen Rüstungsfirmen, insbesondere bei Krupp, anweisen, ihr Hauptaugenmerk auf den Bau neuer Geschütze zu legen. Was sonst noch zu tun ist, werden wir morgen im Kriegsministerium beraten“, sagte Grau und schaute auf seine Taschenuhr. „Es ist spät geworden. Jean und ich müssen jetzt leider aufbrechen, denn wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns. Wann sollen wir morgen früh hier sein, Richard?“

      „So um neun?“, schlug Fréchencourt vor.

      „Das ist eine gute Zeit“, bestätigte Grau. Die Gäste bedankten sich für das vorzügliche Essen und verabschiedeten sich von ihren Gastgebern. Dann bestiegen sie die im Hof bereitstehende Kutsche.

      „Bis morgen früh um neun“, rief Fréchencourt, wohl wissend, dass es keine neuen Erkenntnisse geben würde.

       Metz, 26. und 27. August 1870

      Das regennasse Pflaster glänzte im trüben Licht der wenigen noch brennenden Gaslaternen. Zwei Männer schlichen sich lautlos an den Häuserwänden entlang und huschten jedes Mal in eine Haustüre oder Toreinfahrt, wenn eine Kutsche oder ein Fuhrwerk zu hören war. Erst wenn sich das Pferdegetrappel wieder entfernt hatte, setzten sie ihren Weg fort. Die Männer hatten ihre Mützen tief in die Stirn gezogen, so dass man ihre Gesichter nicht erkennen konnte, dunkle weite Umhänge verwischten die Konturen ihrer Gestalten. Unter einer Laterne vor einem Abbruchhaus blieben sie stehen und betrachteten eine handgezeichnete Wegeskizze.

      „Hier isses, letzte Hofeinfahrt vor No.12, Couteau!“ Der Mann, der Messer genannt wurde, antwortete krächzend:

      „Oui, hier rein, dann noch zwei Mauern rüber.“

      Bei einer Messerstecherei vor ungefähr sechs Jahren wurden Couteau durch einen Schnitt in den Hals beide Stimmbänder beschädigt. Weil ihm jedes Wort schwer fiel, hatte er sich angewöhnt, nur die notwendigsten Worte zu sprechen – wenn man bei seinem Geröchel überhaupt von sprechen reden konnte.

      „Wir haun besser ab, die Sache gefällt mir nich, un nur wegen was zu mampfen.“ Cheval hatte Schweißperlen auf der Stirn.

      „Wassis los mit dir, du has doch sonst kein Schiss. Geht einfach. Mit Schlüssel rein ins leere Haus, Sore nehmen und weg“, zerstreute Couteau die Bedenken seines Partners.

      „Un wenn doch jemand drin is?“ Cheval ließ nicht locker.

      „Kehle durch!“ Couteau unterstrich seine Aussage mit einer entsprechenden Handbewegung. Der Widerstand Chevals war gebrochen. Die beiden blickten sich noch einmal um. Die Rue des Jardins war menschenleer.

      „Los komm“, drängte jetzt Cheval.

      Als sie in der Toreinfahrt verschwanden, schlug die Uhr der nahen Kathedrale halb zwei. Die erste Mauer zum linken Nachbarhaus konnten sie leicht überwinden. Lautlos stiegen sie mit Hilfe von halb vermoderten Holzkisten auf die Mauerkrone. Dann ließen sie sich geräuschlos auf das Nachbargrundstück gleiten. Ein prüfender Blick sagte ihnen, dass sie bis hierhin unentdeckt geblieben waren.

      „Müssen Rückzug vorbereiten“, flüsterte Cheval und rollte leise eine Regentonne an

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