Malefizkrott. Christine Lehmann

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Malefizkrott - Christine Lehmann

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wie ist das bei Ihnen in der Branche üblich?«

      Eine Stimme, die es gewohnt war zu schicken. Das Bild des filigranen Herrn aus Ursprungs Laden gesellte sich dazu. Der aufgeregte Vater, der selig lächelnde Verleger, die kindliche Autorin. Über den schweren Verlust, den die Buchhandlung Ursprung für das Stuttgarter Kulturleben bedeutete, hatte man die arme Krott und ihr ambitioniertes Büchlein ganz vergessen.

      »Ich bin der Vater von Lola Schrader.«

      »Schön für Sie. Ob es allerdings für Lola auch schön ist …«

      »Sie lesen vermutlich keine Zeitung!«, unterbrach er mich. Er klang wie mein letzter Deutschlehrer: Ulysses in den Augen, Grundgesetz in der Tasche, Goethe in den Nasenfalten. »Und Sie haben sicher auch noch nie von Lola Schrader gehört. Nun ja, in Ihrer Branche kommt man wohl nicht zum Lesen.«

      Von welcher Branche redete er eigentlich? »Meinen Sie Bücher?«

      »Jaha!« Mein Telefon nickte.

      »Tut mir leid, ich bin Internetanalphabet.«

      »Das spielt eigentlich keine Rolle. Sie sollen das Buch ja nicht lesen. Und wie gesagt, am besten wird sein, Sie kommen gleich einmal bei uns vorbei. Am Telefon möchte ich das nicht besprechen. Und wir können auch gleich einen Vertrag machen. Falls das in Ihrer Branche üblich ist.«

      Zum Teufel mit meiner Branche! Was textete der eigentlich? Ich versuchte zu peilen. »Herr Schrader, wie sind Sie auf mich gekommen? A: über eine Zeitungsanzeige, B: übers Internet, C: zufällig, D: Ich bin Ihnen empfohlen worden. Bitte ankreuzen.«

      Der Lehrer trudelte einen Moment. »Na, wenigstens haben Sie Humor.«

      Ich habe keinen Humor!

      »Man hat Sie mir empfohlen. Sie sind in der Branche ja nicht sonderlich bekannt. Eine Website haben Sie auch nicht.«

      Es gab eigentlich nur eine Branche, in der meine Telefonnummer derzeit gehandelt wurde – allerdings nicht mit männlichem Präfix –, nämlich unter polnischen, ukrainischen, ungarischen und tschechischen Ex- und Noch-Nutten auf der Suche nach in der Sexindustrie verschollenen Schwestern. Ein Link zum letzten Fall, der mich meine Tapeten und Richard seinen Glauben an den Sinn der Nächstenliebe gekostet hatte. Ich ging im Geist die Clubs und Studios durch, in denen ich mich am Wochenende herumgetrieben hatte, um eine Jana aufzutreiben, die es als verdorbener tschechischer Engel irgendwohin verschlagen hatte.

      In dem Etablissement, in dem sie sich laut Website hätte befinden müssen, war sie nicht gewesen. Ich hatte eine nette Unterhaltung mit dem Chef der Four Roses über den Generationenwechsel gehabt, sein Sohn wollte das Table-Dance-Lokal übernehmen. In anderen Clubs stellte man besser keine Fragen. Mit den Arachnes hatte ich später über Grenzgebiete geflachst und darüber, dass sich ihr SM-Club in der Grenzstraße am äußersten Rand eines Industriegebiets befand. Im Büro hatte das Buch mit dem callgirlroten Cover gelegen. Über Kunden äußerte sich die Domina nicht, aber es war unzweifelhaft ein Kunde gewesen, der ihr das Buch dagelassen hatte. »In den Shop kann ich es aber nicht stellen«, hatte sie erklärt. »Was die Kids tun, ist voll bizarr. Aber Fisting an einer 13-Jährigen, das kannst du als Literatur verkaufen, nicht aber als Pornografie in einem Shop für BDSM6.« Jana hatte ich dann in einem Schuppen in Ludwigsburg aufgetrieben.

