Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn

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von vorhin“, sagte er beschwichtigend, und an seine Besucher gewandt fügte er erklärend hinzu: „Nun ja, ich kann seinen Zorn sehr gut verstehen, vor allen Dingen, weil Sie sich gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft haben, Messieurs. Auch ich bin der Meinung, dass es auch anders gegangen wäre.“

      „Sie haben vollkommen Recht, Monsieur Fréchencourt“, gab Grau zerknirscht zu. „Verzeihen Sie uns!“

      „Schon gut, vergessen wir´s. Alors, Philippe lässt sich gewöhnlich nicht so leicht überrumpeln, denn er ist nicht wie es den Anschein hat, einer meiner Dienstboten, sondern eigentlich mein Sekretär und Leibwächter. Einige Aufgaben des Dienstpersonals hat er nur übernommen, weil ich ihn darum gebeten habe. Denn die Haushälterin und den Hausdiener meines Vaters habe ich vor Tagen bei einer mir bekannten Familie untergebracht. Ich beabsichtige dieses Haus wieder zu verkaufen. Unsere Familie benötigt es nun nicht mehr, aber ich will zunächst einmal den Ausgang des Krieges abwarten.“

      Fréchencourt beobachtete amüsiert seinen Sekretär, wie dieser professionell Tee in die Tassen füllte.

      „Wie Sie sehen, Messieurs, hätte Philippe sicherlich auch einen guten Butler abgegeben.“ Philippe warf Fréchencourt einen bösen Blick zu, setzte die Teekanne hart auf den Rechaud und verließ erhobenen Hauptes die Bibliothek. Fréchencourt empfand, dass die Tür ein klein wenig lauter ins Schloss fiel als üblich. Muller grinste und setzte das Gespräch fort:

      „Monsieur Fréchencourt, Sie können sich sicher vorstellen, dass man sich in unserem Ministerium wegen Ihres Vaters große Sorgen machte.“

      „Sie meinen wegen der Pläne“, warf Fréchencourt mit hochgezogenen Augbrauen ein.

      „Das auch, aber in erster Linie wegen Ihres Vaters, denn die Pläne alleine hätten uns ohne seine Erläuterungen sicher nicht viel genützt“, gab Muller zu.

      „Alors, aufgrund der prekären Lage rund um Metz mussten wir befürchten, dass Ihr Vater mitsamt den Plänen bei seiner Reise nach Paris von der Gegenseite abgefangen werden könnte, eine Katastrophe. Wir beide hatten daher vom Kriegsminister den Auftrag erhalten, Ihren Vater unter Militärschutz zu stellen, ihn hier abzuholen und nach Paris zu geleiten. Allerdings hatten wir uns die Sache etwas einfacher vorgestellt“, seufzte Muller und schob sich ein Stück Käse in den Mund. Nach einiger Zeit berichtete er weiter:

      „Obwohl unser Ministerium sowohl über alle Bewegungen der eigenen und gegnerischen Truppen, als auch über den Verlauf der Gefechte immer auf dem neusten Stand war, hatten wir gehofft, mit etwas Glück unseren Auftrag ohne Probleme erfüllen zu können. Pierre und ich konnten nicht damit rechnen, dass sich die Lage unserer Truppen innerhalb so kurzer Zeit dermaßen verschlechtern würde.

      So benötigten wir leider, entgegen unserer Erwartungen, von Paris nach hier vier ganze Tage, da wir größere Umwege in Kauf nehmen mussten. Wir waren bereits am 15. frühmorgens aufgebrochen. Weil wir wussten, dass die Eisenbahnstrecke Paris – Metz direkt hinter Nancy durch deutsche Verbände unterbrochen war, blieb uns nichts anderes übrig, als auf eine andere Eisenbahnroute auszuweichen. Wir sind daher mit dem Zug über Reims bis Mézières gefahren. Von Mézières aus gibt es leider keine direkte Bahnverbindung nach Metz. Daher waren wir gezwungen, uns einem Nachschubtransport anzuschließen. Es gab nur noch eine freie Route von Norden her, denn offen war nur noch der Weg über Sedan und weiter nach Thionville und schließlich entlang der Mosel. Denn auch im Westen der Stadt standen bereits starke gegnerische Verbände. Seit gestern ist auch dieser letzte Weg versperrt, und damit sind alle Nachschubwege unterbrochen. Das ist die aktuelle Lage. Sieht verdammt übel aus.“ Dennoch schien Muller nicht sehr beunruhigt.

      „Wie sind Sie überhaupt in die Geschäfte Ihres Vaters eingebunden?“, wechselte Grau das Thema.

      „Diese Frage kann ich Ihnen gerne beantworten“, erwiderte Fréchencourt.

