Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Geburtsort: Königsberg - Ursula Klein страница 12
in der Altstadt die Macht,
im Kneiphof die Pracht,
im Löbenicht der Acker.
Denn in der Altstadt ist das Schloss, im Kneiphof steht der Dom und sind die Speicherviertel als Zentrum des Handels mit den dazugehörigen Geschäftshäusern und im Löbenicht eben die landwirtschaftlichen Betriebe. Das Wappen vom Kneiphof kann bedeuten, dass die Wasserstraßen des Pregel die Grundlage für den Reichtum sind. Mein Vater wusste es aber nicht genau. Die beiden Hörner können zu den Schiffen gehören, die geblasen werden mussten, wenn sie nachts durch die geschlossene Balkensperre fahren wollten, um in die Altstadt zu kommen.
Auf allen drei Wappen ist die polnische Krone als Zeichen der Vorherrschaft durch König Ottokar von Böhmen. Mein Vater“, so sagte sie kleinlaut, „wusste aber nicht, was die beiden Sterne im Wappen von Löbenicht bedeuten. Es kann sein, dass sie für die Berufe stehen, nämlich für Handwerker und Bierbrauer, die damals vorrangig dort ausgeübt wurden.“ Hanna atmete tief durch und sagte: „Mehr weiß ich nicht“.
Sehr zufrieden schaute sie der Lehrer an und sagte: „Das hast du aber gut gemacht. Dafür gebe ich dir eine Eins. – Setz dich!“
Hanna freute sich sehr über diese Zensur, denn ein Lob erntete sie wegen ihrer schlechten Schrift nicht sehr oft.
Allen Mut nahm sie zusammen, als sie fragte: „Herr Lehrer – Ponarth ist doch auch ein Stadtteil von Königsberg. Seit wann gehören wir denn dazu, wenn wir schon nicht im Stadtwappen enthalten sind?“ Etwas erstaunt schaute er auf das kleine, etwas schmächtige Mädchen.
„Ponarth war in der Vergangenheit ein Vorort von Königsberg, ein uraltes Pruzzendorf. Hier siedelten sich Bürger an, die nicht Deutsche waren, z. B. Litauer, Russen, Polen, Böhmen, aber für den Deutschen Orden arbeiten wollten. Seine Bedeutung hatte dieser Vorort dadurch, dass in mittelalterlichen Zeiten die Fürsten, die Königsberg besuchen wollten oder auf dem Weg von Petersburg nach Paris waren, in dem nächstgelegenen Gasthof abstiegen und dort von den Ratsherren von Königsberg empfangen wurden. Daher hat Ponarth auch ein umfangreiches Braugewerbe. Die dort hergestellten Bier- und Likörsorten werden in Königsberg gern von den Erwachsenen getrunken. Später kamen noch die Betriebe der Eisenbahn und des Militärs hinzu. Daher hat sich Ponarth wirtschaftlich schnell entwickelt. Als dann 1905 einige Vororte, darunter auch Ponarth, eingemeindet wurden, hatte die Stadtkasse damit auch mehr Einnahmen. Aber in das Stadtwappen wurden die anderen Stadtteile nicht mehr übernommen.– Reicht dir die Antwort?“
Hanna war zufrieden. Stolz konnte sie noch ergänzen: „Mein Vater arbeitet in der Hauptwerkstatt von der Bahn und wir wohnen gegenüber der Ponarther Brauerei!“
Angeregt durch das Interesse von Hanna ergänzte der Lehrer noch: „Die anderen Stadtteile oder Bezirke, wie Nasser Garten, Rosenau, Speichersdorf, Hufen, Amalienau usw. wurden entweder auch 1905 eingemeindet oder werden noch in den nächsten Jahren eingemeindet (Hinweis: Sie erfolgte 1927/1929). Dagegen die Gebiete von Roßgarten, Sackheim und Tragheim existierten bereits im Mittelalter und gehörten zu Königsberg, ohne eigenes Stadtrecht zu haben. – Es freut mich, liebe Hanna, dass du dich so für die Geschichte unserer Stadt interessierst.“
Freudig erregt lief sie nach Hause. Ach, wie sangen doch die Vögel so schön! Wie hübsch war der Löwenzahn, der zwischen Häuserwand und Gehsteigpflaster hervorlugte! Sie hätte am liebsten die ganze Welt umarmt.
Fröhlich trällernd kam sie nach Hause und strahlte über das ganze Gesicht ihre Mutter an. „Na, du freust dich ja so – heute hat es in der Schule wohl ganz besonders gut geklappt?“ „Ja – und wie! Der Lehrer hat mich gelobt und ich habe außerdem eine Eins bekommen!“ Mutter nahm Hanna in die Arme, drückte sie voller Freude und Mitgefühl und strahlte ihre Tochter an.
