Kykladen. Patrick Schollmeyer
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Lange entbehrte der Gott die geliebte Orithyia,
während er um sie warb und lieber den Bitten als roher
Kraft vertraute. Als er aber mit Schmeicheleien
nichts erreichte, ergriff ihn heftiger Zorn – nach seiner
Art und nach der Gewohnheit von Winden –, und er sagte:
„Das geschieht mir recht! Denn warum habe ich auf meine
Waffen verzichtet, auf die Grausamkeit, die Gewalt, den
Zorn und die Drohung und habe mich auf das Bitten verlegt, das
gar nicht zu mir passt. Gewalt ist meine Domäne.
Mit Gewalt vertreibe ich die finsteren Wolken,
wühle mit Gewalt das Meer auf, knorrige Eichen
knicke ich, härte Schnee und schlage die Erde mit Hagel.
Treffe ich am heiteren Himmel meine Brüder,
das ist nämlich mein Schlachtfeld, dann strenge ich mich an und
ringe mit ihnen so, dass von unseren Kämpfen ein Donner
mitten durch den Äther dröhnt und Feuerstrahlen
aus den hohlen Wolken herausgeschleudert werden.
Steige ich hinab in die Tiefe der gewölbten
Erdengänge und lege ungestüm den Rücken
unter die untersten Höhlungen, scheuche ich die Toten
auf und lasse den ganzen Erdkreis erzittern. Mit solcher
Mühe hätte ich um die Ehe werben sollen.
König Erechtheus hätte ich nicht um die Tochter bitten,
sondern handelnd zum Schwiegervater machen sollen.“
So oder ähnlich – aber gewiss nicht weniger trotzig –
sprach der Windgott, spannte die Federn aus und schlug die
Flügel; die ganze Erde spürte den Luftzug. Die weite
Fläche des Meeres wogte, und hoch über alle Gipfel
zog er seinen staubigen Mantel und fegte mit ihm den
Boden. Im Schutz der Finsternis traf und umarmte er liebend
Orithyia mit seinen goldenen Flügeln. Sie war zu
Tode erschrocken. Die Flammen seiner Liebe wurden
durch die Bewegung immer stärker entfacht. Der Räuber
hat seinen Flug durch die Lüfte erst dann beendet, als er
bis zum thrakische Volk der Kikonen und bis zu ihrer
Stadt gelangt war. Die attische Jungfrau wurde dort die
Gattin des Herrschers und Mutter zweier Kinder, Söhne,
Zwillinge, die vom Vater die Flügel geerbt hatten und der
Mutter Orithyia in allem anderen glichen (6, VV. 683–714).
Am Ende hat der wilde Gott sein Ziel erreicht und die Windsbraut erobert. Das wird ihn beruhigt haben. Da aber, wie es heißt, heftiger Zorn zu seinem Wesen gehört, findet er immer wieder neue Gründe, sich zu erregen, über die Erde zu fegen, Staub aufzuwirbeln und das Meer wogen zu lassen. Zum Glück weht er nicht immer so heftig wie in dieser Geschichte, aber er fackelt nicht lange. Er nimmt sich nicht die Zeit, sich anzukündigen, er ist ganz plötzlich da. Athen, der Startort unserer Reise, und er haben schließlich eine besondere, geradezu verwandtschaftliche Beziehung.
Mit Sturmgebraus übers Meer – Von Seenot und Schiffbrüchen
Es liegt uns fern, den interessierten Reisenden, die sich anschicken die Kykladen zu erkunden, Angst zu machen, wenn wir – sozusagen zur literarischen Einstimmung auf die anstehende Fährfahrt – zusätzlich von einem gewaltigen Seesturm sowie einem veritablen Schiffbruch berichten. Wir tun es, um unsere Leserinnen und Leser mit der ältesten und sehr eindrucksvollen Schilderung eines derartigen Ereignisses bekannt zu machen. Sie steht in Homers Odyssee (ca. 700 v. Chr.). Es mag zur Beruhigung beitragen, dass Odysseus, bevor der Sturm losbricht, 17 Tage bei ruhiger See unterwegs war und dass die Geschichte gut ausgeht: Odysseus wird gerettet. Und schließlich durchqueren wir das Meer auch nicht mehr auf Flößen.
Odysseus hatte viele angenehme und entspannte Jahre bei der schönen Nymphe Kalypso verbracht. Als er endlich nach Hause strebt, stellt sich ihm Poseidon, der Gott des Meeres, in den Weg: Ein Sturm soll ihm die Heimkehr, wenn nicht verwehren, so doch erschweren. Es ist nicht das einzige Unwetter, in das der Held auf seiner Irrfahrt gerät, zudem ist er auf einem Floß unterwegs.
Da ergriff der Gott mit den Händen den Dreizack, führte