Darky Green. Adrian Plass

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Darky Green - Adrian Plass страница 6

Darky Green - Adrian Plass

Скачать книгу

trug der Mann eine Uniform. War dieser Vertreter der Obrigkeit in der Lage, mich vor dem grauenhaften Schicksal zu erretten, das mich erwartete? Der Schaffner war ein kleiner, schmächtiger, liebenswürdiger Mann, unter dessen Uniformmütze graue Haarbüschel hervorlugten. Er nannte uns alle »Herrschaften«. Der Mann, der mir gegenübersaß, pflückte ein paar Geldscheine aus einem dicken Bündel und bezahlte damit den Aufpreis für die erste Klasse und der Schaffner entschuldigte sich bei ihm dafür, dass er ihm das Wechselgeld nur in Ein-Pfund-Münzen geben konnte. Die Chance, dass dieser freundliche Zeitgenosse den Männern an meinem Tisch mit irgendwelcher Autorität begegnen konnte, war äußerst gering. Meine Hoffnung und meine Willenskraft lösten sich in Nichts auf. Ich sagte nichts und er ging weiter.

      Eine Stunde später hatte sich nichts verändert. Du ahnst nicht, was für eine lange Zeit eine Stunde sein kann, Lance. Doch in mir war der Same einer winzigen Hoffnung aufgekeimt. Angenommen, ich hatte alles völlig falsch aufgefasst. Angenommen zum Beispiel, diese Männer waren es nicht gewohnt, erster Klasse zu fahren, hatten es vielleicht noch nie zuvor getan, und waren, als sie mich sahen, aus irgendeinem Grund davon ausgegangen, man müsste erst einmal den Tisch auffüllen, bevor man einen neuen besetzte. Es bestand doch die entfernte Möglichkeit, dass nur so eine lächerliche, simple und harmlose Kleinigkeit hinter alledem steckte. Oder? Die Leute kommen doch ständig auf die komischsten Ideen. Angenommen, ich würde den Mann gegenüber von mir einfach mal ansprechen? Könnte es nicht sein, dass sein Gesicht sich völlig unerwartet zu einem Lächeln verziehen und dass seine Antwort all meine Befürchtungen zerstreuen würde? Wie herrlich, wenn es sich so herausstellen würde! Ich war tatsächlich drauf und dran, etwas zu sagen, aber gerade als ich den Mund aufmachte und das erste Wort meines Satzes aussprechen wollte, fiel mein Blick auf das Lächeln des Mannes, der mir schräg gegenübersaß, und ich wusste mit zweifelsfreier Klarheit, dass zumindest er auf keinen Fall so naiv war.

      Oh, Lance, es war nicht nur die Angst, unter der ich litt, während die Reise ihren Lauf nahm. Es war auch die Demütigung. Die müssen doch gewusst haben, dass ich wusste, dass sie wussten, dass es unerhört und grotesk von ihnen war, dass sie mich so bedrängten und mir eine Todesangst einjagten. Und ich ließ es mir gefallen. In meiner Jämmerlichkeit ließ ich mich auf die Fiktion ein, es wäre vollkommen nachvollziehbar, dass ein Trio von Männern, die aussahen wie Mörder, es darauf anlegte, durch dieses seltsame Verhalten mein Herz zum Stillstand zu bringen.

      Wenn ich die völlig absurde Natur der Situation zur Sprache brachte, konnte es gut sein, dass ich damit den Gewaltausbruch provozierte, vor dem ich mich so sehr fürchtete und der früher oder später wahrscheinlich sowieso kommen würde. Ich saß reglos da wie festgefroren und sagte gar nichts.

      Noch eine halbe Stunde Fahrt lag vor mir. Noch einmal zermarterte ich mir das Hirn und versuchte irgendeinen Hinweis zu finden, warum mir das alles widerfuhr. Es musste doch einen Grund geben. Hatte ich irgendwann in der Vergangenheit jemanden so sehr beleidigt, dass die betreffende Person sich ihre Wut so lange aufgespart hatte, bis sie endlich das Geld oder die Gelegenheit hatte, mich in diese Horrorsituation zu bringen? Ich fragte mich, was es wohl kostete, drei Schläger anzuheuern, um sich auf diese Weise an irgendjemandem zu rächen. Mit einem Kopfschütteln gab ich es auf. Natürlich musste ich im Laufe meines Lebens dem einen oder anderen auf die Füße getreten sein, aber mir fiel niemand ein, der mir den Eindruck vermittelt hatte, so tief verletzt zu sein, dass ich ihm so etwas zutrauen würde.

      Der einzige Kandidat, der auch nur annähernd infrage gekommen wäre, war jemand, den ich seit meiner Jugend nicht mehr gesehen hatte und von dem ich genau wusste, dass er nicht mehr am Leben war. Selbst eine alles andere als angenehme Ablenkung war mir in dieser Situation willkommen. Ich schloss wieder meine Augen und dachte zurück an jenen Tag vor siebzehn oder achtzehn Jahren, als ich einen Kampf gewonnen hatte, indem ich mich weigerte zu kämpfen.

