Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn

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Wolken herbeigesehnt“, unterbrach Fréchencourt Mullers Schilderung. Muller grinste und erzählte weiter:

      „Nach einer Stunde Fahrt konnten wir endgültig aufatmen, denn wir mussten nun schon weit hinter den deutschen Linien sein. Vom Feind drohte uns daher keine Gefahr mehr, aber wo befanden wir uns? Ich beschloss zunächst in unveränderter Höhe weiterzufahren, wenn möglich bis es dämmerte oder die Wolken aufrissen. Da ich eine Änderung der Windrichtung nicht feststellen konnte und der Ballon nach wie vor prall war, konnte ich die Höhe, von ein paar kleineren Korrekturen abgesehen, ohne Probleme halten.

      Nach ungefähr einer weiteren Dreiviertelstunde wurde die Wolkendecke zunächst dünner, dann plötzlich fuhren wir unter einem sternenklaren Himmel über mondbeschienenes Land. Wir konnten nun unter uns Dörfer, einzelne Bauernhöfe, Felder, Wälder und Gewässer erkennen, doch noch wussten wir nicht, wo wir waren. Es war absurd. Alles war so friedlich, doch nur wenige Kilometer hinter uns war Kriegsgebiet.

      Die Windgeschwindigkeit nahm nun mehr und mehr ab, und nach kurzer Zeit waren wir nur noch halb so schnell unterwegs, aber das störte uns nicht. Wir genossen nun unsere Fahrt. Ich ging auf zweitausend Fuß, ungefähr sechshundert Höhenmeter, herunter. Nach einiger Zeit meldete Richard, er könne voraus eine Stadt erkennen. Und tatsächlich, im Zwielicht der beginnenden Morgendämmerung war schwach eine große Häuseransammlung zu sehen, aus der sich eine Kirche mit zwei Türmen erhob. Ich schaute auf die Karte, konnte aber noch nicht sehr viel erkennen, da es noch nicht hell genug war. Als wir näher kamen, meinte Richard, der Kirche nach könne das nur Vitry-le-François sein. Hier sei er schon einmal gewesen. Er könne sich deshalb gut an die Kathedrale Notre-Dame erinnern, weil der Chor noch nicht fertig gestellt sei, und der Fluss da vorne müsse demnach die Marne sein.

      Richards Vermutung stellte sich als richtig heraus, denn seine Beschreibung passte auf die nun unter uns liegende Stadt. Ein Blick auf die Karte – inzwischen war es hell genug – genügte um zu erkennen, dass wir nur knapp von der eingezeichneten Route abgewichen waren. Wir fuhren nicht nördlich an der Stadt vorbei, sondern etwas südlicher mitten darüber hinweg.

      Obwohl es im Ballonkorb recht eng war und wir uns fast schon die Beine in den Bauch gestanden hatten, wollten wir Paris so nah wie möglich kommen. Mit Pferd und Wagen über Straßen zu rumpeln schien uns viel unbequemer und anstrengender als noch einige Zeit im Korb ausharren zu müssen.

      Dann wurden wir entdeckt, und man winkte uns zu. Viele Menschen dort unten hatten offenbar vorher noch nie einen Ballon gesehen. Einige versuchten vergeblich, uns auf Pferden zu folgen, aber wir waren immer noch relativ schnell und mussten uns nicht an Wege und Straßen halten. Jedenfalls erschien die Zeit im Ballon nun sehr kurzweilig. So gegen acht Uhr bemerkte ich, dass der Wind seine Richtung leicht geändert hatte, und wir ein wenig nach Süden abdrifteten. Weil wir weder nach Orleans noch sonst wohin wollten, sondern nach Paris, beschloss ich nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau zu halten. Ich wollte, wenn möglich, in der Nähe eines Bauernhofes landen. Wir waren inzwischen auf eintausend Fuß heruntergegangen, da entdeckte ich hinter einer Bodenwelle einen Gutshof, umgeben von abgeernteten Feldern. Auf einem dieser Felder beschloss ich zu landen.

      Unverhofft erfasste uns starker Seitenwind und drückte den Ballon nach unten. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wir waren ja noch hoch genug, doch plötzlich entdeckte Philippe direkt oberhalb des Korbs einen ungefähr zehn Zentimeter langen Riss in der Ballonhülle. Da hatten uns offenbar die Deutschen doch erwischt. Möglicherweise ein Streifschuss, der den Stoff angekratzt hatte. Aus der beschädigten Stelle entstand wahrscheinlich zunächst ein kleiner Riss, der sich von uns zunächst unbemerkt nach und nach vergrößert hatte.

