Darky Green. Adrian Plass

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Darky Green - Adrian Plass страница 9

Darky Green - Adrian Plass

Скачать книгу

      Wie Noreen war auch June Witwe geworden, als Robert noch ein ganz kleiner Junge war, und für die beiden Männer, mit denen sie seither eine Beziehung aufzubauen versucht hatte, war das Leben durch ihren Sohn schier unerträglich geworden. Sie hatte auch aufgehört, Robert gegenüber anderen Leuten zu verteidigen. In der Vergangenheit hatte sie das oft getan. Sie hatte geglaubt, damit im Recht zu sein. Jetzt nicht mehr. Schließlich konnte sie nicht unendlich oft immer wieder behaupten, dass ihr hartnäckig delinquenter Sohn im Grunde ein guter Junge sei. Er war kein guter Junge. Seit sie die Erkenntnis, was für einer er war, akzeptiert hatte, war sie für June zu dem Albtraum geworden, aus dem sie nie wieder zu erwachen fürchtete. Ihr Sohn war ein grauenhafter Mensch, der sich offenbar um nichts und niemanden scherte. Sie hatte versagt. So sah sie das.

      Das eine oder andere Mal, wenn Noreen vormittags auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen war, hatte June ein altes Fotoalbum aus der Schublade im Wohnzimmer genommen und ihrer Freundin Bilder von dem kleinen Bobby gezeigt, im Garten oder mit seinem Vater auf dem Spielplatz gleich gegenüber von ihrem Haus auf der anderen Straßenseite. Einige waren am Meer entstanden und zeigten ihn, wie er neben seiner Mutter auf einer Decke saß und mit einer Plastikschippe in die Kamera winkte oder wie er in den seichten Wellen am Ufer planschte. Selbstbewusst, begeistert und unschuldig sah er aus auf all jenen Bildern. Wenn Noreen an das abgemagerte Gespenst dachte, das heute den lieben langen Tag vor dem Fernseher herumfläzte oder in gebückter Haltung durch die Straßen von Lipsham streifte, kam es ihr so vor, als hätten diese beiden Menschen überhaupt nichts miteinander zu tun.

      Während Noreen sorgfältig Möhren, Pastinaken und Kartoffeln für die Lammkoteletts aus dem Sonderangebot auswählte, die sie am Sonntag für sich und Lance zum Mittagessen machen wollte, fühlte sie sich ein wenig schuldig wegen ihrer eigenen Sorgen. Lance hatte ihr nie solchen Kummer gemacht, wie June ihn durch Robert hatte. So weit sie sich zurückerinnern konnte, hatte er immer ein freundliches, liebevolles Wesen gehabt. Schon ganz zu Anfang seines Lebens war er eines jener »freundlichen« Babys gewesen, wie Noreen sie immer genannt hatte. Natürlich hatte er manchmal auch geschrien. Schließlich müssen Babys sich ja irgendwie mitteilen, oder? In der winzig kleinen Welt eines Babys konnte ganz plötzlich irgendetwas schiefgehen, und das musste auf der Stelle in Ordnung gebracht werden. Das verstand sich von selbst. Meistens jedoch hatte Lance fast die ganze Zeit, solange er wach war, so friedlich und zufrieden gestrahlt, wie es die meisten Babys immer nur in den wenigen Minuten unmittelbar nach einer ordentlichen Mahlzeit tun. Er war nie kompliziert gewesen.

      Und er hatte, nun, eine Art Weisheit an sich gehabt, schon damals, als er noch ganz klein war. Eigentlich eine alberne Vorstellung. Sie war seine Mutter. Diejenige, die verantwortlich für ihn war. Diejenige, die sich um ihn kümmerte. Ja, Lance war nur ein hilfloses Baby. Und doch war da etwas in jenen gelassen lächelnden Babyaugen, die zu ihr emporschauten, etwas so Zuversichtliches, so Sicheres und Heiteres, dass es Noreen fast so vorkam, als wäre sie das bedürftige Kind und Lance derjenige, der mit seinem Schmunzeln das Leben bis in die Tiefe durchschaute und seine Weisheit mit ihr zu teilen bereit war. Ja, ein freundliches Baby.

      Hätte nur Derek noch erleben können, zu was für einem liebenswerten Menschen sich sein Sohn entwickelt hatte. Derek und sein Sohn hatten so vieles gemeinsam. Beide waren sehr stille Menschen. Empfindsam. Sanft und nachdenklich.

      Dann war da die ganze Sache mit den Büchern. Für Vater und Sohn war es die größte Wonne, sich mit Büchern zu umgeben. Und sie waren beide Dichter. Sie hatte alle Gedichte von Derek behalten und sie Lance in einer besonderen Mappe geschenkt, als er achtzehn war. Diese blaue Ledermappe voller handgeschriebener Gedichte hatte ihren Platz auf einem Regal direkt neben seinem Bett. Sie war sein kostbarster Besitz. Von Derek war nie etwas gedruckt worden, aber von Lance waren schon eine ganze Menge Texte in Zeitschriften erschienen, einer oder zwei sogar in richtigen Büchern, die Sammlungen von Gedichten von allen möglichen Leuten enthielten. Und offen gesagt, verstehen musste man die Gedichte nicht unbedingt, um stolz darauf zu sein.

