Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn
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Читать онлайн книгу Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn страница 19
„Nach`em Plan muss Seite links hinten ne Tür drin sein“, raunte Cheval. Sie schlichen die Mauer entlang. Was sie im schwachen Licht erkennen konnten, war nicht sehr ermutigend. Die verrostete Eisentüre war längere Zeit nicht mehr geöffnet worden.
„Müssen ersmal das Gerümpel wegtun, damit ich ans Schloss rankomme.“ Sie machten sich an die Arbeit. Hier konnte sie von den Häusern aus niemand sehen, denn mehrere Holunderbüsche nahmen jede Sicht.
„Drück jez fest gegen die Tür.“ Cheval steckte einen Dietrich ins Schloss, und nach kurzer Zeit ließ sich die Tür wider Erwarten so weit aufstoßen, dass sie sich so gerade durch den Spalt quetschen konnten. Da die Aktion nicht ganz lautlos vonstatten gegangen war, verharrten die Männer einige Zeit regungslos in einem Gebüsch, dann betraten sie den Hinterhof von Haus No 12. Couteau hatte nun eines seiner drei Wurfmesser in der Hand, die er immer in einem Unterarmholster* mit sich führte. Er beherrschte eine besondere Wurftechnik, bei der das Messer im Flug nicht rotierte, sondern sich wie ein Pfeil fortbewegte. Diese Kunstfertigkeit hatte er in Paris von einem Russen gelernt. Die so geworfenen Messer trafen selbst auf eine Distanz von zwölf bis fünfzehn Metern noch präzise ihr Ziel. Niemand hatte bisher die Begegnung mit Couteaus Messern überlebt.
Couteau war einer der meist gesuchten Verbrecher Frankreichs. Mindestens sechzehn Morde, darunter an drei Polizisten, gingen auf sein Konto. Nachdem ihm in Paris der Boden zu heiß geworden war, hatte er sich vor drei Jahren nach Metz verzogen. Von nun an arbeitete er meistens mit dem „Pferd“ zusammen, wie man in der Unterwelt den geschicktesten Einbrecher von Metz wegen seiner länglichen Gesichtsform nannte. Auf beide waren hohe Belohnungen ausgesetzt, tot oder lebendig. Couteau deutete auf eine schwere Holztüre.
„Los!“ Cheval drängte nun zur Eile. Seit dem Betreten der Toreinfahrt war bereits eine halbe Stunde vergangen. Laut dem Plan führte von der Hoftüre aus ein etwa fünf Meter langer Flur geradewegs zur Eingangshalle. Von der Halle aus mussten sie die Freitreppe zur ersten Etage hochsteigen. Dort im Zimmer hinter der mittleren Tür sollte sich nach Informationen ihrer Auftraggeber das zu entwendende Bild befinden, auf dem eine Frau mit zwei kleinen Kindern dargestellt waren. Die beiden Einbrecher konnten nicht ahnen, dass sich das Bild nicht mehr in dem Haus befand, und wenn sie gewusst hätten, was sie anstatt der erhofften Beute erwarten würde, wären sie auf der Stelle umgekehrt.
So aber standen sie arglos vor der Hoftüre. Cheval zog zwei Schlüssel aus seiner Hosentasche, einen steckte er ins Schloss in der Türmitte, den zweiten in ein Schlüsselloch etwas oberhalb. Cheval drehte zunächst vorsichtig den oberen Schlüssel herum. Kaum hörbar schob sich ein Riegel zur Seite.
„Einmal“, flüsterte Cheval, dann öffnete er das zweite Schloss.
„Und zweimal.“ Die Tür ließ sich ohne Probleme öffnen. Couteau grunzte zufrieden. Lautlos huschten die beiden ins Haus. Cheval steckte die Schlüssel wieder in die Tasche und zündete einen Kienspan an. In seinem flackernden Licht sahen sie, wie im Plan eingezeichnet, einen langen Gang, an dessen Ende sie die Tür zur Eingangshalle erkennen konnten. Sie schlichen los.
Als die Uhr der Kathedrale halb zwei schlug, saßen Claude Robin und Roger Mourai in der Küche des Hauses No 12. Die beiden erwarteten einen Trupp Franctireurs, die sich für den Angriff im Morgengrauen auf einen deutschen Vorposten mit neuer Munition versorgen wollten.
Nachdem Robin und Mourai vor vier Tagen von Fréchencourt den Auftrag erhalten hatten, sein Haus zu bewachen und die Franctireurs zu unterstützen, hatten sie sich schnell mit ihrer neuen Aufgabe vertraut gemacht. Bei den Freischärlern waren sie alsbald akzeptiert, und die Bewachung stellte sie bisher vor keine Probleme.
