Drogen. Barbara Gegenhuber

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sowie im oft betriebenen Mischkonsum. Vor allem in jüngster Zeit wurden teilweise extrem hohe Dosierungen bei MDMA gefunden, was zu tödlichen Überdosierungen bei Partygänger*innen geführt hat. Nicht zuletzt deswegen sind Präventionsangebote wie etwa „Drug-Checking“, also die Möglichkeit, Substanzen auf Partys auf ihre Reinheit zu überprüfen, wichtig, 15 Prozent der Befragten der oben zitierten Berliner Untersuchung wünschen sich ein derartiges Angebot. Auch Beratung sowie Informationen zum Safer Use sind auch in dieser Konsument*innengruppe von Bedeutung.

      Eine spezielle Ausprägung des Freizeitdrogenkonsums, die vor allem unter einer bestimmten Gruppe von homo- oder bisexuellen Männern verbreitet ist, wird als Chemsex bezeichnet. In der Öffentlichkeit ist das eher weniger bekannt, weil es die beiden Tabuthemen Drogenkonsum und Sexualität gleichzeitig betrifft. Bei Chemsex handelt es sich um ein vergleichsweise neues Phänomen, das sich Mitte der 2010er-Jahre von London aus in Europa ausbreitete. Selbstverständlich sind nicht alle schwulen Männer gleichzeitig Drogenkonsumenten, die meisten konsumieren nicht mehr oder weniger Drogen als andere Menschen auch. Es gibt jedoch eine spezielle Gruppe von „Men who have sex with men“ (MSM), in der der Konsum von Freizeitdrogen höher ist als in der Allgemeinbevölkerung [13]. Zu den Gründen für diese höhere Verbreitung gibt es unterschiedliche Hypothesen. Manche Männer setzen Drogen beim Sex ein, um länger feiern zu können und intensivere Gefühle beim Sex zu haben [86]. Andere versuchen ihr (sexuelles) Selbstwertgefühl zu steigern, um den Anforderungen einer bestimmten schwulen Szene, die sehr auf ein makelloses Äußeres und Attraktivität fokussiert ist, gerecht zu werden [13]. Manchen hilft der Drogenkonsum, negative Emotionen wie mangelndes Selbstwertgefühl, die Stigmatisierung aufgrund des HIV-Status oder eine internalisierte Ablehnung durch die heteronormative Gesellschaft zu überwinden [72].

      Beim Chemsex werden psychoaktive Substanzen unmittelbar vor oder während des Sex eingenommen, um diesen länger und intensiver zu erleben [38]. Mit „Chems“ sind Drogen gemeint, die den Sex intensiver oder entspannter werden lassen. Dabei spielen unterschiedliche Substanzen eine Rolle, wobei neben Alkohol, Cannabis und Poppers, Mephedron, GHB/GBL und Crystal Meth zum Einsatz kommen. Auch Kokain und Ketamin sowie Amphetamine sind gängige Substanzen in diesem Zusammenhang. In der Regel werden Drogen konsumiert, die stimulierend, euphorisierend und leistungssteigernd wirken. Die psychische Enthemmung begünstigt das sexuelle Erleben, die muskelentspannende Wirkung mancher Drogen ist für einen lang andauernden Verkehr förderlich. Substanzen wie Crystal Meth, GHB/GHL und Mephedron können außerdem die sexuelle Erregung steigern. Häufig werden mehrere Substanzen gleichzeitig oder abwechselnd konsumiert, nicht selten auch zusammen mit Alkohol. Am Ende eines Wochenendes mit Sex und Drogen werden manchmal beruhigende und schlaffördernde Substanzen eingenommen, um für den folgenden Arbeitstag wieder fit zu sein.

       Substanzen

       GHB/GBL

      GHB (Gammahydroxybuttersäure) und GBL (Butyro-1,4-lacton) sind in der Szene auch unter dem Namen „Liquid Ecstasy“ bekannt, obwohl weder Wirkung noch chemische Zusammensetzung jener von Ecstasy ähnlich sind. In niedrigen bis mittleren Dosierungen ist es leicht euphorisierend, angstlösend, enthemmend, erleichtert den sozialen Kontakt und wirkt sexuell stimulierend, ähnlich wie Alkohol. In hohen Dosen kann es zu einem plötzlichen komaähnlichen Schlaf kommen, aus dem die Betroffenen kaum zu wecken sind, der Unterschied in der Dosiermenge ist gering. GHB ist auch als „Date Rape Drug“ bekannt, da es Berichte darüber gibt, dass die farblose Flüssigkeit Frauen in Diskotheken unbemerkt ins Getränk geschüttet wurde, um sie anschließend im bewusstlosen Zustand zu missbrauchen. Durch die substanzbedingten Gedächtnislücken sowie die geringe Nachweisdauer ist dies in vielen Fällen nur schwer zu belegen.

