Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn

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genauer hinsah, hatten seine Besucher einige Auffälligkeiten zu bieten. Fréchencourt entgingen weder die breiten Schultern noch die kräftigen Hände der beiden. Dem Sitz ihrer Kleidung nach waren sie bewaffnet. Ihr Alter schätzte er auf Anfang bis Mitte vierzig. Das waren auch schon die Gemeinsamkeiten. Da sie inzwischen ihre Kopfbedeckungen abgesetzt hatten, traten die Unterschiede deutlich zu Tage.

      Der kleinere Mann hatte bereits eine Glatze, die von einem Haarkranz umrahmt wurde. Als wolle er das Fehlen seiner Kopfhaare ausgleichen, verdeckte unterhalb seiner knubbeligen Nase ein sorgfältig gezwirbelter Schnurrbart die Oberlippe. Aus seinem rundlichen Gesicht blickten ihn ein Paar kluge Augen forschend an.

      Dichtes grau meliertes glattes, nach hinten gekämmtes Haar bedeckte hingegen den kantigen Schädel seines Begleiters. Die bereits vollständig ergrauten Augbrauen trafen sich fast über der ein wenig zu lang geratenen Nase. Ein Backenbart überwucherte die leicht hervorstehenden Wangenknochen und reichte ihm fast bis zu den Mundwinkeln. Er wirkte auf den Hausherrn leicht grimmig, aber nicht unsympathisch.

      Nach seiner Einschätzung hatte er von ihnen nichts zu befürchten. Sichtbar entspannt ging Fréchencourt auf die beiden Besucher zu und verbeugte sich leicht:

      „Bonjour Messieurs, willkommen in meinem Haus.“ Mit einem leicht spöttischen Unterton fügte er hinzu: „Es müssen wichtige Gründe vorliegen, dass Sie mich in diesen unruhigen Zeiten aufsuchen und dazu noch in Militärbegleitung.“ Der kleinere Besucher übernahm nun das Wort:

      „Ja, in der Tat“, sagte er ernst. „Aber dürfen wir uns Ihnen zunächst einmal vorstellen, Messieurs? Mein Name ist Grau, Pierre Grau, und das ist mein Kollege Jean Muller. Wir sind Angehörige des Kriegsministeriums.“ Er überreichte dem Hausherrn eine Legitimation des Kriegsministers.

      „Bevor wir Sie über den Grund unseres Besuchs in Kenntnis setzen, gibt es einen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können?“

      „Ja selbstverständlich, folgen Sie mir bitte in die Bibliothek, Messieurs“, antwortete der Hausherr.

      „Philippe, bringen Sie uns bitte Tee, Baguette und Käse und versorgen Sie auch beiden Messieurs vom Gardecorps.“

      Als sich die beiden Soldaten unsicher ansahen, nickte ihnen Grau kurz zu.

      „Die Vorsichtsmaßnahmen sind nicht notwendig“, sagte er und bedeutete ihnen, ihre Posten neben der Eingangstür zu verlassen. Fréchencourt zeigte auf eine Sitzgruppe, die aus drei gepolsterten Stühlen und einem kleinen runden Eichentisch bestand.

      „Wenn Sie möchten, können Sie sich gerne dort hinsetzen“, sagte er. Dankbar folgten die Gardisten der Aufforderung des Hausherrn. Sie setzten ihre Tschakos* ab und lehnten ihre bajonettbewehrten Chassepot-Gewehre* vorsichtig an die holzgetäfelte Wand. Dann ließen sie sich auf die Stühle fallen.

      Die beiden Soldaten gehörten zur Besatzung von Fort Plappeville im Westen der Stadt. Seit der Mobilmachung am 15. Juli war es mit dem bis dahin doch recht geruhsamen Soldatenleben zu Ende.

      Die Besatzung der Festung stand seitdem in andauernder Kampfbereitschaft, mit all ihren unangenehmen Begleiterscheinungen, wie Ausgangssperre, häufigen Alarmen und Appelle zu allen Tages- und Nachtzeiten und den alle vier Stunden stattfindenden Wachwechseln.

      Seit dem Rückzug der Rheinarmee nach Metz, durften sie sich noch nicht einmal mehr außerhalb des Forts bewegen. Obwohl sie mit einem festen Dach über dem Kopf in diesen Kriegstagen zu den previligierten Armeeangehörigen gehörten, empfanden sie ihre Situation trotzdem alles andere als angenehm. Um für ein paar Stunden dem kräftezehrenden Dienstrhythmus und der Enge des Forts zu entfliehen, hatten sie sich freiwillig zur Begleitung von Grau und Muller gemeldet.

