Darky Green. Adrian Plass
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Читать онлайн книгу Darky Green - Adrian Plass страница 12
Das Hauptmerkmal des Zimmers waren die unzähligen Bücher darin. Lances Zimmer vermittelte einem die Illusion, als bestünde es aus lauter Büchern, sodass alle Flächen mit Ausnahme der Decke etwas anheimelnd Unebenes an sich hatten. Es sah aus wie in weiches Gestein hineingemeißelt. Jede verfügbare Fläche an den vier orange gestrichenen Wänden war mit hölzernen Regalbrettern auf weißen Metallhalterungen bedeckt. Und da niemand sich bisher die Mühe gemacht hatte, die Regalbretter an den Halterungen festzuschrauben, war es in der Vergangenheit schon häufig zu spektakulären Katastrophen gekommen. In seiner Begeisterung, ein Buch, das er gelesen hatte, herauszuziehen und seinen Freunden zu zeigen, stieß Lance versehentlich mit der Schulter oder dem Ellbogen unter das Ende des Regalbretts, sodass sich eine ganze Reihe von Büchern, hilflos mit den Seiten rudernd wie würdevolle alte Herren, die aus dem Gleichgewicht geraten waren, wasserfallartig auf den Fußboden ergoss. Immer, wenn das passierte, johlten und schrien die Anwesenden und tanzten herum und verstärkten mit Gusto das Chaos, bevor sie mithalfen, die Bücher wieder aufzustellen, und mit ironischer Ernsthaftigkeit nickten, wenn Lance ihnen versicherte, gleich am nächsten Tag nun endlich die Regale richtig anzubringen. Natürlich tat er das nie, und Tom war, wenn auch mit einem leisen Schuldgefühl, froh darüber. Manche Dinge erzeugten eine gewisse Gemütlichkeit, indem sie sich immer wiederholten, und er hatte sowieso einen Hang zum Episodenhaften. Das Leben musste für ihn etwas von einer Seifenoper haben.
Heute jedoch sah es nicht so aus, als ob es einen Anlass zum Gelächter geben würde. Der arme Lance. Es sah wirklich so aus, als ob er wieder einmal unterwegs in seinen tiefsten Keller war.
Mindestens eine Minute lang sagte keiner etwas.
»Mum hat euch angerufen, schätze ich, was?«
»Lance, deine Mum hat angerufen und gefragt, ob wir mal bei dir vorbeischauen könnten. Sie sagte, du wärst ein bisschen niedergeschlagen. Stimmt das?«
Wieder senkte sich Stille über sie.
Beth hatte sich auf den Boden gesetzt, gerade außerhalb von Lances Blickrichtung, und sich mit dem Rücken an einen einigermaßen stabil aussehenden Abschnitt der allgegenwärtigen Bücherregale gelehnt. Hier unten waren sie mit mächtigen Bänden gefüllt, die wie Nachschlagewerke aussahen und sich auch so anfühlten. Tom lungerte unschlüssig am Ende des Bettes herum und überlegte, was er sagen könnte, falls es erforderlich werden sollte, dass er etwas Hilfreiches beitrug. Als Beth ihre Frage gestellt hatte, fiel sein Blick auf mehrere Blätter bedruckten Papiers, die neben Lance auf dem Bett ausgebreitet lagen. Das sah verdächtig nach seinem langen Brief aus, den er in den frühen Morgenstunden nach jener Zugfahrt, die dazu geführt hatte, dass er sich in seiner Welt nicht mehr sicher fühlte, eingetippt hatte. Oje. Zum ersten Mal fragte er sich, ob es vielleicht eine blöde Idee gewesen war, diese Litanei der Furcht und des Unbehagens ausgerechnet an jemanden zu schicken, der so angreifbar war wie Lance. Er ließ sich in den Klappsessel fallen, der manchmal als Gästebett herhalten musste, und kaute unruhig auf der Haut am mittleren Gelenk seines Zeigefingers herum, während er darauf wartete, dass Lance etwas sagte. Er hätte darauf gewettet, dass es eine Frage sein würde. So war es auch.
»Wenn jemand euch etwas vom ›wirklichen Leben‹ erzählen würde«, sagte Lance endlich mit tonloser, kraftloser Stimme und schaute dabei weiter durchs Fenster hinaus, »was würdet ihr denken, wovon er redet?«
Tom und Beth wechselten einen Blick. Tom hörte auf, an seiner Hand zu nagen, hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf.
