Seidenkinder. Christina Brudereck

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Seidenkinder - Christina Brudereck

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sich so ins Zeug legen, um zu beweisen, dass man es schaffen konnte, und dann trotzdem den anderen so von Herzen ihren Erfolg gönnte. Irgendetwas war hier völlig anders, als er es sonst kannte.

      Gegen neun Uhr gingen die beiden Erzieher durch die Zimmer und riefen alle Kinder zum Abendgebet zusammen. Sie setzten sich im Gemeinschaftsraum, in dem auch gegessen wurde, in einem großen Kreis auf Matten auf den Boden, einige hatten Trommeln mitgebracht, alle ihre selbst gestalteten Liederbücher, und dann begannen sie laut zu singen. Raja setzte sich mit in den Kreis und hörte fasziniert zu. Die Gäste hatten sich außerhalb des Kreises auf Stühle gesetzt und waren auf ihre Weise ebenso begeistert von dem Gesang der Kinder.

      Nach ein paar Liedern sagte Jaya: „Heute erzähle ich euch eine Geschichte, die mir eine schwarze Freundin aus Amerika einmal erzählt hat. Unsere Gäste haben weiße Haut, aber auch in ihrem Land gibt es Menschen, die dunkelhäutig sind. Ihr könnt sie gerne danach fragen, wie es dazu gekommen ist, nicht wahr?“ Er wandte sich fragend an die vier Männer, die sofort bereitwillig nickten.

      Jaya sagte: „Ich bin der Dunkelste in meiner Familie, aber meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich schön bin und liebenswert. Und ich habe mich entschieden, ihr zu glauben. Sie hat uns Kinder immer alle gleich behandelt. Sie war darin ein großes Vorbild, finde ich. Andere würden zum Beispiel die Jungen vorziehen, aber meine kleine Schwester bekam genauso viel zu essen wie wir Brüder. Aber jetzt Schluss damit, kommen wir zur Geschichte.“

      Jaya hatte für diesen Abend eine Geschichte ausgewählt, die die Kinder verstehen würden und die die Gäste an seinen Gedanken teilhaben lassen konnte. Und so begann er zu erzählen:

      „Es war zu der Zeit, als Schwarze zum allerersten Mal Land kaufen durften, ein kleines Grundstück und ein eigenes Haus bauen; leicht, aus Holzbrettern; Kälte hielt das nicht ab, aber den Regen. Joanne wohnte zusammen mit ihren Eltern und vielen Geschwistern, ihren Tanten und Onkels und vielen Cousinen und Cousins, insgesamt an die zwanzig Kinder, in der Farmgegend. Hier arbeiteten die Erwachsenen auf dem Feld.

      Eines Tages spielten die Kinder zusammen, als es plötzlich anfing zu regnen. Ein Sturm zog auf, der Himmel wurde dunkel, Tante Serena war die Einzige, die da war, und sie rief die Kinder ins Haus.

      Ein Gewitter krachte und blitzte. Es regnete wie aus Eimern und der Sturm rüttelte an dem kleinen Haus.

      Und dann traute Joanne ihren Augen nicht. Sie saßen alle zusammen in ihrem Holzhäuschen und plötzlich wurde eine Ecke des Hauses hochgehoben; es war einfach zu leicht. Da sagte ihre Tante Serena:

      ,Kinder, haltet euch an den Händen und geht mit mir zu der Ecke, wo das Haus wegfliegt, der Stelle, wo das Haus am leichtesten ist, und stellt euch mit eurem ganzen Gewicht gegen das Wetter.`

      Sie taten sofort, was sie sagte. Alle blieben, niemand rannte weg und ließ das Haus im Stich. Sie waren eine Gruppe wie wir, an die zwanzig Kinder, Verbündete, die sich an den Händen hielten und die dann mal da und mal dort in die nächste Ecke gingen, sich an die Wand lehnten und wieder zurück in die Ecke gingen. Der Sturm zog vorbei und das Haus war stehen geblieben.“

      Jaya schwieg für einen Moment und sagte dann: „Ich sage euch, warum ich diese Geschichte mag und was sie mir sagt. Dieses Erlebnis von Joanne ist eine Erfahrung, die ich auch immer wieder mache. Das Leben nimmt uns an die Hand. Wir stehen zusammen auf. Jeder einzelne Mensch hat Gewicht. Wir sollen uns gegen das Wetter stellen. Wir müssen zusammen in die Ecken gehen, wo diese Welt am schwächsten ist, wo das Lebenshaus von Familie Mensch am leichtesten auseinanderfliegen kann.“

      Und damit stand er auf und sagte: „Kommt, lasst uns einen großen Kreis bilden und auch unsere Gäste und Raja mit hineinnehmen. Lasst uns einander an den Händen fassen und beten.“ Mit ein paar wenigen Worten bat Jaya seinen Gott um Segen und Schutz für die Nacht. Sie sangen ihr Gutenachtlied, ein Kinderlied, untermalt von Trommeln:

       Segensreiche Nacht.