      Richard Fréchencourt öffnete eine schwere Eichentür und bat die beiden Besucher einzutreten. Interessiert sahen Grau und Muller sich um. Die Größe des Raumes war imponierend. Er maß ungefähr zehn mal fünfzehn Meter. Die Stirnseite beherrschte ein Buntglasfenster mit militärischen Motiven aus der Zeit Napoleon Bonapartes, das die Bibliothek in gedämpfte Farben tauchte. In der Mitte der linken Längswand befand sich ein großer marmorner Kamin, der an kalten Tagen spielend in der Lage sein musste, die gesamte Bibliothek mit wohliger Wärme zu versorgen. An der rückwärtigen Wand, direkt neben der Türe, glorifizierte ein, vom Parkettfußboden bis zur eichenholzener Fassettendecke reichendes Bild den siegreichen Napoleon Bonaparte, offenbar nach der Schlacht von Austerlitz.

      Die freien Wandflächen bedeckten Regale, die vom Boden bis zur Decke lückenlos mit Büchern gefüllt waren. Auch der obligatorische Globus in der Mitte des Raumes fehlte nicht. Komplettiert wurde die Einrichtung durch eine gemütliche Leseecke vor dem Fenster, bestehend aus vier mit dunkelrotem Samt bespannten Sesseln und einem quadratischen Tisch mit einer gekachelten Oberfläche. Fréchencourt bat die Besucher dort Platz zu nehmen. Nachdem sich auch der Hausherr gesetzt hatte, ergriff Muller sofort das Wort.

      „Zunächst einmal unser Beileid zum Tode Ihres Vaters. Wir sind von seinem Tod etwas überrascht, denn wir hatten fest damit gerechnet, ihn hier in Metz anzutreffen.“ Fréchencourt entgegnete seufzend:

      „Auch für mich und meine Familie kam sein Tod unvorhergesehen, denn ich wusste bis vor zwei Tagen nichts von seinen Herzbeschwerden, die erst in den letzten beiden Monaten vor seinem Tod aufgetreten sein mussten. Bei der Feier anlässlich seines sechzigsten Geburtstags im Oktober vergangenen Jahres sagte mein Vater in seiner Tischrede noch, er habe eine Menge Ideen, die er unbedingt verwirklichen wolle. Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass er deshalb einen Ort brauche, an den er sich zurückziehen könne, um ungestört arbeiten zu können.

      Um zu unterstreichen, wie ernst er es damit meinte, ersteigerte mein Vater im März aus der Erbmasse eines Kunsthändlers dieses Stadthaus hier, einschließlich des kompletten Inventars.“ Der Hausbesitzer machte eine ausladende Handbewegung. „Dazu gehören auch die gesamten Bücher dieser Bibliothek, bei denen es sich hauptsächlich um wertvolle Kunstbände handelt. Ich habe leider bis heute noch keines davon durchblättern, geschweige denn lesen können.“ Fréchencourt lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und nahm den Faden wieder auf.

      „Alors, mein Vater hielt sich seit Anfang April fast ausschließlich hier in Metz auf. Er reiste ein-, zweimal im Monat für jeweils zwei, drei Tage nach Paris, um nach dem Rechten zu sehen, wie er scherzhaft zu sagen pflegte. Zuhause in Paris schien er mir immer sehr abwesend zu sein und konnte es offenbar kaum erwarten, wieder den Zug nach Metz zu besteigen. Meine Mutter und ich vermuteten daher, dass er sich mit etwas außerordentlich Bedeutsamen befasste.“

      „Oui, Ihre Vermutung war absolut richtig, Monsieur Fréchencourt. Ihr Vater hat an Entwürfen für ein neues Geschütz gearbeitet, und deshalb sind wir hier“, entgegnete Muller, und Grau fuhr fort:

      „Er beabsichtigte seine Entwürfe am 25. August, also heute in vier Tagen, im Kriegesministerium dem Militär vorzustellen. Hier ist ein entsprechender Brief Ihres Vaters vom 5. August.“ Er übergab Fréchencourt den Brief. Nachdem der Hausherr ihn gelesen hatte, sah er seine Besucher nachdenklich an.

      „Messieurs, wenn es um militärische Dinge ging, war mein Vater sehr zugeknöpft. Selbst mich hat er nur selten eingeweiht. Er hielt es für besser, dass niemand wusste, woran er gerade arbeitete, offenbar auch um die Familie zu schützen.“

      Das Gespräch wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete und Philippe einen Servierwagen mit dampfenden Tee und einem silbernen Tablett mit verschiedenen Käsesorten in die Bibliothek rollte.

      „Ich hatte eben vergessen zu erwähnen, dass Weißbrot bereits in der Frühe nicht mehr zu bekommen war. Da Mehl rationiert ist, gehen den Bäckern so langsam die Vorräte zur Neige“,

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