365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner

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365 Schicksalstage - Johannes Sachslehner

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       Der Tod des Koloman Wallisch

      Für Kanzler Engelbert Dollfuß ist es die Erfolgsmeldung im Kampf gegen die „Aufständischen“: Am 18. Februar kann der Nachrichtensprecher der RAVAG vermelden, dass der gesuchte Sozialist Koloman Wallisch, Führer der Schutzbundkämpfer in der Obersteiermark, auf den ein Kopfgeld von 5.000 Schilling ausgesetzt gewesen wäre, mit seiner Frau Paula auf der Flucht von Leoben nach Admont von der Polizei angehalten und festgenommen worden sei. Am nächsten Tag, dem 19. Februar, steht Koloman Wallisch zusammen mit dem Bezirkskommandanten des Schutzbundes Hubert Ruhs vor dem Standgericht. Die Anklage lautet auf „Aufruhr“ nach Paragraf 73 Strafgesetzbuch. Der Staatsanwalt, den es wenig kümmert, dass er einen ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat vor sich hat, nennt Wallisch in seiner Anklagerede „den bösen Geist von Obersteiermark“ und behauptet, dass Wallisch den Putsch von langer Hand vorbereitet habe. In seinem Schlussplädoyer, aus dem unverhüllt der Geist des Faschismus weht, fordert er den Schuldspruch, denn die „ganze Figur des Wallisch“ sei nicht nur ein Name, sondern „ein Programm“. Und: „Wallisch ist eine Eiterbeule am gesunden Volkskörper der Obersteiermark und diese muss ausgeschnitten werden, um den Volkskörper wieder gesund zu machen.“ Dann darf Koloman Wallisch seine Verteidigungsrede halten. Noch einmal skizziert der Arbeiterführer in wenigen Sätzen die Entwicklung seit der „Selbstausschaltung“ des Parlaments bis hin zum Verbot des Schutzbundes und zur offenen Bewaffnung der Heimwehr. Eindringlich weist er auf das Elend der Arbeitslosen hin, das diesen „Aufschrei der Massen“ unvermeidlich gemacht habe. Und er gibt sich keiner Illusion über sein Schicksal hin, weiß, dass er das auserkorene Opfer des Dollfuß-Regimes ist: „Ich weiß genau, dass ich verurteilt werden muss. Ich bettle nicht um Gnade und über den 19. Februar 1934 wird die Weltgeschichte, wird die Arbeiterschaft urteilen! Dieser Tag wird allerdings nicht in Ehrenlettern in der Geschichte der Leobener Justiz eingetragen sein. … Ich habe mein ganzes Leben der Arbeiterschaft gewidmet, ihr zu dienen, und zwar mit Erfolg, war mein Ideal. Weil ich ehrlich für die Arbeiter kämpfte und mit Erfolg mit ihnen tätig war, darum ist der Hass der Gegner so groß!“

      Während die Verhandlung noch andauert, wird man am Wiener Ballhausplatz schon ungeduldig. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß kann angeblich das Todesurteil gegen Wallisch kaum abwarten – um sieben Uhr abends lässt er schließlich telefonisch beim Leobener Gericht anfragen, warum die Verhandlung gegen den Sozialistenführer so lange dauere und er noch nicht zum Tode verurteilt sei. Das Gericht beeilt sich und muss auch nicht lange beraten, es geht schon längst nicht mehr um Gerechtigkeit – das Todesurteil ist gleichsam ein Auftrag des offiziellen Österreich an die Richter. Um 20.30 Uhr wird das Urteil verkündet: Es lautet auf Todesstrafe für beide Angeklagte. Im Publikum wird Zustimmung laut – man freut sich offen. Ruhs bittet um Gnade; Wallisch lehnt dies ab, sein Verteidiger versucht es der Form halber dennoch telefonisch in Wien, wie zu erwarten ohne Erfolg. Wallisch bleibt gefasst, eine letzte Bitte bringt er noch vor: Er möchte eine Verlängerung der Frist bis zur Hinrichtung um drei Stunden und dies wird ihm auch gewährt.

       Koloman Wallisch wartet im Gefängnishof von Leoben auf seine Hinrichtung.

      Die letzten Minuten seines Lebens verbringt Konrad Wallisch im Hof des Gefangenenhauses. Exakt um 23 Uhr 40 wird er zur Hinrichtung geführt. Der Holzhof wird von Scheinwerfern beleuchtet; eine Abteilung des Bundesheers ist angetreten. Da sich in Leoben niemand gefunden hat, der bereit gewesen wäre, den Galgen aufzustellen, zwingt man Häftlinge zu dieser Arbeit. Ein Loch wird gegraben, das Todesgerüst darin fixiert. Als Henker amtiert ein Fleischhauer aus Wien namens Spitzer; schon am Nachmittag hat er in den Leobener Wirtshäusern damit angegeben, dass er „den Wallisch“ hängen werde. Von ihren Zellenfenstern aus können die gefangenen Schutzbündler sehen, wie Koloman Wallisch mit festem Schritt unter die Schlinge tritt. Als der Henker sie ihm um den Hals legt, ruft er aus: „Es lebe die Sozialdemokratie! Hoch! Freiheit!“