„Ach, Mutter, ich bin ja so glücklich!“ Mutter hatte sofort den Flickenkorb zur Seite geräumt, als Hanna nach Hause kam. Mutter hatte immer Zeit für alle. Mutter war immer freundlich und verständnisvoll. Eigentlich konnte sie mit den Kindern gar nicht richtig schimpfen, wenn es auch öfter notwendig gewesen wäre. Immer wirkte sie versöhnlich, wenn sich die Kinder untereinander gestritten hatten, immer fand sie tröstende Worte für den einen und den anderen und zum Schluss waren wieder alle friedlich. Keines der Kinder sah ihr an, wenn sie große Sorgen plagten. Sie trug die Last alleine, niemals war sie mürrisch oder ungerecht. Alle Kinder liebten darum Mutter so sehr, dass sie ihr keinen Kummer bereiten wollten. Und wenn dann doch ein Missgeschick geschah und Mutter traurig war, so war das für die Kinder schon Strafe genug. Die strenge Hand hatte dafür aber der Vater.
„Na, da wollen wir einmal gemeinsam überlegen, was wir am Sonntagnachmittag zur Belohnung unternehmen. Wollen wir einen Ausflug zum Schlossteich machen?“ „Oh ja, das wäre schön!“ Hannas Augen leuchteten voller Freude, denn ein Ausflug in die Stadt wurde nur selten gemacht. Die Eltern hatten nur die 30 Reichsmark, die der Vater wöchentlich Freitag immer nach Hause brachte, denn die Mieteinnahmen wurden für das Haus gebraucht. Und so war immer ‚Schmalhans Küchenmeister‘ und für Ausgaben, die nicht direkt mit der Versorgung zu tun hatten, blieb kaum Geld. Die Kinder bewegten sich deshalb nur in der Nähe des Hauses oder in Ponarth. Und damit war dieser Ausflug ein besonderes Ereignis.
Nach dem Besuch der Kirche am Sonntag konnte Hanna es kaum noch aushalten. Sie war so aufgeregt, dass sie nach dem Essen von der Küche in die Stube, von der Stube in das Schlafzimmer lief und nicht wusste, warum. Die Mutter sagte verständnisvoll: „Hanna, Lisbeth und Herta – helft mir in der Küche, dann können wir schneller fortgehen!“ Hanna war wie ein Wiesel. Die drei Mädchen teilten sich die Arbeit auf: Lisbeth wusch das Geschirr, Hanna trocknete ab und Herta verwahrte alles. Dazu musste sie einen Stuhl vor den Küchenschrank schieben, um an die Fächer zu gelangen. Der Küchenschrank war neben dem Tisch und den Stühlen das einzige Möbelstück in der Küche, so dass sie gar nichts falsch einsortieren konnte. Unter dem Küchenfenster war nur noch ein Vorratsschrank, der – weil die Hauswand an dieser Stelle dünner war – gleichzeitig als Kühlschrank für die Lebensmittel benutzt wurde. Über dem blank gescheuerten Herd mit der Backröhre und dem Wasserschiff prangte eine feine Kreuzsticharbeit „Eigener Herd ist Goldes Wert“. Aus der Besenkammer gleich links neben der Türe nahm Hanna zum Schluss noch den Besen und kehrte die Küche aus. „Fertig!“ strahlten alle drei.
Die Mutter hatte in der Zwischenzeit die beiden Kleineren - Fritz und Lotte -angezogen. Vater war noch vom Kirchgang im Sonntagsstaat. Seine gute schwarze Hose und den ‚Rock‘ – so wurde die Jacke bezeichnet – hatte die Mutter schon am Sonnabend ausgebürstet und vor dem Schrank auf den Bügel gehängt, damit gleich alles griffbereit war. Mit dem Hemd ging das schon anders zu: Es war das Flanellhemd, das auch wochentags – und manchmal auch nachts - getragen wurde, denn so viele Anziehsachen konnte sich der Maurer mit seinen fünf Kindern nicht leisten. Natürlich wurde dieses Hemd mit einem weißen, steifen Papierkragen verschönt, der am Halsausschnitt angeknöpft wurde. Das Jabot – ein steifer, weißer, meist in feinen Falten gelegter Einsatz wurde wie ein Latz am Kragen befestigt und darauf ein Schlips gebunden. Am Handgelenk schob Vater – ebenfalls aus Papier bestehend – eine Manschette in die Jacke und fertig war der Sonntagsanzug. Diese Papiereinsätze waren nicht sehr teuer, aber besonders fest und man konnte sie sogar ein wenig mit Wasser säubern. Somit ging jeder Mann am Sonntag mit Schlips und Kragen, wie es volkstümlich hieß.
Der Einkaufskorb wurde noch mit Kuchen, Kaffee und Milch, einem kleinen Tischtuch und Tassen gefüllt, auf den Kinderwagen gestellt, in dem Lotte saß, Vater setzte den Hut auf, nahm den Spazierstock, Fritz an die Hand und leitete damit den Ausflug ein. Mutter band noch schnell die Küchenschürze ab, die drei Großen bekamen ihre frisch gebügelten Sonntagsschürzen um, schnell noch eine Schleife in die dünnen Zöpfe und ab ging die Post bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Die war den Kindern gut bekannt, denn sie war gar nicht weit weg. Aber