Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

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Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug

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Arbeitsbereichen die Arbeitenden selbst zur Analyse ihrer eigenen Bedingungen zu gewinnen. Für ein solches Vorgehen ist ein Zusammengehen von Wissenschaft und Gewerkschaften unerlässlich.

       Methodische Überlegungen und erste Ergebnisse

      Die Veränderung in den Arbeitsbedingungen wird vielfältig widersprüchlich erfahren. Lösungsformen für solche Widersprüche sind ihre Leugnung – was nur einen kurzen Aufschub bedeuten kann –, ihre partielle Auslöschung, der Rückzug aus solch widerspruchsgeladenem Feld. Gegen eine kollektive Bewältigung der Widersprüche nach vorn stehen die Bemühungen der Unternehmer und des Staates, die Vereinzelung, die Privatheit zu stärken – das selbstbestimmte Individuum hat in den neokonservativen Strategien Konjunktur –, und die subjektive Verarbeitungsform der Privatisierung3.

      Weiter oben berichtete ich von unserem merkwürdigen Befund, dass die einzelnen Büroangestellten ihre eigenen Arbeitsplätze durch die Ausgestaltung mit Computern jeweils als interessant und verbessert erfuhren, im Ganzen aber unbeirrt an der Auffassung von den durchgehend negativen Auswirkungen der Computerisierung festhielten; dass sie die Methode verfolgten, beim Fällen von allgemeinen Urteilen von der eigenen praktischen Erfahrung zu abstrahieren, aber nicht von den herrschenden Meinungen über ihr eignes Arbeitsfeld. Dieses individuelle Widerspruchsverhalten brachte uns dazu, eine eigene Methode zu entwickeln, um die Einzelnen darin zu unterstützen, den Widerspruch als Bewegungsform zu entdecken.4 Wir gingen davon aus, dass die Notwendigkeit, in widersprüchlichen Situationen handlungsfähig zu werden, verlangt, Widersprüche zu explizieren, zu erkennen, zu artikulieren statt sie zu eliminieren. Zunächst hatten wir einzelne Arbeitende in Gruppen (gemischtgeschlechtlichen mit verschiedenen Positionen in der Arbeit) zusammengesetzt, mit dem Ziel, ihnen einige Themen zur Diskussion vorzulegen und in die Diskussion nur dann einzugreifen, wenn ein Monolog entstünde, der die anderen Gesprächsteilnehmer aus der gemeinsamen Gedankenproduktion ausschalten würde. Unsere Vorgabe fragte ausdrücklich nach einer Diskussion auf der Grundlage eigner Erfahrung, wenngleich wir zunächst gar nicht damit gerechnet hatten, dass alle Gesprächsteilnehmer sofort anfangen würden, über die gemutmaßten Erfahrungen der anderen zu sprechen. Sie teilten sich in überkommenen Ausdrücken so mit, dass es ihnen unmöglich wurde, sich selbst ins Allgemeine zu ziehen. Gegen unsere Entmutigung, solcherart über ein Biertischrunde nicht hinauszukommen, die wir uns fast auch selbst hätten ausdenken können, setzten wir jetzt die Methode, die Erfahrung der offiziellen Lesart ausdrücklich gegen die Arbeitserfahrung zu richten. Wir sprachen als widersprüchliches Faktum aus, was in ihren Köpfen als Nebeneinander vom je eignen guten und den fremden schlechten Arbeitsplätzen koexistierte. Wir richteten also die je offizielle Meinung gegen die Arbeitserfahrung und warfen diesen Widerspruchsballon in die Diskussionsrunde. Die Diskutanten nahmen den Ball auf, bearbeiteten aber nun den Widerspruch als solchen, nicht die Sache selbst, die so widersprüchlich artikuliert war. Der Widerspruch war ihnen eine Herausforderung, die es zu beseitigen galt. Die Diskrepanzen zwischen der je eignen Erfahrung und den gesellschaftlich durchschnittlich vermittelten Auffassungen führten in der Folge zu Äußerungen wie, dass unqualifizierte Computerarbeit (die der anderen) eben eine Charakterfrage sei, als eine Art Beruhigung der selbstpositionierten Elite über die Masse. Störend im Schwarz-Weiß-Gemälde blieb die Einsamkeit des qualifizierten Computerarbeiters gegenüber der heimelig solidarischen unqualifizierten Masse: »Es sind eigentlich diejenigen, die keine Chance haben zu einer steilen Karriere, die zusammenhalten und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln« (Brosius/​Haug 1987, 88), sagte einer, durchaus ohne steile Karriere, mit Trauer in Bezug auf die von ihm als nur für seinen Fall angenommene Abwesenheit von Solidarität. Ist ein Widerspruch erst einmal selbstverständlicher Bestandteil einer solcherart forschenden Diskussion, so wird er durch die Bereiche getrieben, als führe er ein Eigenleben. Neue Dimensionen tun sich auf, die Gespräche gewinnen an Spannung für die Teilnehmer selbst. Sie haben den Eindruck, voranzukommen und selbst urbar gemachtes Neuland zu betreten.