      Als der Leichnam in den Sarg gelegt wird, kann sich Spitzer, der Henker, einen höhnischen Kommentar nicht verkneifen. Eine Verbeugung vor dem Toten machend, feixt er: „Herr Wallisch, bei Ihnen war es mir ein ganz besonderes Vergnügen!“ Noch in der Nacht wird der Leichnam auf den Leobener Zentralfriedhof gebracht und begraben, die Spuren verwischt. Man befürchtet einen Märtyrerkult, niemand soll die Stelle kennen, doch einige Arbeiter haben die nächtliche Szene beobachtet; bereits am nächsten Morgen liegt deshalb ein Kranz auf der Grabstätte. Angehörige der Heimwehr lassen ihn wegbringen, doch gleich liegen wieder neue Blumen auf dem Grab. Daraufhin setzt man Paula Wallisch unter Druck – sie solle den Leichnam ihres Mannes einäschern lassen. Die Witwe lehnt ab. So tragen die Arbeiter weiterhin ihre Liebe und ihre Racheschwüre zum heiligen Grab des Märtyrers. „Der Hass der Besitzenden, der Hass der Reaktionäre, der ihn viele Jahre verfolgte, hatte sein Ziel erreicht.“ Erst im Jahre 2008 erhält der hingerichtete Arbeiterführer sein Denkmal: Am Leobener Koloman-Wallisch-Platz wird ein 4 Meter hohes und 1,5 Meter breites Monument des Leobener Künstlers Herbert Lerchegger aufgestellt.

       Die Erschießung Andreas Hofers

      Mantua, die alte österreichische Festung in der Lombardei, nunmehr unter französischer Herrschaft. Seit 5. Februar sitzt im Al-Vaso-Turm am sogenannten „Mühlendamm“ bei der Porta Nuova ein prominenter Gefangener: der Sandwirt Andreas Hofer, durch Verrat des Grubhofbauern Franz Raffl auf der Pfandleralm in die Hände der Franzosen gefallen. Napoleon Bonaparte, der die Niederlagen am Bergisel nicht verwinden kann, will das Blut des Tiroler Freiheitshelden fließen sehen und seine Offiziere sind willfährig: In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1810 wird Andreas Hofer von einem französischen Kriegsgericht im Palazzo des Grafen von Arco-Chieppio Ardizzoni zum Tode verurteilt; die Exekution für 1 Uhr angesetzt. Die „Schuld“ des Sandwirts: Er habe nach der Proklamation vom 12. November 1809, die ja die Begnadigung aller Anführer der „Rebellen“ vorsah, noch einmal zu den Waffen gegriffen, sei damit wortbrüchig geworden und habe damit für sich jede Schonung verwirkt. Hofers Verantwortung, dass er von seinen Kampfgefährten unter Androhung des Todes „umgedreht“ worden sei, findet kein Gehör; sein Pflichtverteidiger Gioacchino Basevi kann in dieser Farce eines Gerichtsverfahrens nichts mehr für ihn tun. In Wien hat zwar Kaiser Franz I. am 12. Februar Staatskanzler Metternich angewiesen, „alle tunliche Verwendung“ für die Befreiung und Rettung Hofers zu unternehmen; da man Napoleon jedoch so knapp vor der Hochzeit mit Erzherzogin Marie-Louise nicht „wehtun“ will, verschleppt man geschickt die Angelegenheit und informiert zu spät den österreichischen Botschafter in Paris, den Fürsten Schwarzenberg; auch Erzherzog Johann, an den Hofer einen letzten Hilferuf gerichtet hat, „vergisst“ einfach seinen Tiroler Mitstreiter – die beiden Habsburger opfern ihn für das Staatsinteresse.

      Andreas Hofer zeigt sich bei der Verkündung des Urteils ruhig und gefasst; seinen letzten Brief schreibt er an den ehemaligen Schützenmajor Josef Pühler in Neumarkt, darin nimmt er Abschied von seiner Familie und schließt mit den Worten: Ade meine schnede Welt, so leicht khombt mir das Sterben vor, das mir die Augen nass werden, geschrieben um 5 Uhr in der freue, Und um 11 Uhr Reiss ich mit der Hilfe aller heilig zu gott.

      Um 10.45 Uhr treffen die Grenadiere des Exekutionskommandos im Gefängnis ein. „Fest und aufrecht, wie der Tapfere sich stets gezeigt“ (Egmont Fehleisen), begleitet von seinem Beichtvater Propst Giovanni Manifesti, tritt Hofer aus seiner Zelle. In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kruzifix. Er bittet noch, seinem Mitgefangenen und Sekretär Kajetan Sweth etwas Geld – sechs italienische Scudi – und ein paar Zeilen schicken zu dürfen, was ihm auch gestattet wird: Auf einen Zettel notiert er: Lieber Kajetan, empfange das letzte Vermögen, das ich habe. Lebe wohl und bete für mich. Abgelehnt wird dagegen seine Bitte, nochmals seine inhaftierten Landsleute sehen zu dürfen. Vor dem Gefängnis übergibt Hofer, so erzählt es sein Biograf Fehleisen, seinem Beichtvater noch einen 500-Gulden-Bancozettel, den dieser den gefangenen

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