Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
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Auch Ernst Bloch arbeitet mit Begriffen wie Betrug, Verkleidung, Tarnung, Schein, um die Indienstnahme von Sprache und Symbolik der Arbeiterbewegung durch den Nazismus zu begreifen. Sein Begriff »Entwendungen aus der Kommune« (1933, 70 ff) empfiehlt so, genuin sozialistische oder gar kommunistische Praxen, Gehalte, Vorstellungen anzunehmen, die »wirklichen Bedürfnissen entsprechen« (70) und die aus ihrem Zusammenhang gestohlen und in fremde Dienste genommen sind. Das Projekt Automation und Qualifikation (PAQ 1981) hat diese Begriffssprache übernommen und entsprechend Arbeitsformen, die als »sozialistisch« gedacht waren – die Brigade, der Wettbewerb, das Neuererwesen –, in kapitalistischen Betrieben untersucht. Ihr Begriffsvorschlag »gesellschaftlicher Schein von Unternehmerstrategien« bleibt im Bann der Täuschungsmetaphorik. Dabei gelingt es, eine ganze Reihe von neueren Managementstrategien als widersprüchliche Weisen zu entdecken, neue Produktionskonzepte zu installieren; Denkwerkzeug jedoch bleibt, dass etwas dem Kapitalismus nicht Gehörendes hörig gemacht wird. Eine solche Abbildungsweise tut sich schwer, die Bewegungsweise kapitalistischer Entwicklung als eine Dynamik mit Übergängen zu begreifen.
Anders Rosa Luxemburg. Sie nimmt – Marx folgend – an, dass der Kapitalismus die Produktivkräfte entwickelt, die über ihn hinausreichen, dass er dafür aber Altes (Lebensweisen, Formen, Gebräuche, ganze Völker) zerstört und noch für diese Zerstörung selbst die neuen Produktivkräfte einsetzt. Das Neue tritt bei ihr also auf in der Form einer Destruktivkraft (GW 1,1 283 ff). Das ist keine Verkleidung oder Täuschung, sondern Praxisform in bestimmten Verhältnissen. Entsprechend braucht es Menschen, die einen Umsturz herbeiführen. Die Perspektive heißt: Sozialismus oder Barbarei.
Marx’ Metaphorik legt die Analysewerkzeuge wie folgt zurecht. Er fordert auf, die »Bildungselemente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft« (MEW 23, 526) als Produkte der Antagonismen der kapitalistischen Produktionsweise zu entdecken. Das ist weder Diebstahl noch Schein, sondern Einschreibung in eine widersprüchliche Bewegung der Veränderung und Erneuerung. Das Neue wird in alten Verhältnissen produziert und ist entsprechend geformt – es trägt, um im Bild zu bleiben, die Geburtsmale und zeigt zugleich Abstoßungskräfte. Das Neue/Fortschritt kündigt sich an als Kampf, als Schmerz, als Bruch, als Abschied, als Krise. Es wird unverträglich mit der alten Hülle, in der es gerade noch geborgen und gemacht war. Dies bezeichnet den Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Im Widerspruch braucht es Akteure, die in der entstandenen Krise neuen Verhältnissen zum Durchbruch verhelfen. Es gibt keinen automatischen Fortschrittsweg. Und in Bezug auf unseren Gegenstand, die Entwicklung der kapitalistisch organisierten Arbeit heißt es: Im Ergebnis verliert die unmittelbare Arbeit ihre zentrale Rolle und setzt die Bedeutung des Wertgesetzes herab, woraus völlig neue Formen von »Reichtum« resultieren. Nun erscheint der »Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, [als] miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffne« (MEW 42, 601).
Es gibt weder ein einfaches geradliniges Fortschrittskonzept noch das eines zunehmenden Rückschritts. Die Sache ist komplizierter: Die Menschen bringen ihre Geschichte unter bestimmten Verhältnissen von Herrschaft und Ausbeutung voran. Auf diesem Wege entwickeln sie Produktivkräfte, die unentbehrlich sind, um die Menschheit auf ein Niveau zu bringen, auf dem sie einigermaßen über die Verausgabung und Entfaltung ihrer Lebenskräfte bestimmen kann; die Früchte dieses Fortschritts werden jeweils von den Herrschenden der verschiedenen Produktionsweisen angeeignet, sodass die Lage der Arbeitenden u. U. schlechter werden kann (nicht muss). Unter Herrschaftsbedingungen ist es allerdings nicht möglich, dass alle zu gleichen Teilen an den Früchten partizipieren. Wenn die Entwicklung so weit vorangetrieben ist, dass die bewährten Herrschaftsformen unpassend werden, gibt es eine Reihe von Verwerfungen, Verschärfungen, Krisen, Polarisierungen, Hoffnungen und ihre Pervertierungen. Solche Krisen sind eine Chance zum Handeln. In einer solchen Krise finden wir uns seit geraumer Zeit, seit dem Ende des Fordismus, also seit den 1970er Jahren, und in Bezug auf die neoliberale Regulierung seit den 1990er Jahren, in der Frage der Arbeit.
