Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
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Krise der Arbeit
Es scheint mir angemessen, Veränderungen in den Handlungsbedingungen, die plötzlich hereinbrechen und deren Handhabung noch weitgehend unbegriffen ist, als Krise zu kennzeichnen. Die innere Arbeitskrise (im Gegensatz zur »äußeren« des Ausmaßes und der Verteilung von Arbeit und Arbeitsplätzen) bezieht sich im Wesentlichen auf vier Dimensionen: auf Verschiebungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit; auf Überschreitungen der Trennung von Arbeit und Freizeit; auf das Verhältnis von Männer- zu Frauenarbeit und auf das Lernen.
Geistige und körperliche Arbeit
Sobald Arbeit zu informationsverarbeitender Tätigkeit wird, ist die alte Trennung von Händen und Köpfen, von praktischer und theoretischer Arbeit in Produktion und Verwaltung unhaltbar. Damit stehen Hierarchien und Kooperationsverhältnisse in Frage ebenso wie Beziehungen zwischen einzelnen Arbeitergruppen. Inhaltlich gilt, zumindest in unseren Verhältnissen, der hierarchischen Anordnung eine Art Kompetenzentzug, ohne die Autorität der Vorgesetzten selbst anzutasten. In dieser Weise bildet sich ein neuer Widerspruch heraus: Die Untergebenen werden den Vorgesetzten überlegen und bleiben ihnen zugleich unterstellt. Aber Computerarbeit ist noch nicht ausreichend bestimmt, wenn wir wissen, dass sie Kopfarbeit, informationsverarbeitende Tätigkeit ist. Denn die Arbeitselemente treten den Einzelnen nicht nur als Informationen entgegen, sondern sie tun dies in Form einer Theorie über den Arbeitsprozess. Insofern wird die Distanz des Menschen zur eigenen Arbeit vergrößert. Wir sind daran gewöhnt, Distanz in der Arbeit spontan als etwas Negatives wahrzunehmen, als Vergrößerung von Fremdheit; dabei übersehen wir den umgekehrten Aspekt, dass allzu große Nähe den Überblick und die Kritik, notwendig für Entwicklung, verunmöglicht.1 Mit der größeren Distanz wird das Verhältnis zur Arbeit notwendig reflektierter. Dies gilt selbst für einfache Eingabetätigkeiten im Vergleich zur vorhergehenden Schreibmaschinenarbeit und selbstverständlich für Dialogsysteme und Systemanalyse. Die Logik der Computer ist ein bestimmter Zugriff auf Sprache und Information. Man kann sich dem unterwerfen und versuchen, die Befehle auswendig zu lernen mit der ständigen Angst und Hilflosigkeit, aus dem System geworfen zu werden. Man kann sich den Computer aneignen, d. h. seine Möglichkeiten austesten und das System ausbauen und weiterentwickeln. Das bedingt ein Verhältnis zur Arbeit wie zu einem Experiment. Die Arbeit ergreift einen und hält einen fest – dieser Umstand ist bekannt, wenn auch nicht begriffen als Faszinationsproblem.2
Die Verschiebungen im Verhältnis von körperlicher und geistiger Arbeit bringen im Wesentlichen folgende Widersprüche und neuen Spannungen hervor: Die Bewegung, die schon in der Ersten industriellen Revolution begann, vollendet sich – die Arbeitenden stehen oberhalb und außerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses, ohne jedoch zugleich die solcher Stellung angemessene Verfügungsmacht zu haben.
Die Inanspruchnahme wird mit der wachsenden Distanz zum Arbeitsgegenstand zugleich intensiver und konzentrierter und dabei auch engagierter. Empirischen Untersuchungen, die die Zunahme an Intensität und Konzentration anklagend erheben und sie als Beweis für eine besonders anspruchslose Arbeit behaupten, entgeht, dass engagierte, »motivierte« Arbeit immer mit wachsender, auch subjektiv so erfahrener Intensität verbunden ist. Die Formen der Arbeitsteilung sind weniger unmittelbar hierarchisch, ohne dass Hierarchie dabei tatsächlich verschwände. Die Vorgesetzten sind weniger kompetent in der Arbeit als ihre Untergebenen, ohne den Vorsitz zu verlieren.