      Ja, Noreen war sehr stolz auf ihren Sohn. Nachdem er an der Universität von Aberystwyth (so weit von zu Hause) den bestmöglichen Abschluss in Bibliothekswesen und Englisch gemacht hatte, hatte er in Kington eine Stellung als Bibliotheksassistent gefunden. Keine drei Jahre später hatte man ihn zum Leiter der Bestandsabteilung befördert und nun entschied er, welche Bücher angeschafft oder verkauft wurden, und beriet auch andere Bibliotheken in der Gegend.

      Nette Freunde hatte er auch. Vor allem drei. Tom und Beth, die beide ein Jahr jünger waren als er, kannte er natürlich schon seit der Grundschule. Der umwerfende Olly, frisch an der Universität eingetroffen, um sein Wirtschaftsstudium zu beginnen, war der allererste Mensch gewesen, den Lance bei seiner Ankunft im Studentenwohnheim in Aberystwyth kennen gelernt hatte. Olly hatte sich um Lance gekümmert. Und ein Jahr später waren Tom und Beth, die auf alle guten Ratschläge pfiffen, man dürfe sich seine Universität nicht danach aussuchen, ob ein Freund bereits dort sei, ebenfalls eingetroffen, um ihr Studium zu beginnen. Seither waren die vier unzertrennliche Freunde, so unterschiedlich sie auch waren. Noreen fand sie alle großartig, aber für Olly hatte sie besonders viel übrig. Wie sie wusste, hatte er eine schicke Wohnung auf der Hove-Seite von Brighton. Das war die Gegend, in der er die meisten seiner Häuser und Wohnungen kaufte und verkaufte. Sie wünschte, er würde nicht so weit von Lipsham entfernt wohnen, damit Lance und er sich öfter sehen könnten, besonders im Moment.

      Wenn die Freunde alle vier zusammen waren, schienen sie immer einen unglaublichen Spaß miteinander zu haben. Es tat gut, Lance laut lachen zu hören.

      Wirklich, dachte Noreen, als sie ihre Nummer an der Käsetheke aus dem Spender zog und sich auf den Einkaufswagen stützte, um zu warten, bis sie an der Reihe war, sie hatte allen Grund, sich über Lance zu freuen. Jeden Grund. Bis auf einen.

      Eine Entscheidung hatte Noreen im Supermarkt noch zu treffen, nachdem sie sich mit Käse und geräuchertem Schinkenspeck und einem Dreiviertelpfund von dem leckeren panierten Schinken eingedeckt hatte, den sie letzte Woche probiert hatten. Apfelkuchen. Sollte sie Zeit sparen und sich aus der Tiefkühltheke einen eingefrorenen Kuchen von der Hausmarke holen oder sollte sie noch einmal zurück in den ersten Gang gehen und ein paar schöne, große Kochäpfel holen, damit sie selbst einen machen konnte? Noreen schüttelte den Kopf und wunderte sich wie jedes Mal, dass sie sich diese Frage überhaupt stellte. Nun ja, möglich war es ja, dass einmal ein Tag kommen würde, an dem sie sich für den Fertigkuchen entscheiden würde, aber nicht heute. Sie wendete den Einkaufswagen und steuerte zurück in die Frischobstabteilung.

      Eine schlechte Eigenschaft gab es, die Lance mit seinem Vater gemeinsam hatte. Noreen hatte keine Ahnung, ob sie erblich war oder nicht. Manchmal hatte sie sich schon gewünscht, dass es definitiv so wäre. Dann wieder quälte sie gelegentlich der Gedanke, irgendetwas an ihr müsse schuld an den schrecklichen finsteren Abgründen der Depression sein, in denen beide von Zeit zu Zeit versanken. Derek hatte das in der Zeit, seit sie ihn kennengelernt hatte, drei Mal durchgemacht. Das letzte Mal war es etwa ein Jahr, bevor er an der schrecklichen Krebserkrankung starb, die seinen ganzen Körper gelb verfärbte und ihn von innen her aufzufressen schien wie ein wildes Monster.

      So sehr sie sich auch bemühte, Noreen hatte es einfach nicht geschafft, sich mit den Sorgen zu identifizieren, die Derek in diesen letzten seiner schwarzen Tunnels geschickt hatten. Soweit sie feststellen konnte, fing es damit an, dass er über die unzähligen Generationen von Männern und Frauen nachgrübelte, die während der Menschheitsgeschichte gelebt hatten und gestorben waren. Er hatte davon geredet, wie dieser ganze Prozess sich dahinwälzte wie eine riesige, geistlose, unaufhaltsame Maschine. Wieso versuchten wir erbärmlichen Menschenwesen uns einzureden, das Ganze hätte irgendeine Bedeutung? Das Nachdenken über all das machte ihn allmählich mürbe und saugte ihm die Energie aus, die er brauchte, wenn er weiter so tun wollte, als ob irgendetwas von alledem auf lange Sicht einen Sinn hatte.

      Dann hörte er auf, so viel zu reden, und verschwand in seinen Büchern. Das war das Muster; so hatte Noreen das schon zuvor erlebt. Er

Скачать книгу