Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

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Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug

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Wachstum an Sachkapital der deutschen Wirtschaft bei stets schrumpfendem Bedarf an Arbeiterinnen und Arbeitern. Dies also ist die Ausgangslage.

      Im Zentrum steht der Vorschlag einer Ausdehnung des Arbeitsbegriffs auf alle »produktiven Tätigkeiten im erweiterten Sinn« (u. a. 14 u. 211). Dafür soll im Gegenzug der jetzige Arbeitsbegriff auf den der Beschäftigung verengt werden, womit das, was wir als »Krise der Arbeitsgesellschaft« zu denken gewohnt sind (seit 1982, seit dem Soziologentag, auf dem Dahrendorf, Offe et al. diesem Sprachgebrauch zum Zuge verhalfen), weniger dramatisch wird. Für den Umbau des Arbeitsbegriffs wird konstatiert: »Letztlich ist es unsere Produktion im weitesten Sinne, nicht allein der Prozess der industriellen Erzeugung materieller Güter, über die wir uns definieren: wir sind, was wir produzieren.« (26)

      Der historische Exkurs zurück in die Agrarwirtschaft soll den hohen Anteil an Eigenproduktion dort zeigen und verdeutlichen, dass die Konzentration auf Güterproduktion und Erwerbsarbeit nur eine Übergangsphase war, die den Wohlstand der Nationen (Smith ist Kronzeuge) schnell und wirksam, aber einseitig voranbrachte. Das Fazit: Die Konzentration auf bezahlte Arbeit in der Güterproduktion gehört einer vergangenen Epoche an. Jetzt geht es darum, die Dimensionen menschlicher Produktivität und Kreativität, die »identitätsstiftend« sind, zum Einsatz zu bringen, um »eine völlig andere Organisation von Arbeit« (212) voranzutreiben.

      Diese Stoßrichtung wird eingangs von Weizsäcker emphatisch zusammengefasst: Die Reduktion menschlicher Arbeit auf einen ökonomischen Produktionsfaktor verursache Schäden und sei eine Herabwürdigung. Arbeitslosigkeit bedeute so nicht nur Abnahme von materiellem Wohlstand, sondern beraube den Menschen auch der Möglichkeit von Selbstverwirklichung und aktiver Teilnahme an Gesellschaft. Indem die Autoren als zentrale Dimensionen von Lohnarbeit die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, Identität oder Selbstverwirklichung und die Frage der Partizipation an Gesellschaft aufnehmen, kommen sie erst gar nicht auf die Idee, das Lob der Arbeitslosigkeit als möglicher Muße zu singen und – wie das auch anderswo politisch diskutiert wird – die Frage einer existenziellen Krise mit Verweis auf ein Existenzminimum beiseitezuschieben. Es geht darum, die derzeitige Entwicklung, die auf eine Massenarbeitslosigkeit zusteuert, welche mehr als ein Drittel der Bevölkerung umfassen wird, als äußerst bedrohlich wahrzunehmen und ihre Lösung daher sofort anzugehen.

      Die Autoren nehmen Forderungen aus dreißig Jahren Frauenbewegung auf: Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit. Sie ergänzen: Anerkennung überhaupt der unzähligen ehrenamtlich verrichteten Tätigkeiten durch ihren Einschluss in den Arbeitsbegriff. Sie schlagen für die Zukunft im Prinzip eine Dreiteilung des Verständnisses von Arbeit als produktiver Tätigkeit vor. Die herkömmlich entlohnten Tätigkeiten sollen auf ca. 20 Stunden pro Woche reduziert werden (212); hinzu kommen solche Tätigkeiten, die man auch am Markt berechnen und kaufen könnte, die aber herkömmlich nicht bezahlt geleistet werden7, sondern »freiwillig« oder »wohltätig« (37) sind, wie Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeiten, viele ehrenamtliche Tätigkeiten – sie werden zu 70 Prozent von Frauen getan und bilden, laut Berechnung des Familienministeriums von 1994, ein Drittel des Sozialprodukts in Deutschland (150). Schließlich gibt es Tätigkeiten, die gewöhnlich nicht als Tauschwerte ausgedrückt werden – die Autoren nennen Tätigkeiten des »Eigenkonsums« und der »Eigenproduktion« wie Reparaturen, Selbstbehandlung, Bildung (151) und behaupten, dass diese Tätigkeiten in »unserer Dienstleistungsgesellschaft« dauernd zunehmen. Als Beispiel führen sie etwa die Selbstbedienung in der Distribution und am Geldautomaten an, »wo vormals monetisierte Systeme abgeschafft werden« (151) und neue Typen entstünden wie der Prosument (nach Toffler zusammengesetzt aus Produzent und Konsument). Sie resümieren, »dass jede Strategie für die Entwicklung von Beschäftigung und produktiven Tätigkeiten alle drei Formen der Produktion parallel fördern muss« (145). Die Unterscheidung in diese Tätigkeitsarten dient dem Nachweis, dass eine Gesellschaft, die allein auf Tausch basiert – mit Geld als Vermittler und einer Berechnung der Verausgabung von Zeit –, immer weniger überlebensfähig ist. Freilich werden die Nutznießer nicht genannt, sodass man den Eindruck einer eher schicksalhaften Bewegung hat.