      »Und was für Dienste haben Sie sich vorgestellt, Herr Schrader?«, fragte ich den Kunden. »Französisch?«

      »Was … äh … Nein. Ich unterrichte Rhetorik.«

      »Ah so.«

      »Und wie gesagt, lieber nicht am Telefon. Wann können Sie kommen?«

      »Das kommt drauf an, wohin.«

      »Dann nehmen Sie den Auftrag an?«

      »Welchen Auftrag?«

      »Sie müssen verstehen, aus bestimmten Gründen kann ich unsere Adresse nicht ohne Weiteres an Fremde weitergeben.«

      Ich musste lachen. »Herr Schrader, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich nicht in spätestens einer Stunde weiß, wo Sie wohnen.«

      »Gut, dann in einer Stunde. Dann sehe ich auch gleich, was Sie können!« Damit legte er auf.

      Wer sich provozieren lässt, hat schon verloren. Wahrscheinlich wäre ich jetzt noch am Leben, wenn ich mich gezwungen hätte, Michel Schrader nicht zu beweisen, was ich konnte. Aber Lehrerstimmen packten mich immer noch an Häkchen meiner Kindheit. Mein Vater war zu früh gestorben, als dass ich ihm hätte beweisen können, dass ich mehr war als nur ein Mädchen. Das ist meine Ausrede, warum ich habe handeln müssen.

      Ich orientierte mich schnell im Netz. Lola Schrader – Malefizkrott, Amazon-Verkaufsrang 35245, kartoniert, 9,90 Euro. Das Buch war vor Weihnachten bei Yggdrasil in Tübingen erschienen. Der Verlag verriet auf seiner eigenen Seite, dass Lola Schrader die Tochter der Schauspielerin Marlies Schrader war. Bei Google Bilder erschien eine schmale Brünette. Ich erinnerte mich. Sie pilcherte meist eine Exfreundin, die noch ein bisschen intrigierte, ehe sie verlor. Sie gehörte einer Filmagentur in München. Tochter Lola Schrader war ihrem Facebookprofil zufolge Fan von Tokio Hotel. Von ihrem Gesicht sah man vor lauter Haaren nichts. Sie hatte 156 FreundInnen. Unter ihnen erkannte ich auch den Jungen wieder, der bei der Lesung gewesen war: Nino Villar. Lola wohnte in Stuttgart-Vaihingen. Schule: Fanny-Leicht-Gymnasium.

      Michel Schrader zeigte sein gelehrtes Gesicht auf der Seite der Musikhochschule im Bereich Figurentheater. Dort prangte auch seine Privatadresse. Er wohnte ihm Österfeldgewann, Stuttgart-Vaihingen. Spaßeshalber schaute ich noch nach, ob er in einem Online-Telefonbuch verzeichnet war. Er war es nicht. Das Ganze hatte mich neun Minuten gekostet.

      Umso mehr Zeit hatte ich für den Kleiderschrank.

      Schrader hatte mich mit Herr Nerz angeredet, also sollte er auch einen bekommen. Aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen kam es mir außerdem darauf an, dass er mich nicht gleich als Gast von Lolas Lesung wiederkannte. Ich wählte den dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd, eine Durchschnittsvertreterkrawatte, schwarze Schuhe und den Trenchcoat. Ans Handgelenk schnallte ich eine von den klobigen Tiefseetaucheruhren, die Männer so lieben. Das Haar ölte ich nach hinten.

      »So, ziehet Sie wieder amol in den Krieg?«, fragte Oma Scheible im Treppenhaus. »Passetse uf, gell!«

      In Büchern nannte man eine Wiederholung Leitmotiv. Alte Leute schufen ständig Leitmotive. Ein Wort, das es, wie ich sicher wusste, auch im Englischen gab.

      Es regnete noch. Die sonnigen Tage kamen erst später. Aber die ersten Deutschlandwimpel flatterten schon an den Autos an mir vorüber. An der Ecke Neckarstraße, Hackstraße erneuerten Maschinen das Gleisbett der Stadtbahn, die zum Gaskessel abbog. Ich holte Brontë aus der Garage. Die alte Dame aus der Familie Porsche, hochzeitsweiß mit nuttenroten Ledersitzen, muckte, als Regen ihre Windschutzscheibe nässte. Der Scheibenwischer knarzte.

      »Es muss sein«, erklärte ich ihr. »Wegen der Performance!«

      Das Autoradio teilte mir mit, dass unser Bundespräsident soeben zurückgetreten war, der Horst. Das habe es in Deutschland noch nie gegeben. Schlechte Performance. Dabei hatten wir doch erst am Samstag mit Lena den Grand Prix gewonnen. Gute Performance. Nettes junges Mädchen erklärt uns, wie das für schlanke Teenies ist, wenn sie sich verliebt haben. Die reine Physik, da gibt es kein Entkommen in die Vernunft. Sie glaubt

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