       Die Engel singen.

       Denn das Licht des Himmels kam zur Welt, liegt in seinem Bett, in einer Krippe.

       Seine Mutter gibt ihm einen Kuss und singt ihm ein Schlaflied.

       Segensreiche Nacht.

      Kapitel 7

      Das Geräusch des Motorrollers unterbrach Priya in ihren Gedanken. Sie lief, um das kleine Tor zu öffnen, aber als sie dort ankam, war Ganesh bereits vor ihr angekommen und ließ Jaya in den Hof fahren. Wo war der Kleine denn plötzlich hergekommen? Er war so leise und so unauffällig wie ein Chamäleon, das sich seiner Umgebung anpasste, um nicht entdeckt zu werden. Er schien jahrelange Übung darin zu haben, nicht aufzufallen, man musste das schon fast als eine besondere Fähigkeit betrachten.

      Jaya war um das Haus herumgefahren, hatte geparkt und kam jetzt auf sie zugelaufen. Er grüßte mit einem Lachen und hielt eine kleine Tüte in der Hand, die er, als er näher kam, schwenkte, um sie neugierig zu machen. Sie erkannte das Papier, rosafarbene Servietten, in die der Bäcker in der Nähe des Kinderheims die köstlichen Süßigkeiten einwickelte.

      Jaya hatte ihr schon früher häufiger Süßigkeiten gekauft, aber in letzter Zeit brachte er ihr immer öfter solche kleinen Aufmerksamkeiten mit. Vielleicht, weil er es sich jetzt leisten konnte, wie um die früheren Jahre des Verzichts ein wenig auszugleichen. Vielleicht, weil auch er ahnte, dass sie nicht mehr lange da sein würde, und man die Lebenden mit Aufmerksamkeiten bedenken sollte, denn die Toten zu beschenken, würde nicht viel Sinn machen.

      Sie nahm die Papiertüte entgegen, öffnete sie, zog den süßen Duft von Mandeln, Kokos und Zucker ein und griff sofort mit zwei Fingern nach einer Makrone, schob sie sich in den Mund, verspielt, wie ein junges Mädchen, und kaute genussvoll auf der klebrigen Masse herum. Sie strahlte. Sie bot auch ihm davon an, aber er lehnte dankend ab, wie sie es schon vermutet hatte. Sie reichte die Papiertüte weiter an Ganesh, der sich erst nach einer weiteren Aufforderung traute, eins der leckeren Plätzchen für sich zu nehmen. Alle miteinander gingen sie ins Haus.

      Kaum hatte sich Jaya in seinen Sessel gesetzt, brachte Ganesh ihm eine Tasse frischen Tee: geriebener Ingwer, Zitrone und Zucker mit ein paar Blättern Schwarztee in einer großen Kanne mit heißem Wasser aufgegossen. Jaya lehnte sich zurück und wartete, dass seine Mutter anfangen würde, zu reden. Er konnte ihr ansehen, dass sie sich kaum noch zurückhalten konnte, wusste aber auch, dass sie aus Rücksicht auf ihn noch einen Moment wartete, bis er sich etwas entspannt hatte und zu Hause angekommen war. Er nickte ihr zu.

      Priya gab sich gar nicht erst die Mühe, ihre Gedanken zu ordnen, sondern überließ es Jaya, sich aus dem bunten Angebot ein Thema herauszusuchen, dem er zuerst nachgehen wollte. Und so sprach sie ohne Pause, in einem Fluss, schnappte nur hin und wieder kurz nach Luft und erzählte von ihren Beobachtungen gestern Abend, fragte nach den Gästen und ob er ihnen auch die Geschichte von Doktor Ida erzählt habe, wie er es oft mit Gästen tat, erwähnte kurz die Saatgut-Satyagraha der Reisbauern in Chattisgarh, die sie im Fernsehen gesehen hatte, brachte ganz beiläufig ins Spiel, dass sie bemerkt hatte, dass die Gäste ihn angestrengt hatten, fragte nach, ob ihm die Mango geschmeckt hatte und das Essen, sagte ein paar wohlwollende Worte über Ganesh, hielt nicht zurück, dass sie sich über Shantis Mutter ärgerte, die ihre Tochter Ornamente mit Kreide malen ließ statt mit zermahlenem Reis, warf kurz ein, dass sie wirklich froh sei über die guten Niemblätter, sagte, dass ihr wieder eingefallen war, dass der Palar früher,

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