365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner

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365 Schicksalstage - Johannes Sachslehner

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anstatt seine Papiere zu zeigen, zündet Fuchs, der sich entlarvt glaubt, eine Rohrbombe, die Explosion reißt ihm beide Unterarme weg, zwei Beamte werden verletzt. Am 2. Februar 1999 beginnt am Grazer Landesgericht der Prozess gegen Franz Fuchs, der mit dem lauten Schreien von Hasstiraden gegen Staat, Justiz und „Ausländer“ auf sich aufmerksam machen will und daraufhin durch Richter Heinz Fuhrmann von den Verhandlungen ausgeschlossen wird. Weitere Indizien haben inzwischen seine Täterschaft beim Oberwarter Attentat erhärtet – so kann nachgewiesen werden, dass das beim Bombenbau verwendete Wasser aus der Gegend von Gralla stammt. Ein Geschworenensenat verurteilt ihn wegen vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – am 26. Februar 2000 begeht Franz Fuchs in der Justizanstalt Graz-Karlau Selbstmord.

      So wirr das Geschichts- und Weltbild des Franz Fuchs auch sein mögen – in manchen Versatzstücken spiegelt es in erschreckender Weise Gedankengut wider, das noch immer in manchen Köpfen präsent ist. Franz Fuchs mag als Einzeltäter gehandelt haben, seine Parolen sind leider so manchen Österreichern nicht völlig fremd …

       Olympiagold für Franz Klammer

      Die Situation im ÖSV-Abfahrtsteam vor den Olympischen Spielen in Innsbruck 1976 ist nicht einfach: Die Niederlage von Grenoble gegen Jean-Claude Killy und die „Schmach“ von Sapporo, bedingt durch den Ausschluss von Karl Schranz, sind noch in bester Erinnerung – die Last des Siegenmüssens liegt nun auf einem Mann: auf Franz Klammer, dem „Teufelsbuam“ aus Mooswald in Kärnten, der die letzten beiden Saisonen im Weltcup dominiert hat. Startzeit am Patscherkofel ist 12 : 30 Uhr und alle wollen dabei sein, wenn der Franz „es macht“. Titelverteidiger Bernhard Russi, der Sieger vom Mont Eniwa in Sapporo 1972, legt mit Startnummer 3 eine beinahe fehlerlose Fahrt hin: 1 : 46,06 lautet die neue Bestzeit, eine Marke, an der die nachfolgenden Läufer klar scheitern: Mit Nummer 12 startet Österreichs Nachwuchshoffnung Anton „Jimmy“ Steiner. Als für den 17-jährigen Draufgänger die beste Zwischenzeit gemeldet wird, scheint Russis Führung erstmals gefährdet – doch dann stürzt Steiner knapp vor dem Ziel, eine mögliche Medaille in Sichtweite. Auf den zweiten Platz schiebt sich der Südtiroler Herbert Plank, aber auch er liegt deutlich hinter Russi zurück.

      Alle rot-weiß-roten Hoffnungen ruhen nun auf der Startnummer 15, Franz Klammer. Er kennt die Zeit von Russi und schwört sich, eine 1 : 45er-Zeit zu fahren. Gleich der erste Streckenabschnitt gelingt dem Kärntner jedoch nicht optimal und die erste Zwischenzeit weist dies auch unbarmherzig aus: 19 Hundertstel Rückstand auf Russi, 3 Hundertstel auf Herbert Plank: Die Zuschauer halten entsetzt den Atem an, als Klammer beim dritten Tor im „Ochsenschlag“, einem Rechtsschwung, zu direkt fährt und beim darauf folgenden Sprung nur mit wildem Rudern der Arme einen Sturz vermeiden kann. Er muss querstellen, verliert neuerlich Zeit. In diesem Moment scheint die Goldmedaille bereits verloren, doch Franz Klammer behält die Nerven: Er wählt im unteren Streckenabschnitt eine neue Linie, fährt zwei Kurven höher an und „sticht“ dann, das höhere Tempo perfekt mitnehmend, Richtung Ziel hinunter – ORF-Reporter Edi Finger zählt die Sekunden laut mit, es ist ein unbeschreiblicher Moment der Spannung, dann der erlösende Schrei: „1 : 42, 1 : 43, 1 : 44, 1 : 45 – jawohl! Bestzeit!“ Franz Klammer schaut nur ins Publikum, sieht die Menschen jubeln und weiß in diesem Augenblick, dass er gewonnen hat – mit ihm triumphieren „wir Österreicher“.