      „Ich bin, wie mein Vater, Ingenieur für Fahrzeug- und Waffentechnik. Wie Sie sicherlich wissen, besitzt unsere Familie im Pariser Quartier Saint-Georges eine Fabrik, die neben Kutschen, auch Fahrzeuge für die Armee herstellt, darunter auch Protzen* und Lafetten* für Kanonen.

      Vor gut zwei Jahren hatte mir mein Vater die kaufmännische Leitung der Fabrik übertragen. Er selbst kümmerte sich von nun an ausschließlich um die Fabrikation, wobei er fortwährend an technischen Verbesserungen unserer Fahrzeuge tüftelte. Zudem hatte er nun endlich die Zeit zur Verfügung, die er zur Verwirklichung seiner Ideen benötigte. Hierzu zog er sich hier nach Metz zurück. Er liebte diese Stadt über alles, denn hier war er geboren und aufgewachsen, Paris war ihm zu groß, zu hektisch. Hier glaubte er in Ruhe arbeiten zu können.“ Fréchencourt goss sich Tee nach und schloss an:

      „Wenn er sich in Metz aufhielt, übernahm ich auch die Produktionsleitung.“

      „Dann werden Sie ja jetzt die Geschäfte ihres Vaters fortführen“, stellte Grau fest.

      „Oui, ich glaube schon. Es ist ja sonst kein Familienmitglied da, das dazu in der Lage wäre. Obwohl das Testament noch nicht eröffnet ist, gehe ich davon aus, dass mein Vater mir die Fabrik übertragen hat. Meine Mutter hat sich nie um die Geschäfte gekümmert, und meine beiden Schwestern haben ebenfalls kein Interesse gezeigt. Die ältere ist in Carcassonne mit einem Arzt verheiratet, und meine jüngere Schwester besitzt am Pariser Seineufer ein Atelier und widmet sich hingebungsvoll der Malerei.“

      „Wer leitet denn die Fabrik momentan?“, fragte Grau interessiert.

      „Ich habe einen hervorragenden Prokuristen, selbst Ingenieur und äußerst loyal. Den hat mein Vater vor ungefähr zwanzig Jahren eingestellt. Ach ja, ich möchte noch erwähnen, dass ich noch einen Halbbruder habe. Ich glaube aber nicht, dass Sie weitere Einzelheiten interessieren“, Fréchencourt nahm einen Schluck Tee und ein Stück Käse.

      „Doch, Ihre Familiengeschichte interessiert uns schon“, sagte Muller.

      „Na gut, wenn Sie meinen. Meine Mutter war in erster Ehe mit dem Strasbourger Kaufmann Gabriel-Julien Ouvrard verheiratet, der bei einem Schiffszusammenstoß auf dem Rhein irgendwo zwischen Bonn und Köln ums Leben kam. Mit ihrem Sohn aus dieser Ehe, Louis-Antoine, bin ich zusammen groß geworden. Da meine Mutter Elsässerin ist, sind wir zweisprachig aufgewachsen. Antoine und ich sprechen daher fließend Deutsch. Antoine hat vor ungefähr acht Jahren das ‚Handelskontor Ouvrard’ übernommen, als auch sein Onkel Robert, der Bruder und Teilhaber seines leiblichen Vaters, verstarb.

      Onkel Rob, wie wir Jungen ihn nannten, war unverheiratet und hatte selbst keine Kinder. Wir mochten ihn sehr, alleine schon deshalb, weil mein Bruder und ich ihn während der Schulferien auf diversen Schiffsreisen auf dem Rhein begleiten durften. Wir kamen daher als Kinder schon weit herum.“ Fréchencourt räusperte sich und nahm erneut einen Schluck Tee.

      „Ich habe meinen Bruder auch später noch auf einigen Handelsreisen begleitet, die uns bis nach Holland führten. Während meines Ingenieurstudiums habe ich sogar hin und wieder im Kontor ausgeholfen. Dabei habe so ganz nebenbei das Verhandeln mit Geschäftspartnern gelernt. Diese Erfahrung nutze ich nun für mich selbst. Leider hatte ich in den letzten beiden Jahren keine Gelegenheit mehr mit meinem Bruder etwas gemeinsam zu unternehmen. Sie verstehen sicher, dass mein Verhältnis zu meinem drei Jahre älteren Halbbruder bis heute sehr eng geblieben ist.

      Antoine und ich haben uns hin und wieder in Paris oder Strasbourg gesehen. Zuletzt trafen wir uns nach dem Tod unseres Vaters hier in Metz, um die Formalitäten für die Beisetzung zu erledigen. Das Begräbnis fand am 11. August, und wie es mein Vater verfügt hatte, in aller Stille statt. Nur Antoine und ich haben unseren Vater auf seinem letzten Weg begleiten können, denn wegen der Kriegslage wäre es unverantwortlich gewesen, die übrigen Familienmitglieder hierher

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