Denke, was dein Herz fühlt. Wolf-Dieter Nagl
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Kann man sich wirklich „zu Tode aufregen“? Die Forschung sagt Ja. Emotionen treiben das autonome Nervensystem an, aktivieren den Sympathikus und können Blutdruckkrisen und Entzündungsvorgänge im Körper befeuern, die Herzinfarkte auslösen. Wie stark die Wirkung von Emotionen auf die Physis sein kann, zeigt der Anstieg an Herzattacken deutscher Patienten ausschließlich an jenen Tagen, an denen die deutsche Nationalelf spielte. An den restlichen Spieltagen der vierwöchigen WM, die ohne deutsche Beteiligung stattfanden, wurde die sonst übliche Anzahl an akuten Herzerkrankungen registriert. Allein das Finale zwischen Italien und Frankreich, bei dem es ebenfalls zu einer deutlichen Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse in der deutschen Bevölkerung kam, bildete eine Ausnahme. Das einzige Match der eigenen Mannschaft, das die Deutschen emotional wenig zu kümmern schien, war das Spiel um Platz drei, das Deutschland gegen Portugal 3:1 gewann. Dieses weniger bedeutsame „kleine Finale“ ließ die deutschen Herzen kaum höherschlagen und in den Notaufnahmen blieb es ruhig.
Stress – eine reine Kopfsache?
Dieses Beispiel zeigt, wie stark emotionaler Stress unsere körperliche Gesundheit gefährden kann und wie bedeutsam es ist, diesem Stress bewusst gegenzusteuern. Stress ist in unserer Zeit in aller Munde und scheint für viele ein dauerhafter Begleiter zu sein. Der Begriff Stress beschreibt jedoch prinzipiell nichts Negatives. Einer der bekanntesten Stressforscher, der gebürtige Österreicher Hans Selye, definierte Stress einst als natürliche Anpassungsreaktion des Körpers auf jegliche Anforderung. Die Anforderung wird dabei als Stressor bezeichnet. Kann der Organismus sich an die Anforderung anpassen und ein neues Gleichgewicht herstellen, dann spricht man vom Eustress. Diese Form von gesundem Stress kann sogar sehr belebend sein und für unsere körperlich-geistige Entwicklung sozusagen die Würze in der Suppe. Nehmen die Stressoren allerdings überhand und übersteigen sie unsere körperlich-geistigen Ressourcen, dann erleben wir den negativen Stress, auch Distress genannt. Wenn ich im weiteren Verlauf von Stress spreche, dann meine ich diesen gesundheitsschädigenden Distress, der unsere Adaptationsfähigkeit übersteigt und das System aus der Balance bringt.
Bevor wir die Auswirkungen von Stress auf den Körper genauer betrachten, ist es wichtig, zwischen „externen“ und „internen“ Stressoren zu unterscheiden. Externer Stress entsteht, wenn irgendetwas in der Welt um uns herum geschieht, das in uns Stress erzeugt. Dies kann eine Erkrankung oder der Tod eines geliebten Angehörigen sein. Ein Jobverlust oder hoher Arbeitsdruck im Beruf. Streitigkeiten mit dem Partner oder den eigenen Kindern, die intensive Pflege eines Familienmitgliedes und vieles mehr. Der Körper reagiert hierbei mit Stress als Folge eines Geschehnisses in der Außenwelt. Davon unterscheiden lässt sich „interner“ Stress, den wir uns in Form von negativen Gedanken und Emotionen selbst machen. Wir Menschen haben dank unserer Großhirnrinde, dem Neocortex, die erstaunliche Gabe, uns das Leben durch negative Gedanken selbst zu vermiesen. Und wir machen tagtäglich mehr oder weniger von dieser Fähigkeit Gebrauch. Wir haben bereits gesehen, wie vor allem das Bewerten und das angstbesetzte Zukunftsdenken Sorgenspiralen in Gang setzen können. Schuldgefühle, aber auch die Angewohnheit, uns ständig mit unseren Mitmenschen zu vergleichen, sind weitere Garanten für negative Emotionen und innerlichen Stress. Hinzu kommt die reichhaltige Palette an Selbstzweifeln und negativen Glaubenssätzen, die uns suggerieren, den Anforderungen der Welt nicht gerecht zu werden. Auch die Angst vor Krankheiten ist ein großer interner Stressfaktor, der viele Menschen von einer Untersuchung zur nächsten hetzen lässt, um „ja auf Nummer sicher zu gehen“.
Die heutige Forschung zeigt, dass solch „interner Stress“ in Form von negativen Gedanken die Stressreaktion des Körpers in gleichem Maße aktiviert wie reale Bedrohungen der Außenwelt. Letztlich aber führt jeglicher externe Stressfaktor über die Art und Weise, wie wir über ihn denken und diesen Lebensumstand bewerten, schließlich zu internem Stress und setzt folglich die Stressreaktion in Gang. Im Umkehrschluss können wir daher auf jegliche Art von Stresserleben positiven Einfluss nehmen, und zwar über unsere Art zu denken und zu fühlen.