       Deportation nach Riga

      In den späten Abendstunden herrscht am Aspangbahnhof wieder einmal hektische Betriebsamkeit: Der „16. Transport“ wird verladen, Fahrziel des „Sonderzugs“ ist das „Reichsjudenghetto“ Riga. Die Gestapobeamten sorgen dafür, dass alles ruhig und konzentriert abläuft: 1.003 Menschen, alle aus Wien, besteigen die Waggons dritter Klasse, unter ihnen 23 Kinder, die unter zehn Jahre alt sind, die Frauen und drei Männer, die älter als achtzig sind, das Durchschnittsalter der Deportierten: 54 Jahre. Es ist nach den Zügen vom 3. Dezember 1941 (1.001 Deportierte) sowie vom 1. Januar (1.000 Deportierte) und 26. Januar 1942 (1.201 Deportierte) bereits der vierte „Transport“ von Wien nach Riga. Kommandiert wird der „Transport“ dieses Mal von Eichmanns Mitarbeiter Alois Brunner selbst, der besonders einen der deportierten Juden an Bord im Visier hat: den ehemaligen Bankier und Börsenspekulanten Siegmund Bosel, der es durch seine Verwicklung in den Postsparkassenskandal des Jahres 1926 zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat. Bosel, der inzwischen einen Großteil seines Vermögens verloren hat und 1938 ohnmächtig zusehen muss, wie die Nazis das Mobiliar seiner Villa in der Gloriettegasse 15 im Dorotheum zwangsversteigern, wird das Ziel der „Reise“ nicht erreichen: In der zweiten Nacht, der Zug befindet sich irgendwo in Polen, lässt ihn Brunner an den Einstiegsstufen des ersten Waggons, gleich nach der Lokomotive, anketten und beginnt, ihn „auf unflätige Weise“ zu beschimpfen, nach etwa einer Stunde erschießt Brunner den Wehrlosen. Zur „Ohrenzeugin“ des Mordes wird auch die 14-jährige Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer 1-jährigen Schwester Rita und ihren Eltern in einem Abteil des ersten Waggons untergebracht ist …

      Am 10. Februar erreicht der Zug die Station Skirotava in Riga, es herrscht klirrende Kälte – 42 Grad unter null. Das Ghetto, so erklärt ihnen der „zum Empfang“ angetretene SS-Obersturmführer Gerhard Maywald, sei sechs Kilometer entfernt, für alle, die nicht zu Fuß gehen möchten, habe man einige Autobusse bereitgestellt. Etwa 700 der aus Wien angekommenen Juden stellen sich daraufhin bei den Autobussen an, die anderen, darunter auch die Familie Hirschhorn, wählen den Fußmarsch zum, Ghetto. Ihre Leidensgenossen werden sie nie mehr sehen: Die 700 werden direkt zum Exekutionsplatz in den Bikernieki-Wald gefahren und dort erschossen; einer der „Autobusse“ ist ein Gaswagen, in dem die Opfer mit Auspuffgasen erstickt werden. „Wir hatten uns selbst selektiert“, wird Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter das Ghetto in Riga überlebt, in ihren Erinnerungen – sie erscheinen unter ihrem späteren Namen Gertrude Schneider – feststellen. Die Rote Armee befreit sie, die dem Tode nahe ist, aus einem Außenlager des KZ Stutthof bei Danzig; am 1. Juni 1945 kommen die drei Frauen am Südostbahnhof in Wien an – doch hier empfängt man sie keineswegs mit offenen Armen. – „Wegen der Behandlung, die uns in Wien zuteil wurde“, beschließen sie 1947, in die USA zu emigrieren.

       Die Abschaffung der Todesstrafe

      Plenarsitzung des Nationalrats im Parlament. Am Rednerpult steht der SPÖ-Abgeordnete Dr. Christian Broda (1916 – 1987), ehemals Justizminister im dritten Kabinett von Julius Raab und zukünftiger Justizminister in den Alleinregierungen Bruno Kreiskys. „Die Entfernung des überflüssigen Wortes, Todesstrafe‘ aus unserer Verfassung und Rechtsordnung“, sagt Broda, „ist ein Augenblick für innere Einkehr.“ Es ist zwar nur ein schlichter Satz, der vom Nationalrat beschlossen wird: „Der Artikel 85 des Bundes-Verfassungsgesetzes hat nunmehr zu lauten:, Die Todesstrafe ist abgeschafft‘“ – mit seiner Aufforderung zum Innehalten und Besinnen unterstreicht Broda, der schon 1965 eine entsprechende Gesetzesänderung vorgeschlagen hat, die Bedeutung dieses Beschlusses jedoch völlig zu Recht. Die Zweite Republik holt damit endlich nach, was sie schon längst hätte tun müssen. Die Todesstrafe, so das klare Bekenntnis, das hinter dem Artikel 85 B-VG steht, hat in der modernen österreichischen Demokratie nichts mehr verloren. Gelebte Praxis wird in Recht gegossen, liegt die letzte Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nach österreichischem Recht doch schon 18 Jahre zurück: Am 24. März 1950 wurde im Wiener Landesgericht der zweifache Raubmörder Johann Trnka gehängt; wenig später, am 24. Mai 1950, schaffte der Nationalrat die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren ab; es blieb allerdings die – sehr theoretische – Möglichkeit eines Todesurteils im standgerichtlichen Verfahren. 100 Todesurteile waren bis zu diesem Zeitpunkt in der Zweiten Republik ausgesprochen worden, 46 Menschen

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