Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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Die Gruppe kam der Schlosskirche immer näher und Mutter fragte von hinten: „Wollen wir uns in der Kirche ein wenig ausruhen und ein kurzes Gebet halten?“ Alle waren sofort damit einverstanden. Der erste Weg war in der Sommersonne schon ein wenig ermüdend für die kleinen Füße der Kinder.
Ehrfurchtsvoll betrat die Familie die hohe, wunderschöne Schlosskirche. Die Kinder wussten ja, wie sie sich in der Kirche zu verhalten hatten: andächtig und ruhig. Aber diese Kirche war gegenüber dem Gemeindesaal kein Vergleich! Voller Staunen war ihr Blick. Und hier drin war der König gekrönt worden? Die Größeren konnten es kaum glauben, dass sich hier eine ganz einfache Familie aufhalten durfte, und doch war es so. Es war ja eine Kirche, und die war für alle Menschen da. Hanna schaute sich um. Die Bänke hatten schöne geschnitzte Verzierungen, die Säulen endeten in der hohen Decke in kunstvoll gestalteten Verstrebungen. Hanna verglich dies mit ihrer Hand. Der Arm war die Säule, die Finger die Verstrebungen, die in der obersten Stelle der Decke endeten. Die Plätze auf den Emporen waren sicher für die reichen Bürger. Der Altar war für Hanna beeindruckend schön. Vater sagte: „Schaut mal nach hinten. Dort oben ist eine Orgel eingebaut. Sie klingt wunderschön – viel schöner als unser Harmonium in unserem Gemeindesaal.“ Und wie auf Kommando ertönte zunächst in leisen, dann in immer lauter werdenden Tönen die Orgel. Hanna erkannte das Lied „Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke. Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke. Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.“ Sie strahlte ihre Eltern an zum Zeichen, dass sie die Melodie erkannt hatte und Mutter nickte ihr zu. Dass in einer Kirche die Musik so schön klingen konnte, hatte sie nicht vermutet. Ein Gefühl überwältigte sie, wie groß der liebe Gott sein musste, wenn in seinem Haus die Musik so schön war. Mutter und Vater setzten sich für einen Moment in eine Bank, falteten die Hände und dankten Gott für diesen schönen Tag mit der ganzen Familie.
Nach diesem beeindruckenden Erlebnis machten sie sich wieder auf den Weg, denn sie wollten ja noch bis zum Schlossteich gehen. Damit sie schneller voran kamen, erzählte der Vater kurz, dass in der Nordseite des Schlosses, an der sie jetzt vorbeigingen, das Marschallhaus steht. Vater sagte mit verschmitztem Lächeln: „Darin ist schon viele Jahre die Gaststätte ‚Das Blutgericht‘. Dort feiern die Offiziere, reiche Bürger und Edelleute große Feste. Aber wir feiern lieber Zuhause – das ist billiger.“ Hanna lenkte gleich ein: „Das hat unser Lehrer auch erzählt. Aber warum heißt es denn so?“ Vater wusste, dass zu Herzog Albrechts Zeiten dort der Marschall, also der oberste Heerführer, sein Haus hatte, der die Kriege organisieren musste und Recht für die Soldaten sprach. Da auch einige Soldaten im Gerichtsurteil die Todesstrafe erhielten, also Blut floss, nannte man es damals das Blutgericht. Aber die Nachforschungen haben ergeben, dass gar nicht so viel Blut geflossen ist. Und jetzt wird dort viel gesungen, gelacht und getrunken.
Vater erzählte verschmitzt, dass er als junger Mann auch mit Freunden dort gemütlich zusammengesessen und am Nachbartisch eine frohe Schar Jugendlicher Trinksprüche am laufenden Band gesagt haben, um dabei immer ein Gläschen leer zu trinken. Einige habe er noch in Erinnerung:
„Das Wandern ist des Millers Lust,
lass ihm man ruhig wandern.
Ich nehm erst einem fiere Brust
und denn auch foorts dem andern.