Wenn das Angstzentrum feuert
In unserem Gehirn gibt es eine ganz zentrale Struktur, die darüber „entscheidet“, ob die Stressreaktion eingeleitet wird oder nicht. Es handelt sich um den Mandelkern, die Amygdala, eine paarig angelegte Region im Gehirn, die gemeinhin als „das Angstzentrum“ bezeichnet wird. Sie spielt bei der Emotionsverarbeitung im Allgemeinen, insbesondere jedoch bei Angst und Aggression, eine ganz zentrale Rolle. Als biologischer Radar für Gefahren springt die Amygdala immer dann an, wenn wir irgendeine Form von Bedrohung wahrnehmen, ob nun real in der Außenwelt oder erdacht in der Innenwelt.
Sämtliche Informationen der Außenwelt, die wir über die Sinnesorgane aufnehmen, gelangen über den Thalamus, das sogenannte „Tor zum Bewusstsein“ zur Amygdala. Bei akuten Bedrohungen wird die Amygdala auf direktem Weg, ohne Umschweife aktiviert und leitet ein blitzschnelles Reaktionsmanöver ein. Sind Sie schon einmal beim Anblick einer großen Spinne oder Schlange ganz plötzlich zur Seite gesprungen und wurde Ihre groteske Bewegung dabei gar von einem unbeabsichtigten Kreischen begleitet? Dann haben Sie erlebt, wie die Amygdala in Sekundenbruchteilen die Führung über den Körper übernimmt und das bewusste Denken umgeht. Diese automatisierten Reaktionen sind evolutionär tief in unser Gehirn einprogrammiert und ausgesprochen sinnvoll, da sie unser Überleben sichern. Ohne unseren vergleichsweise langsamen Denkapparat beanspruchen zu müssen, „entscheidet“ die Amygdala in bedrohlichen Situationen für uns und leitet eine lebensrettende Stressreaktion ein.
Die mit Abstand häufigsten Gründe für die Aktivierung der Amygdala sind in den Industrienationen allerdings psychologischer Natur. Nicht plötzlich auftauchende wilde Tiere befeuern das Angstzentrum, sondern das eigene Denken. Denn nicht nur Informationen der Außenwelt, sondern auch die Inhalte unserer Gedanken und Emotionen landen bei der Amygdala und sie entscheidet dann vereinfacht gesagt darüber, ob es sich bei diesen Informationen um ein potenziell bedrohliches Szenario handelt oder nicht. Wird das, was wir äußerlich oder innerlich erleben, als ungefährlich und harmlos eingestuft, dann bleibt die Amygdala ruhig und der Parasympathikus dominiert als nervlicher Ruhepol das Geschehen. Der Körper entspannt sich. Wenn aber das, was wir gerade erleben, ob real oder in Gedanken, eine Bedrohung darstellt, dann wird die Amygdala hochaktiv und versetzt das Gehirn in Alarmbereitschaft. Sie schickt ein Signal an den Hirnstamm, der auch gerne als Reptiliengehirn bezeichnet wird, was zur Aktivierung des Sympathikus führt. Noradrenalin flutet das Gehirn und die Nebenniere beginnt, Adrenalin und Kortisol in die Blutbahn auszuschütten. Diese Stresshormone bewirken nun, dass der Körper in den überlebenswichtigen Flucht- oder Kampfmodus übergeht. Was kurzfristig dem Überleben dient, wirkt sich langfristig jedoch negativ auf unsere Gesundheit aus. Erhöhter Blutdruck sowie ein Anstieg der Blutzucker-und Fettwerte sind die Folge und begünstigen die Gefäßverkalkung. Die Umlenkung des Blutstroms hin zur Arm- und Beinmuskulatur und weg von den Bauchorganen hat zur Folge, dass die Magenschleimhaut schlechter durchblutet wird und eine dünnere Schutzschicht aufbaut. Die aggressive Magensäure kann die Magenschleimhaut dadurch stärker angreifen, weshalb ein permanent hoher Stresspegel zu einer Magenentzündung oder gar einem Magengeschwür führen kann. Viele andere gesundheitsschädigende Folgen sind zudem auf Veränderungen des Immunsystems zurückzuführen, welches durch Stress gehörig aus der Balance gerät.
Stress und Immunsystem – von Schwertkämpfern und Bogenschützen
Seit dem Ende des letzten Jahrtausends gewinnt eine neue Forschungsdisziplin immer größere Bedeutung in der Medizin: die Psychoneuroimmunologie. Dieses Forschungsfeld gibt uns zunehmend Einblicke in die Verzahnung der Psyche mit den Funktionsweisen des Immunsystems und zeigt uns dadurch, wie Körper und Geist zusammenspielen und permanent ineinandergreifen.
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