Das Haus hatte nur den einen Zugang von der Rue des Jardins. Dass die ehemalige Toreinfahrt mit einem Eisengitter versperrt war, hatte ihnen Philippe bei der Hausbegehung damit erklärt, dass die Angst vor Einbrechern den Vorbesitzer veranlasst hatten, die Einfahrt zu verschließen. Gut so, denn so mussten sie nur auf die Eingangstür Acht geben.
Es gab noch einen geheimen Fluchtweg, den Fréchencourt und seine Männer angelegt hatten, als das Haus zum Stützpunkt der Franctireurs wurde. Dieser Weg führte von der Hintertüre über den Hof. An der rückwärtigen Hofmauer befand sich ein gut getarntes Schlupfloch, durch das man auf das Gelände einer Tischlerei gelangte. Von dort war es kein Problem, auf die Parallelstraße Rue des Piques zu gelangen. Diesen Fluchtweg kannten nur wenige Eingeweihte und war als Zugang absolut tabu. Wer also durch die Hintertüre kam, konnte nur ein ungebetener Gast sein.
Wie an den Tagen zuvor, hatten Robin und Mourai auch heute abwechselnd ihre Rundgänge gemacht und dabei nichts Auffälliges festgestellt. Sie hatten bei Beginn der Dämmerung, wie an den Vortagen, an allen Fenstern die schweren Vorhänge zugezogen, damit kein Licht nach draußen dringen konnte. Niemand sollte wissen, dass das Haus bewohnt war.
Robin hatte bis ein Uhr geschlafen und wollte jetzt die Wache von Mourai übernehmen. Letzterer hatte allerdings beschlossen, zusammen mit seinem Kameraden auf die Freischärler zu warten und sich erst dann hinzulegen. Vor ihnen auf dem Küchentisch lagen zwei geladene Lefaucheux-Revolver aus dem Waffenarsenal Fréchencourts. Die beiden hatten sich für die handlichen sechsschüssigen Revolver entschieden, die offenbar aus Marinebeständen stammten. Bei der Armee wurden sie ihres Wissens nach nicht verwendet, jedenfalls hatten sie vorher noch nie welche gesehen.
Die ehemaligen Berufssoldaten hatten sich auf dem Schießstand im Keller den Umgang mit den Revolvern schnell selbst beigebracht. Mourai saß auf einem Stuhl wippend am Küchentisch, Robin im Halbdunkel auf einer gepolsterten Bank und döste vor sich hin, als die kleine Glocke anschlug, die durch eine Schnur mit dem Riegel der Hoftüre verbunden war.
„Da ist jemand unangemeldet ins Haus gekommen.“ Robin und Mourai sprangen auf, ergriffen ihre Revolver und spannten die Hähne. Was sich in der Folge abspielte, gehörte zum Einmaleins des Häuserkampfes. Robin entriegelte die Türe zur Eingangshalle. Mourai hatte den Docht der Petroleumlampe so weit herausgedreht, dass diese die größt mögliche Helligkeit verbreitete und sie dann auf den Boden gestellt. Als die beiden vernahmen, dass die Tür zur Halle geöffnet wurde, zählte Robin flüsternd bis drei, dann riss er die Tür auf und versetzte der Lampe mit dem Fuß einen Stoß, so dass sie über den Steinfußboden ein Stück weit in die Halle schlitterte. In ihrem Licht sahen sie die Eindringlinge. Mourai schoss zweimal, als er das Messer aufblitzen sah. Während er feuerte, ließ er sich auf den Boden fallen, so dass das Messer über ihn hinweg schwirrte und federnd in der Holzvertäfelung stecken blieb. Mit einem ungläubigen Blick in Richtung des Schützen sackte Couteau zunächst auf die Knie und fiel dann langsam vornüber aufs Gesicht. Ein Geschoss hatte ihn mitten ins Herz getroffen, während das zweite seine rechte Lunge durchbohrte. Auch Robin schoss sofort und traf Cheval, der sich schon mit einer halben Körperdrehung zur Flucht gewandt hatte, in die Schläfe. Cheval drehte sich um seine Körperachse und schlug dann hart auf den Boden. Der brennende Kienspan entglitt seiner Hand und verlöschte nach wenigen Sekunden auf den Steinfliesen. Mourai und Robin warteten einen Augenblick, bis sich der Pulverdampf ein wenig verzogen hatte und sie sicher sein konnten, dass vom Gegner keine Gefahr mehr ausging.
„Bist du in Ordnung, Claude?“ fragte Mourai, erhob sich und klopfte sich den imaginären Staub von der Kleidung.
„Oui, und du, Roger?“
„Ich auch. Das war verdammt knapp.“ Mourai atmete tief durch und zeigte auf das Messer, das in Brusthöhe fast bis zum Schaft im Holz steckte.
„Das waren Profis! Was wollten die hier und wie sind sie reingekommen?“, fragte Robin nachdenklich.
„Schauen wir mal.“ Mourai kniete sich neben den