Beth stand auf und setzte sich neben Lance aufs Bett. »Nun ja«, sagte sie unsicher, »ich schätze, er würde von dem sprechen, was im Leben wirklich ist – oder?«
Der gutgemeinte, schwächliche Versuch einer Antwort schwebte zitternd wie eine Seifenblase durch die Luft, bis sie an Lances Büchern zerplatzte und für immer verschwand. Wieder herrschte lange Zeit Schweigen, bis Lance sein Gewicht ein wenig verlagerte, einen Seufzer durch die Nase ausstieß und weitersprach.
»Also, ich glaube, ich kann euch sagen, was damit meistens gemeint ist«, sagte er. »Ich habe in letzter Zeit eine Menge darüber nachgedacht. Es ist genauso wie mit dem Gerede von der wirklichen Welt, das man immer hört. Ihr wisst, was ich meine. Wenn jemandem etwas Unangenehmes passiert und die Leute dann sagen: ›Willkommen in der wirklichen Welt.‹ Kennt ihr das? Für sie bedeutet ›wirklich‹, dass es auf keinen Fall gut sein kann. Wirklich ist immer grauenhaft. Es kann nur schmutzig oder schäbig oder verdorben oder brutal oder deprimierend bedeuten. Und jeder, der dem nicht zustimmt, ist ein Weichling, der sich Illusionen hingibt und irgendwie oberflächlich durchs Leben spaziert, weil er nicht bereit oder unfähig ist, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.«
Er nickte leicht, wie zur Bestätigung seiner eigenen Worte.
»Wisst ihr, solche Leute würden zum Beispiel sagen, dass Dinge wie Freundschaft, Treue, Einkäufe für den Nachbarn erledigen und – und zusammen über kleine Alltäglichkeiten lachen einfach nur eine Art naiver Luxus sind. Man kann sie nur haben und genießen und so tun, als wären sie echt, indem man die Augen vor der Tatsache verschließt, dass sich gleich unter der Oberfläche aller Dinge eine riesige, hässliche Schlange des Elends und der Widerwärtigkeit zusammenrollt und hungrig darauf wartet, all die kleinen, zwitschernden hübschen Dinge zu verschlingen, die sowieso niemals wirklich waren. Frieden ist ein sinnloser Traum. Gemeinschaft ist eine erbärmliche Verleugnung der Tatsache, dass letzten Endes jeder von uns vollkommen allein ist. Zivilisation ist nicht mehr als eine oberflächliche Vereinbarung, dass wir alle so tun wollen, als wären wir nicht unzivilisiert.«
Schweigen.
»Aber dieser Meinung bist du doch nicht, oder, Lance?« Beth drehte mitfühlend ihre verschränkten Hände nach außen, als sie antwortete. »Du würdest doch sagen, dass die guten Dinge genauso wirklich sind wie die schrecklichen, das weiß ich.« Sie dachte ein paar Sekunden lang nach, bevor sie langsam weitersprach. »Ich weiß noch, wie du mir einmal gesagt hast, dass du in den Zeiten, wenn du mitten in deinen schrecklichen Depressionen stecktest, immer vom Licht geträumt hast, aber wenn du dann – weißt du – endlich wieder ins Licht gekommen bist, nie das geringste Verlangen danach hast, das Licht wieder auszulöschen, weil das Licht der Ort ist, wo du wirklich hingehörst. Darüber habe ich immer wieder nachgedacht, seit du das gesagt hast. Das bedeutet doch wohl, dass deiner Meinung nach das Gute mächtiger ist als das Böse, oder?«
»Ich habe nie schwimmen gelernt, wisst ihr«, erwiderte Lance.
Natürlich wussten sie es. Sie wussten aus Erfahrung, dass Lance sich entsetzlich davor fürchtete, im Wasser den Boden unter den Füßen zu verlieren. Außerdem wussten sie, dass von seinen scheinbar belanglosen Äußerungen immer wieder eine Schleife zurück zum Thema führte. Es war nur eine Frage der Geduld. Abwarten.
»Man sagt doch, das zwei Drittel der Erdoberfläche von Wasser bedeckt sind, oder? Das weiß ich, seit Miss Weston es uns erzählt hat, als wir sechs waren. Erinnert ihr euch an Miss Weston?«
Sie nickten. Natürlich.
»Ich fand das schon damals ein bisschen beängstigend. Mir kam es so vor, als müsste die Welt sich nur ein bisschen verschieben oder kippen und unsere kleine trockene Welt würde überflutet und wir müssten alle ertrinken. Also, ich