So werden die Verschiebungen in der Diskussion um die Zukunft der Arbeit im Folgenden keinesfalls naiv als Dimensionen von Fortschritt betrachtet, den es zu unterstützen und voranzutreiben gälte. Sie sind vielmehr als Zeichen von Unverträglichkeiten zu begreifen, als Versuche, ein lebbares Gleichgewicht unter Beibehaltung der Rahmenverhältnisse zu finden, dabei möglichst viel Widerstand zu vereinnahmen oder präventiv umzulenken in Form einer Art passiven Revolution. Bei alledem interessieren sie als Veränderung unserer Handlungsbedingungen, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass eine ganze Reihe radikaler Forderungen etwa aus der Frauenbewegung auf der Seite offizieller Vorschläge erscheint.
Krise um Arbeit. Club of Rome 1998
Nach dem aufsehenerregenden Bericht über die Grenzen des Wachstums (1972), den Bänden Mit der Natur rechnen (1995) und Faktor 4 (1995) hat der Club of Rome 1998 einen politischen Vorschlag zur Arbeitsproblematik vorgelegt. Das Buch enthält außer dem Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker ein Geleitwort des Aufsichtsratsvorsitzenden der Robert Bosch GmbH Bierisch und eine Vorbemerkung des Exekutivkomitees des Club of Rome. Als Motto spricht Sir Karl Popper über die Dringlichkeit, das »Problem der Vollbeschäftigung« »optimistisch« anzugehen. So eingeführt strahlt das Buch Bedeutung aus und Segen von oben. Versprochen werden: eine systematische Behandlung der Arbeitslosigkeitskrise und die Vision einer neuen Arbeitsgesellschaft (von Weizsäcker), ein arbeitsethisches Fundament (Bierisch), eine eingehende Analyse der moralischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte der Arbeit (Exekutivkomitee). Wer mit entsprechenden Erwartungen das Buch durcharbeitet, muss enttäuscht werden. Keiner der hier vorgestellten Gedanken und Vorschläge, Analysen und Berichte ist in irgendeiner Weise »neu«. Im Gegenteil wurden die einzelnen Punkte zur Veränderung von Arbeit und Arbeitsbegriff seit mehr als 20 Jahren geradezu mit Redundanz diskutiert, wenn auch nicht im Mainstream. So u. a. von Andre Gorz, vor allem aber, soweit es die Hausarbeit betrifft, in der Frauenbewegung, unter vielen anderen bei Rifkin, aber auch in den jüngeren Diskussionen um Eigenarbeit (vgl. etwa Scherhorn 1995, 1998; Möller 1997).
Im Folgenden geht es besonders um die Stichworte, die aus den politischen Diskursen »von unten« in das neoliberale Konzept des Berichts eingebaut werden. Die Begründungen, die historischen Exkurse lasse ich weg, weil sie zumeist nur Ideologisches zu bieten haben. Immerhin haben sich die Autoren die Mühe einer Historisierung gemacht und ebnen damit wiederum dem Einsatz historischer Argumentation einen Weg.
Es geht um die weltweit wachsende Arbeitslosigkeit, die im Geleitwort folgendermaßen umrissen wird: In Deutschland verloren die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe in den letzten sieben Jahren 4,5 Millionen Arbeitsplätze, die ein Zuwachs an 1,5 Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor nicht auszugleichen vermochte. In der OECD wuchs die Zahl der Arbeitslosen auf 36 Millionen oder 7,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Diese Entwicklung hält an. Ergänzen wir: Nach Zahlen des Sachverständigenrats 1997 steigt zwar die Zahl der Erwerbstätigen insbesondre zwischen 1950 und 1965 ein wenig, stärker noch aber steigt die Erwerbsbevölkerung, sodass seit 1980