       Ketamin

      Bei Ketamin handelt es sich um ein Narkosemittel, das überwiegend in der Tiermedizin angewendet wird. In niedrigen Dosierungen kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung von Raum und Zeit und einer leicht euphorischen Wirkung, bei höheren Dosierungen zu einer Verschmelzung mit der Umwelt, auch Halluzinationen sind möglich. Bei Überdosis kann es zu Bewusstlosigkeit, Koma und Atemdepression kommen. Ketamin ist als weißes, meist kristallines Pulver am Schwarzmarkt erhältlich und wird vorwiegend gesnieft.

       Mephedron/MMC

      Mephedron gehört zur Gruppe der synthetischen Cathinone und wirkt antriebssteigernd und euphorisierend, es ist als Pulver oder in Tablettenform erhältlich. Da es zu den „Neuen psychoaktiven Substanzen“ gehört, ist über Wirkungsweise, Risiken und Langzeitfolgen noch wenig bekannt (siehe Kapitel „Kleine Substanzkunde“).

       Poppers

      Poppers ist ein Sammelbegriff für in kleine Glasfläschchen abgefüllte Nitritverbindungen, deren Dampf nach dem Öffnen der Ampullen inhaliert wird. Dies führt zu einem kurzfristigen High-Gefühl, aber auch zu einer Entspannung der glatten, vaskulären Muskulatur, weswegen sie auch beim Analverkehr verwendet werden.

      Chemsex ist in der schwulen Partyszene vieler europäischer Länder zu finden, am häufigsten in englischen Städten wie London oder Manchester, gefolgt von Amsterdam und Barcelona, aber auch Berlin oder Wien haben eine Chemsex-Szene [92]. Die manchmal Tage dauernden privaten oder (halb-)öffentlichen Chemsex-Partys sind häufig über den Freundeskreis oder spezielle Online-Plattformen organisiert, in denen sich User als „chemfriendly“ ausweisen. Spezielle mobile Dating-Apps spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Bei den Konsumenten handelt es sich nicht um „klassische“ Drogenkonsumenten, sie betrachten sich zumeist auch nicht als solche. Es handelt sich häufig um eher gut gebildete, sozial integrierte Personen der Mittel- bis Oberschicht, die im Berufsleben stehen und am Wochenende dem Alltag mit berauschenden Chemsex-Partys entfliehen.

      Was so organisiert und harmlos klingt, ist es aber nicht. Zu den weiter oben bereits beschriebenen Risiken des Freizeitdrogenkonsums kommt beim Chemsex ein weiteres Risiko dazu, die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV, Hepatitis C, Gonnorhö (Tripper) oder anderen Geschlechtskrankheiten. Der Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Risikobereitschaft ist komplex, das höchste Risiko besteht jedoch darin, dass es im Zuge der Enthemmung zu ungeschütztem Sexualverkehr kommt. Der Sex unter Drogeneinfluss dauert oft auch länger, manche Drogen trocknen darüber hinaus die Schleimhäute aus, was das Risiko von Verletzungen beim Verkehr zusätzlich erhöht. Dazu kommt, dass auf Chemsex-Partys häufig zu Verkehr mit wechselnden Partnern kommt, alles zusammen erhöht das Risiko der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten [97]. Nicht zuletzt dieses Risiko macht spezifische Präventions- und schadensminimierende Angebote notwendig. Kam oder kommt es beim Chemsex zu einem Kontrollverlust mit ungeschütztem Verkehr, können PrEP2 (Prä-Expositions-Prophylaxe) und PEP3 (Postexpositionsprophylaxe) zumindest vor einer Infektion mit HIV schützen, das Risiko für die Übertragung anderer Krankheiten ist jedoch nach wie vor gegeben.

      Auch wenn das Phänomen Chemsex vorwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben, beschrieben wird, darf nicht vergessen werden, dass auch heterosexuelle Kontakte oft mit Berauschung einhergehen. Das Mittel der Wahl ist hier zumeist der Alkohol, der zur Enthemmung und Steigerung der Kontaktfreudigkeit eingesetzt wird. Darüber hinaus gibt es vermehrt Berichte, dass auch bei Heterosexuellen zunehmend andere Substanzen zur Förderung des sexuellen Erlebens eingesetzt werden, von Crystal Meth bis Mephedron, Substanzen, die in der homosexuellen Chemsex-Szene auch in Gebrauch sind.

      Ganz unabhängig davon, wozu psychoaktive Substanzen im Freizeitbereich eingesetzt werden, hören die meisten Menschen, die Freizeit- oder Partydrogenkonsum betreiben, irgendwann auch wieder damit auf, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Lebensumstände ändern sich, andere Dinge werden wichtiger, der Konsum selbst ist nicht mehr so interessant, wie er einmal war. Dennoch bleibt das Risiko, eine Abhängigkeit schleichend zu entwickeln; die Grenzen zwischen genussvollem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend.

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