365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner
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Der Grazer Damen-Bicycle-Club
Konservativ-reaktionär denkenden Kritikern sind sie ein Dorn im Auge: die sportlich-elegant gekleideten Frauen im Sattel schnittiger Bicycles, die sich so selbstbewusst dem Rausch von Freiheit und Geschwindigkeit hingeben. Beim munteren „Pedalieren“ schütteln die Damen alles ab, was sie bisher beengt hat: den Mief des alten bürgerlichen Frauenbildes, vor allem aber das Korsett. Es empfehle sich, so das von der Redaktion der Wiener Mode herausgegebene Vademecum für Radfahrerinnen, dem „Radfahren ohne Corsett zu huldigen“, ein „Leibchen oder ein Büstenhalter“ würden es auch tun und die „wohlthätigen Wirkungen“ des Radfahrens nicht behindern.
Die passende Kleidung ist wichtig: Sonntagsausflug mit dem Rad, um 1900.
Gleichgesinnte Frauen schließen sich zusammen und empfinden dies durchaus als Akt der Emanzipation: Am 16. Februar 1893 findet im Gasthof „Zum goldenen Steinbock“ in der Jakominigasse 59 die Gründungsversammlung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs (GDBC) statt. Es ist der zweite Frauenradfahrverein im deutschen Sprachraum, erst ein Jahr später erfolgt in Wien die Gründung des Ersten Wiener Bicycle-Clubs. Zur Vorsitzenden wird Elise Steininger gewählt, die zusammen mit Vicenza Wenderich die Idee zu diesem Frauenclub hat. Das Amt der „Fahrmeisterin“ übernimmt Louise Sorg, die Tochter eines Fahrradhändlers – sie ist für alle fahrtechnischen Belange zuständig: vom Fahrunterricht für Neueintretende bis zur Gestaltung von sogenannten „Clubpartien“. Besonders wichtig für die Damen ist die einheitliche Klubkleidung: Ein „Fahrdress“ mit Strohhut und ein „Galadress“ mit Schirmmütze werden beschlossen – die Schirmmütze ist der letzte Schrei und für ewig gestrige Männer eine echte Provokation.
Im ersten Vereinsjahr, so die stolze Klubstatistik, werden insgesamt 8.700 Kilometer auf fünf Clubpartien und Tourenfahrten bewältigt; im zweiten Vereinsjahr kann der Damen-Bicycle-Club immerhin auf 27 Frauen verweisen, die ihm angehören, darunter auch die Malerin Sidonie Baltl und die 1852 geborene Adelige Josa Matzner, Edle von Heilwerth, die bald darauf nach Berlin übersiedelt und hier 1897 das „Damensportblatt“ Die Radlerin gründet, das sich zum „unerreicht dastehenden tonangebenden Weltblatte“ des Damenradsports emporschwingen wird.
Der Olympiasieg Toni Innauers in Lake Placid
Für Skisprung-Star Toni Innauer ist es die zweite Chance, Olympiagold zu holen. Bei den Spielen in Innsbruck 1976, mit siebzehn Jahren, hatte er gegen seinen Teamkameraden Karl Schnabl verloren, „nur“ Silber gewonnen und sich „als einziges Opfer in einer wogenden Masse von Tätern“ gefühlt. Jetzt, vier Jahre später, will er „noch einmal einen Matchball haben und ihn spielen, ohne mir nachher etwas vorwerfen zu müssen“.
Der Wettkampf auf der kleinen Schanze im Intervale-Komplex von Lake Placid ist für 13 Uhr Ortszeit angesetzt. Das Thermometer zeigt minus 14 Grad, es ist wärmer geworden, der Wind weht aus West mit etwa 16 Stundenkilometern. Innauer hat am Vortag das interne Qualfikationsspringen des ÖSV-Teams gewonnen und ist für den ersten Wertungsdurchgang zuversichtlich: „Ich fühlte mich sauwohl, locker und happy“, wird er später in seinem Buch Der kritische Punkt über den ersten Sprung schreiben, der ihm hervorragend gelingt:
Höchstnoten für Toni Innauer: Der Vorarlberger 62 gewinnt auf der Normalschanze überlegen Gold.