      In dem berichteten Fall kam die Gruppe von der Einsamkeit und vom Alleinsein in der Arbeit zu der auch von den Gruppenmitgliedern beobachteten Zunahme an Kooperation, einer Verdichtung der Zusammenarbeit, seit die Computer im Büro waren. Sie beharrten aber darauf, dass dieser Umstand am Alleinsein nichts ändere, sodass dieses Phänomen vielleicht vorläufig ebenso widersprüchlich mit Kooperation als Vereinzelung bezeichnet werden kann. Bis hierher hatten wir selbstverständlich angenommen, dass Zusammenarbeit von Menschen im Arbeitsprozess auf jede Weise positiv sei. Vom Standpunkt der Effektivität und Produktivität der Arbeit liegt der Nutzen der Zusammenarbeit auf der Hand. Je sinnlicher sie durch die Einzelnen erfahren wird, desto höher der Ansporn oder Wetteifer, dachte Marx. Aber auch vom Standpunkt der Arbeitenden selber hatten wir Zusammenarbeit und ihre Erfahrung als Ausgangspunkt für solidarisches Handeln angenommen, als unmittelbare Lebendigkeit der vergesellschafteten Menschen. Von daher war uns die Frage nach dem Schicksal der Kooperation in der Computerarbeit strategisch wichtig. Das Ergebnis war im Ganzen einhellig: Während tatsächlich eine Verdichtung der Kooperationsstrukturen angegeben wird, wird zugleich eine Abnahme der Zusammenarbeit erlebt. In weiteren Diskussionsverläufen zeigte sich, nicht die Zusammenarbeit hat abgenommen, sondern ihre Zunahme wird nicht als Stärkung, sondern als Zwang, ja als Bedrohung, jedenfalls als Zunahme an Fremdbestimmung erfahren. Die neue Zusammenarbeit nahm subjektiv und objektiv den Platz der vorhergehenden persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz ein. Unter persönlichen Beziehungen verstanden sie Geburtstagsfeiern, Unterhaltungen über Hochzeiten, Taufen, Krankheiten, Tod in der Verwandtschaft, Feste aller Art bis hin zu kleinen Aufmerksamkeiten wie Blumen am Arbeitsplatz. Sie bezeichneten diese »persönlichen Beziehungen« als Grundlage solidarischen Verhaltens. Kurz, sie vermissten eben jene Beziehungen, die wir als oberflächlich dachten, weil sie mit dem Inhalt der Arbeit nichts zu tun hatten. Wir hatten dabei angenommen, dass inhaltliche Arbeitsbeziehungen durch Produktivkräfte wie Fließband z. B. und vor allem durch Produktionsverhältnisse behindert werden und so kaum über die räumliche Nähe hinauswachsen.5 Umgekehrt waren unsere Büroarbeiter praktisch außerstande, inhaltliche Arbeitsbeziehungen als entwickelte Beziehungen zwischen Menschen wahrzunehmen und zu leben. Das inhaltliche Aufeinanderangewiesensein in der Büroarbeit wird als doppelte Bedrohung erfahren: als Bedrohung der persönlichen Arbeitskontakte und der Privatperson durch aufgezwungene Arbeitsbeziehungen, die die Einzelnen ungeschützt treffen können und müssen.

      Vorsichtig formuliere ich folgende These: Unter Konkurrenzverhältnissen sind aufgezwungene inhaltliche Arbeitsbeziehungen ein Paradox, welches als bedrohlich erlebt wird. Die Auslieferung an Fremdbestimmung wird nicht ermäßigt, sondern verstärkt. Was selbstbestimmte Koordination von Einzelarbeiten sein könnte, erscheint in der Form ihres Gegenteils, als Auslieferung an fremde andere in diffus horizontaler und darum umso konkurrenzförmiger erfahrener Zusammenarbeit.

      »Die Kollegen reichen mir über die 8 Stunden und ich sehne mich danach, in den Familienbereich zurückzukommen und meinen eigenen Neigungen nachzugehen. […] Diese enge Kooperation, die teilweise zwischen den Kollegen da ist, die reicht mir dann. Das geht nicht mehr, […] das auch noch in den Stunden nach Feierabend durchziehen zu können.« (Brosius/​Haug 1987, 88)

      Das Wichtigste, das uns diese Kooperationserfahrungen lehrten, war eigentlich auch wieder eine Selbstverständlichkeit: Zusammenarbeit ist gebunden an die selbstbestimmte Entscheidung der Subjekte und nicht einfach ein von oben dargebotenes Arrangement, in das sich die selbstbewussten Individuen einfügen können, ohne ihr Selbstbewusstsein zu verlieren. In der Tat kam in allen Gruppendiskussionen irgendwann die Rede von »wahrer Zusammenarbeit« auf, in der die Einzelnen einander begeistert »widerständige« Taten berichteten, wie sie gemeinsam gegen die Regeln verstießen, verlangte Strukturen durchkreuzten, einander die Passwörter gaben usw. Unsere oben formulierte These lässt sich ergänzen: Unter fremdbestimmten Arbeitsverhältnissen wird Kooperation widerständig gelebt.

      Da wir alte Grenzziehungen zwischen verschiedenen Einzelarbeiten und -arbeitern und ebenso die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit auch als Schranke gegen Entwicklung und Vermenschlichung der Arbeitsverhältnisse dachten, sahen wir die durch die Computerarbeit bedingte Auflösung solcher Grenzen auch als eine Chance. In unserer Untersuchung konnten wir die Einzelnen dabei erleben, wie sie

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