      Diese Ausgangsbestimmungen legen nahe, dass ein Umbau auch eine kulturelle Tat ist, die eingreift in die Werthaltungen und Gewohnheiten der Menschen. Die Autoren bezeichnen dies munter als »kulturelles Abenteuer« (26).

      Die Lohnarbeitszeitverkürzung soll flankiert werden durch ein Grundeinkommen und eine negative Einkommensteuer (179). Beides soll gewährleisten, dass niemand in Armut leben muss, aber im Ganzen geht es darum, »Arbeit zu subventionieren, nicht Untätigkeit« (181). Die Argumentation entspricht der in den USA und in England als Entwicklung vom »welfarestate« zum »workfare-state« propagierten. Alle sollen über ein Mindestmaß an Geld verfügen als Einkommen für produktive Arbeit und als Grundeinkommen für Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit. Unmittelbare Abhängigkeiten sollen dadurch überwunden werden: zwischen Männern und Frauen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Arbeitslosen und Arbeitslosenämtern usw. (176).

      Die Vorschläge scheinen zumindest für ein so entwickeltes industrielles Land wie die BRD nicht vollkommen illusionär, wenn man z. B. bedenkt, dass die strategische Seite des Problems, die Arbeitslosigkeit, den Fiskus jährlich ca. 38 000 DM pro Kopf kostet. Dieses Geld wollen die Autoren für die Subventionierung von Arbeit verwendet wissen.

      Von Kapital oder Profit und Markt als gesellschaftlicher Regelungsinstanz ist in dem Bericht nirgends die Rede, jedoch werden einigermaßen realistisch die Folgen betrachtet, die der zunehmende Reichtum in Gestalt der wachsenden Produktivität der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen für die Produzierenden hat: dass sie nämlich zu großen Teilen arbeitslos werden. Dies soll das »Paradox des Paradieses« zeigen:

      »Das Paradies ist ein Ort, wo die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass es möglich ist, alle materiellen Waren praktisch ohne jegliche Kosten herzustellen. Der Haken an der Sache ist, dass in einer solchen Situation niemand bezahlt werden könnte, mit dem Ergebnis, dass unser Produktionsparadies eher wie eine gesellschaftliche Hölle – kein Geldeinkommen und hundert Prozent Arbeitslosigkeit – aussähe.« (96)

      Auch der Raubbau an der Natur wird in die Bestandsaufnahme einbegezogen: Es müsse ein Weg gefunden werden, »den Wert der Mitgift und des Erbes der Natur« für uns festzustellen (139 f). Am Ende kommen die Autoren zu dem Schluss, den Maßstab für Wohlstand zu ändern, ihn nicht mehr als Summe aller monetären Kosten zu fassen, sondern Kriterien wie die Kaufkraft (gemäß dem Jahresbericht der Weltbank zum Wohlstand der Völker) und solche der »Menschheitsentwicklung« (deren Indizes vom United Nations Development Programme unter Hineinnahme bestimmter nichtbezahlter Tätigkeiten entwickelt wurden) zur Grundlage zu machen (257 f). Sie empfehlen, Tätigkeiten ohne Bezahlung anders zu stimulieren sowie die Überwachung des allgemeinen Wohlstands wie des Wechsels von Tätigkeiten zwischen den bezahlten und anderen Teilen der Wirtschaft (264). Sozialpolitik müsse so gestaltet werden, dass alle das Recht haben, produktiv tätig zu sein (249). Ziel ist eine Vollbeschäftigung (in der neuen Dreiteilung), in der ein Minimum an Erwerbsarbeit vereinbart sei (249).

      Linke Einwände können sich auf die Vagheit der einzelnen Bestimmungen richten; so wird z. B. nicht deutlich, ob jetzt alle die Halbierung der Erwerbsarbeit mitmachen sollen oder gar müssen und wie mit den vorherigen Löhnen umgegangen wird (dazu 242 ff); man kann aus den Vorschlägen nicht errechnen, wie hoch die jeweiligen Verdienste tatsächlich sind und wie weitere Polarisierung zu verhindern ist. Warum hier nicht strategisch und fordernd konstruktiv eingreifen statt zu klagen, dies bedeute eine Verschlechterung: Pflichtarbeit für die Armen, zu geringes Grundeinkommen für die vielen, Armut, Polarisierung und ein Verlust an Perspektive. Der Vorwurf gewinnt in dem Maße an Plausibilität, wie man sich das Gesamtprojekt nur als kapitalistische Überlebensstrategie denkt und nicht vom Standpunkt eines veränderten krisenhaften Kraftfeldes spricht, in dem wir als Handelnde vorkommen und ein politisches Projekt überhaupt erst Konturen und Hegemonie gewinnen muss. Vorläufig sehen wir eine Reihe von für uns bislang positiven Bestimmungen – radikale Verkürzung der Arbeitszeit, Einbeziehung aller Arbeiten in den Arbeitsbegriff, Ansprüche an Arbeit, dass man sich mit ihr überhaupt

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