89 Meter werden für ihn angezeigt – die Führung nach dem ersten Durchgang. In der Pause erinnert sich der 21-Jährige an die bitteren Stunden von Innbruck, er weiß, dass er es dieses Mal besser machen kann. Tatsächlich gelingt ihm der zweite Sprung genauso gut wie der erste: „Geist, Wille und Körper paßten zusammen.“ Wieder erwischt der Vorarlberger den Absprung perfekt, wieder landet er mit einem perfekten Telemark: „Ich hatte das Gefühl, vor Freude zerspringen zu wollen, und gleichzeitig riesige Angst, daß sie verkürzen werden.“
Doch an diesem Tag gibt es niemanden im Springerzirkus, der mit Toni Innauer mithalten könnte. Höchstweite mit 89 und 90 m in beiden Durchgängen, dazu entsprechend hohe Haltungsnoten bedeuten am Ende 266,3 Punkte und 17,1 Punkte Vorsprung auf die beiden ex aequo Zweitplatzierten Manfred Deckert aus der DDR und Hirokazu Yagi aus Japan. DDR-Sportkommentator Klaus Ullrich meint zur Leistung des Österreichers: „Wäre es nur um den Olympiasieg gegangen, hätte man Innauer nach Boxerregeln in diesem Augenblick durchaus zum Sieger durch Abbruch wegen sportlicher Überlegenheit erklären können.“
In der Stunde seines großen Sieges denkt Toni Innauer an den Mann, der ihn auf dem Weg zum Erfolg entscheidend begleitet hat: „Oben stand ganz verloren Baldur Preiml mit seinen roten Fäustlingen. Ich winkte ihm zu. Er blieb unbewegt stehen und schaute mich an. Ich wollte ihm in die Arme fallen, dann sah ich erst, daß er weinte.“
Die Mordtat des Don Julius d’Austria
Es ist Faschingsmontag, doch in Krumau (Cesky Krumlov) ist niemandem zum Lachen zumute, als die Schreckensnachricht aus dem Schloss sich in der Stadt verbreitet. Der Täter trägt einen pompösen Namen: Don Julius Caesar d’Austria, der älteste uneheliche Sohn Kaiser Rudolfs II. und seiner Geliebten Katharina Strada, geboren 1584 oder 1586. Der kaiserliche Vater hat ihm eine sorgfältige Erziehung und Ausbildung zuteil werden lassen und ihm als Residenz im Jahre 1605 das Schloss in Krumau zugewiesen, das er wenige Jahre zuvor Peter Vok, dem letzten Rosenberger, abgekauft hat. Den Sommer 1606 hat der Prinz – zeigt schließlich auch er eine besondere Leidenschaft für mechanische Uhren – auf Wunsch des Vaters im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming verbracht, dann kehrte Don Julius nach Krumau zurück, wo er wohl schon 1607 Margarete Pichler, die Tochter des Baders Sigmund Pichler und der Lucie Pichlerová, kennenlernte. Mit Zustimmung der Eltern zieht das Mädchen in die ehemalige rosenbergische Residenz und lebt mit dem jungen Habsburgerspross zusammen, schon bald werden aber die dunklen Seiten des offenbar an Schizophrenie leidenden Prinzen sichtbar: Es kommt zu einem Gewaltexzess, Don Julius verprügelt Margarete, verletzt sie durch Messerstiche und wirft sie schließlich, „schrecklich verhenkert und verstochen“, aus dem Schlossfenster.
Der Schauplatz des Fenstersturzes: das Schloss in Krumau.
Das Mädchen hat Glück, fällt auf einen Misthaufen und überlebt den „Fenstersturz“. Als der Vater Margaretes es ablehnt, sie nach ihrer Wiederherstellung neuerlich zu ihm zu bringen, lässt Don Julius den Bader ins Gefängnis werfen und droht ihm mit dem Galgen; nach fünf Wochen Haft ihres Gatten gibt schließlich die Mutter nach und führt ihre Tochter doch ins Schloss. Es ist Faschingssonntag – bereits am nächsten Tag kommt es zur Tragödie: In einem Wutanfall verletzt Don Julius einen Diener, der gerade noch fliehen kann, und erschlägt dann seine Geliebte, die er verstümmelt und zerstückelt, die Leichenteile verteilt er im Schloss.
Das Entsetzen in den europäischen Herrscherhäusern über die Tat des „grausamen Tyrannen“ ist groß, Kaiser Rudolf II. verhängt über seinen Sohn lebenslange Haft im Krumauer Schloss. Don Julius, dessen Geisteskrankheit rasch voranschreitet und der in „Schmutz und Unordnung“ versinkt, stirbt am 25. Juni 1609; der Kommentar des