Arbeit und Freizeit
Eine der wichtigen Trennungen im Leben der Lohnarbeitenden ist die von Arbeit und Freizeit. In der Freizeit sind sie zu Hause, Privatmenschen, die aus der Arbeit flüchten. Aber auch umgekehrt flüchten sie aus der privaten Enge in die Gesellschaftlichkeit der Arbeit. Mit dem Einsatz der Computer wird einiges verrückt. Indem Arbeit geistige Arbeit ist, kann sie vor den Fabriktoren und Bürotüren nicht haltmachen. Die Probleme werden mit nach Hause genommen. Sie durchsetzen die Freizeit. Computerarbeit ist auch Hobbyarbeit. Rechner fallen aus, und die meisten Firmen nutzen die angespannte Arbeitsmarktlage, um von den Beschäftigten einen flexiblen Umgang mit den Arbeitserfordernissen zu verlangen. Die ausgefallenen Zeiten müssen als Überstunden nachgeholt werden. Solche Praxen verändern das Familienleben, wenn sie allgemein werden. Die Arbeiten werden über die Grenzen von Bürozeiten gedrängt. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit bringt die häusliche Ordnung massenhaft durcheinander. Wenn die betroffenen Büroarbeiter Frauen sind, können sie entweder den Überstunden nicht gehorchen und müssen einen Halbtagsjob annehmen oder ihre Partner ändern Haltung und Verhalten und übernehmen die zu Hause anfallenden Aufgaben – ein weiterer Schritt in Richtung Frauengleichberechtigung wäre getan? In unserer Untersuchung in computerisierten Büros (Brosius/Haug 1987) berichteten Männer und Frauen einmütig, dass solche partnerschaftlichen Lösungen bei ihnen üblich seien. Allerdings stellte sich bei der Überprüfung ihrer tatsächlichen Praxen heraus, dass die befragten Frauen die Probe aufs Exempel nicht gewagt hatten: Sie machten keine Überstunden. Ihre Verankerung in den Firmen war entsprechend fragil. In allen bisher skizzierten Veränderungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit sowie zwischen Arbeit und Freizeit sind Aufweichungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen enthalten. Dabei ist eine Hauptfrage in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung noch ganz unentschieden: Ist Computerarbeit eigentlich »männliche« technische Arbeit oder »weibliche« Schreibarbeit?
Lernen
Auch im Bereich des Lernens möchte ich nur einige Aspekte skizzieren. Sicher verändert sich durch die mikroelektronischen Arbeitsmittel das Verhältnis von Lernen und Arbeit, von Theorie und Erfahrung (der Praxisbezug ist selbst ein theoretischer). Zunächst gibt es eine Reihe von neuen Fragen:
Wie ist es möglich »auszulernen«, wenn Arbeit Weiterentwicklung einschließt? Welche »Ausbildung« wird überhaupt gebraucht, wenn Lernen Lebenstätigkeit ist? Kann Arbeit selbst so angeordnet werden, dass Lernen ein integraler Bestandteil wird, und was ist mit der gängigen Lernform des Learning by Doing?
Ich möchte thesenförmig zuspitzen, dass die Arbeit im mikroelektronischen Arbeitsprozess es zu einer Notwendigkeit macht, die Rahmenbedingungen des Arbeitens als entwickel- und veränderbar aufzufassen und sich selbst dafür zuständig und verantwortlich zu fühlen. Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisation und vor allem die Produktionsverhältnisse blockieren den angemessenen Umgang mit den neuen Produktionsmitteln. Schließlich stehen mit dem Verhältnis zur Arbeit selbst auch Fragen der Arbeitskultur und der Arbeitsidentität zur Disposition.
Krise der Arbeitssubjekte
Wesentlicher Gegenstand von Arbeitspsychologie werden die Erfahrungen der Arbeitssubjekte mit den neuen Bedingungen und ihre Verarbeitung im alltäglichen Handeln. Schließlich bargen die alten Strukturen, Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisationen, Ausbildungen, Trennungen und Lernarrangements sowohl Handlungsfähigkeiten und deren Stützen als auch Hindernisse und Fesseln (Letzteres insbesondere für die nicht-männlichen Nicht-Facharbeiter).
Beim Einbezug der Arbeitenden als Subjekte unserer empirischen Forschung lernten wir: Sie erfahren die neuen Bedingungen weitgehend als eine Art faszinierender Katastrophe (vgl. PAQ 1987, Kap. 11). Einerseits sind die Arbeiten verlockend wie ein Hobby, andererseits bedrohlich wie eine Beraubung. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Computerarbeit ist mit der herrschenden Arbeitskultur unverträglich. Ich möchte diese Behauptung mit einigen Thesen verdeutlichen:
1. Arbeit wird als Nichtarbeit wahrgenommen – wie früher die Arbeit der Intellektuellen vonseiten der Arbeiter. Die Arbeit verändert ihren Charakter so, dass unklar wird, was eigentlich Arbeit ist. Die gewohnten Maße für die geübte Disziplin passen nicht mehr. Sind Lernzeiten Arbeitszeiten? Ist das Suchen nach Lösungen, das Herumprobieren Arbeit oder die Verhinderung derselben? Wie steht es mit den Passivzeiten? Ist Fehlersuche Arbeit?