      Seit dem Start begann ich erstmals nervös zu werden, denn wir verloren nun sehr schnell an Höhe. Ich wusste, dass wir es bis zu dem angestrebten Landeplatz nicht mehr schaffen würden. Wir fuhren direkt auf eine Gruppe Obstbäume zu, die wir ohne Leck in der Hülle spielend überquert hätten. So aber sah es nach einer Notlandung aus. Ich musste den Ballon vor den Bäumen nach unten bringen. Ich ließ nun so viel Gas ab, dass unsere Sinkkurve steiler wurde und der Boden sehr schnell näher kam. Meine Begleiter forderte ich auf, sich gut festzuhalten, da der Korb bei der Landung sehr hart aufsetzen und umkippen könnte und ermahnte sie, den Korb nicht eher zu verlassen, bevor ich es ihnen sagen würde.

      Ich muss erwähnen, dass es leider schon vorgekommen ist, dass ein Ballon bei vorzeitigem Aussteigen von Passagieren, nun entsprechend leichter, kurz wieder aufgestiegen ist, oft mit bösen Folgen für die im Korb verbliebenen.

      Bei unserem Landeanflug waren wir entdeckt worden, denn uns kamen im gestreckten Galopp zwei mit Gewehren bewaffnete Reiter entgegen, die, als wir noch ungefähr zweihundert Meter entfernt waren, absprangen und ihre Gewehre auf uns richteten.

      Wir machten nun kaum mehr Fahrt und befanden uns nur noch zwanzig Fuß über dem Boden. Als wir uns auf Rufweite den Reitern genähert hatten, schrie Pierre ihnen entgegen, dass wir Franzosen wären und aus dem eingeschlossenen Metz kämen. Daraufhin senkten die beiden Männer ihre Waffen. Dann setzte der Korb hart auf, stieg wieder ein Stück in die Höhe und schlug dann erneut auf den Boden, schlitterte noch ein paar Meter übers Gras und kippte dann um. Der Ballon sackte nun schnell in sich zusammen und als das Gas fast vollständig aus der Hülle entwichen war, krabbelten wir aus dem Korb, leicht lädiert, aber glücklich. Wir waren froh, dass wir nicht zu Schaden gekommen waren und wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten.

      Wir hatten seit dem Start um zwei Uhr morgens in sechs Stunden fast zweihundert Kilometer zurückgelegt. Das war eine beachtliche Strecke.

      Die beiden Reiter kamen vorsichtig und noch immer mit dem Gewehr im Anschlag auf uns zu. Pierre hielt ihnen seinen Armeeausweis entgegen. Das schien sie endlich zu überzeugen, denn sie sicherten und schulterten ihre Waffen. Ihre bis dahin drohenden Minen hatten sich erhellt, und sie stellten sich uns als Vater und Sohn Alexandre und Baptiste de Luc vor. Die beiden de Lucs entschuldigten sich für ihr Misstrauen, aber in diesen Kriegstagen sei nun einmal Vorsicht geboten, meinten sie.“ Muller unterbrach seine Schilderung, um an seinem Rotweinglas zu nippen, dann fuhr er mit seiner Erzählung fort:

      „Während wir die Ballonhülle zusammenfalteten, erfuhren wir von Alexandre de Luc, dass wir nur vier Kilometer von Nogent-sur-Seine entfernt gelandet waren. Das Städtchen liegt an der Eisenbahnstrecke Troyes-Paris und hat eine Bahnstation.

      Monsieur de Luc lud uns ein, auf seinem Gut zu übernachten. Am kommenden Morgen, also heute, würde er uns zum Bahnhof fahren, dann wären wir so gegen Mittag in Paris. Wir nahmen sein Angebot gerne an, denn so langsam kroch die Müdigkeit in uns hoch. Ich bat den Gutsherren, den Ballon und die Postsäcke sicher zu lagern. In Paris angekommen, würden wir sofort veranlassen, dass Ballon und Post abgeholt würden. Nachdem alles sicher untergebracht war, nutzten wir die Gelegenheit, uns bis zu Abendessen auszuruhen.

      Während des Essens im Kreise der Familie de Luc, mussten wir über die Lage in und um Metz und über unsere Ballonfahrt berichten, wobei wir selbstverständlich nicht auf die wahren Hintergründe unserer Reise eingegangen sind.

      Der Rest ist schnell erzählt. Ausgeruht bestiegen wir heute Morgen so gegen neun Uhr in Nogent-sur-Seine den Zug und erreichten um die Mittagszeit Paris. Am Gare d'Austerlitz trennten sich unsere Wege. Pierre und ich begaben uns sofort ins Ministerium, um dem Kriegsminister Bericht zu erstatten. Wir wollten aber zunächst Richards Nachricht abwarten, ob die Pläne in Paris angekommen waren oder nicht. Als die Depesche von Richard eintraf, hatte der Kriegsminister bereits das Ministerium verlassen. Ich denke mit Grauen an den morgigen Tag, denn wenn er erfährt, dass die Pläne verloren sind, wird er eine Krisenkonferenz nach der anderen einberufen.

      Übrigens, Richard, haben Sie mit Ihren Männern gesprochen, wenn ja, was war geschehen?“

      „Selbstverständlich habe ich sie rufen und mir berichten lassen“, antwortete Fréchencourt.

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