So leb denn wohl, du edler Geist,
wo jedem schmeckt und keinem beißt! Prost!“
Oder:
„Wenn ich dir seh, denn muss ich weinen,
weil du so klein geraten bist.
Drum muss ich leider dir vertilgen
mit Andacht und mit Hinterlist.
Bestimmt, du musst mir auße Augen.
Ich kann mir selbst nich weinen sehn.
Drum kuller runter längs e Gurgel,
und grieß man auch den Magen scheen. Prost!“
Anmerkung: Schloss und Stadt
Im Vordergrund der Münzplatz. Der Östliche Renaissancebau des Herzog Albrecht ist links zu sehen. Die selten fotografierte Nordseite des Schlosses ist rechts vorn.
Lisbeth und Hanna konnten sich nicht vorstellen, dass man an einem so hässlichen Ort lustig sein konnte. Schon alleine der Gedanke machte sie traurig, dass dort Menschen gestorben waren. Aber Vater hatte sie vollkommen von ihren traurigen Gedanken abgelenkt, auch durch die Tatsache, dass er ostpreußischen Dialekt gesprochen hatte, was nur äußerst selten vorkam.
Um noch den letzten Rest der traurigen Gedanken seiner Kinder zu verscheuchen, lenkte er sie ab: „Seht mal nach vorn, wo die Burg zu Ende ist, da beginnt gleich der Schlossteich.“ Und schon waren die Gedanken der Kinder in Richtung Wasser und Kuchen essen. Wie von einer inneren Macht getrieben, liefen sie schneller als vorhin.
Jetzt hatten sie wieder ein schönes Ziel vor den Augen. Vater und Mutter suchten auch nicht lange nach einer leeren Bank und holten den Esskorb aus dem Kinderwagen. Wie schmeckte es doch so gut in der frischen Natur! Am Sonntag! Am Schlossteich!
Anmerkung:
Das Südende des Schlossteiches mit dem Blick auf das Schloss. Der Schlossteich war der Wasservorrat der Gründer und ersten Bewohner des Ordensschlosses.
Auf dem Wasser schwammen die großen Schwäne und hinter ihnen – wie im Gänsemarsch – fünf kleine hinterher. Durch die vielen Spaziergänger angelockt, schwammen sie auch manchmal an den Uferrand und ließen sich füttern. „Mutter, darf ich dem Schwan auch etwas geben?“ „Ja, aber bitte nur ein bisschen, sonst hast du nicht genug“, war die Antwort. Und kaum war es ausgesprochen, da stürmten alle vier an den Teichrand. Lotte wollte mit ihren kleinen Beinchen natürlich auch dorthin und strampelte im Kinderwagen aus Leibeskräften. Der Mutter blieb nichts anderes übrig, als sie an die Hand zu nehmen und mit ihr auch dorthin zu gehen. Die Schwäne waren schon dicht an den Teichrand herangeschwommen und Fritz natürlich furchtlos in nächster Nähe. Die Mädchen hielten ein wenig auf Abstand. Die Kuchenbröckchen wurden in Richtung Schwäne geworfen und alle Schwäne versuchten, einen Brocken zu bekommen. Es dauerte auch nicht lange, und die Kinder wagten sich immer näher an die Schwäne heran. Aber die Schwaneneltern passten auf ihre Jungen so gut auf, dass ihnen nichts passieren konnte. Mutter mahnte: „Ihr müsst auch essen, ich habe nicht noch mehr Kuchen mit!“ Als die Kinder dann nichts mehr zum Fressen in den Teich warfen, machten die Schwäne ganz schnell kehrt und schwammen zur nächsten Futterstelle.
Mitten in dem Teich war eine Insel, die mit einem Zaun umgeben ein hübsches Schwanenhaus hatte. Hier konnten die Schwanenpaare mit ihren Jungen ungestört die Nacht verbringen, hier konnte sie niemand vertreiben oder jagen. Nur ab und zu kam dort ein Paddelboot vorbei und die Insassen betrachtete sich die Insel aus der Nähe.
Vater