      Ich habe Dir wahrscheinlich nie bei einem spätabendlichen Gläschen Wein von Philip Waterson erzählt, oder? Kein Wunder, wie Du noch sehen wirst. Er war ein Junge, der im selben Dorf wohnte wie ich. Ich kannte ihn schon mein ganzes Leben lang. Er war ziemlich klein, hatte ein Gesicht wie ein Frettchen und strohblonde Haare, die ihm wahllos in unregelmäßigen Büscheln auf dem Kopf zu stecken schienen, und er zog mehr oder weniger ständig eine finstere Grimasse. Beth dürfte sich an ihn erinnern. Die ganze Zeit in der Grundschule und in der Unterstufe waren wir auf denselben Schulen und in denselben Klassen. Philip war eigentlich nirgendwo beliebt. Meine kleine Clique, mit der ich unterwegs war, wäre jedenfalls nie auf den Gedanken gekommen, ihn mit uns Fußball spielen zu lassen oder ihm vorzuschlagen, mit uns am Samstagvormittag in die Stadt zu gehen, oder ihn zu einem von uns nach Hause zum Tee einzuladen. Ich glaube, das hat ihn ziemlich verbittert, als er heranwuchs, obwohl ich nicht ganz sicher bin, woher ich das weiß. Vielleicht habe ich ihn irgendwann einmal etwas darüber sagen hören.

      Jedenfalls, eines Tages, als ich sechzehn oder siebzehn war, saß ich im La Rue, dem Café in der High Street, wo ich mich immer mit meinen Freunden traf, und Philip Waterson war auch da. Ich weiß nicht mehr genau, wie es kam, aber ich muss wohl genau in dem Moment, als Philip mit einem frischen Becher Kaffee in der Hand vorbeikam, von dem Tisch aufgestanden sein, an dem ich mit meinen Freunden saß, und mein Arm schwang herum und schlug ihm den Becher aus der Hand. Der Kaffee spritzte über seine Hosen und auf den Boden. Das Blöde war, dass gerade, als ich aufstand, jemand etwas Urkomisches zu mir gesagt hatte, sodass ich genau in dem Moment, als ich seinen Kaffee durch die Luft segeln ließ, laut auflachte. Irgendwie war ich noch nicht ganz mit dem Lachen fertig, als er aufblickte, nachdem er vergeblich versucht hatte, seinen Becher aufzufangen, bevor er zu Boden fiel, und völlig ausrastete.

      »Das hast du mit Absicht gemacht!«, brüllte er.

      »Nein, habe ich nicht«, sagte ich. »Es war ein Versehen.« Dabei achtete ich aber darauf, das Lächeln festzuhalten, das noch von dem Lachen auf meinem Gesicht übrig war, für den Fall, dass es sich noch als nützlich erweisen könnte, wenn Du weißt, was ich meine. Hm, wahrscheinlich weißt Du es nicht. Du warst schon immer netter als ich.

      Jedenfalls tat es das. Sich als nützlich erweisen, meine ich. Als er merkte, dass meine Freunde die Angelegenheit auch nicht übermäßig ernst nahmen, quollen Philip die Augen aus dem Kopf. Er baute sich auf den Zehenspitzen zu mehr als voller Größe auf, trat mit seinem wutverzerrten Gesicht dicht an mich heran und spie mir die Worte entgegen:

      »Komm mit raus, du Arsch! Oder bist du zu feige zum Kämpfen?«

      Ich glaube, ich hätte kein Problem damit gehabt, mich bei ihm zu entschuldigen, die Scherben von seinem Becher aufzusammeln, den Boden aufzuwischen, ihm einen neuen Kaffee zu besorgen und in vernünftigem Rahmen alles andere zu tun, was er verlangt hätte, wenn er nicht sofort so reagiert hätte. Aber meine Freunde waren dabei, verstehst Du, und sie waren gespannt, was sich nun entwickeln würde, und ich war als Jugendlicher nicht gerade ein Ausbund an Selbstbewusstsein. Mir kam es so vor, als hinge die weitere Entwicklung meiner Glaubwürdigkeit von diesem Moment ab. Das ist keine Entschuldigung für das, was ich dann tat, Lance; ich versuche nur zu erklären, dass ich mit dem Rücken zur Wand stand und beinahe alles getan hätte, um aus dieser Situation herauszukommen, ohne wie ein erbärmlicher Versager dazustehen.

      Wie die meisten Leute denke ich am schnellsten, wenn ich in der Klemme sitze. Als ich da stand und diese funkelnden kleinen Augen mich giftig anstarrten, fiel mir ein, wie frustriert und hitzig Philip während der ganzen Grundschule und später immer über seine schulischen Leistungen gewesen war. Wenn er eine Rechenaufgabe nicht herausbekam oder in einem Test nicht mehr wusste, wie ein Wort geschrieben wird, geriet er oft in eine rasende Wut gegen sich selbst und schleuderte seinen Zorn wie Dolche um sich, meistens in die Richtung des Jungen, der neben ihm die Schulbank drückte. Dann bekam er natürlich höchstwahrscheinlich Ärger mit dem Lehrer und kam sich am Ende vor, als würde er doppelt bestraft. Er fühlte sich wie ein Schwachkopf, weißt Du, und es machte ihn wütend, sich wie ein Schwachkopf zu fühlen.

      Ich war ein ganzes Stück größer als Philip Waterson und ich schätze, wenn es zu einer

Скачать книгу