Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein

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Geburtsort: Königsberg - Ursula  Klein

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eine Möglichkeit, mit den Gemeindemitgliedern Gott zu danken für alle Hilfe, Liebe und Fürsorge, die sie bisher erfahren hatte. Und Anna hatte täglich wenigstens einen Grund, um Gott zu danken.

      Ihr innigstes Dankgebet war aber vor ein paar Wochen, als Otto aus dem Krieg nach Hause kam. Die Kinder spielten gerade vor dem Haus auf dem Bürgersteig, als ein Soldat mit müden Schritten auf das Haus zuging. Hanna sah sich den Mann an: Was wollte der in ihrem Haus? Doch der Mann – unrasiert, verschmutzt und etwas hinkend - sah Lisbeth und Hanna - länger als fremde Menschen das tun -an, kam auf die beiden mit ausgebreiteten Armen zu. In seinen Augen war ein eigenartiges Leuchten, als er sagte: „Lisbeth, Hanna, ich bin wieder Zuhause! Ich bin euer Vater! Ich darf jetzt hier bleiben.“ Die beiden sahen sich ängstlich an. Doch dann kam die Erinnerung bei Lisbeth: „Vater, du bist wieder da! Da wird sich Mutter aber freuen! Komm rein, es gibt bald Mittagessen!“

      Hanna ging den beiden mit eigenartigen Gedanken hinterher. Das sollte der Vater sein? Er hatte zwar den Kaiserschnauzer, von dem die Mutter immer so geschwärmt hatte, aber sonst stimmte nichts an der Beschreibung. Dieser Mann hier war nicht so schön, wie Mutter ihn beschrieben hatte. Aber Lisbeth hatte ja bestätigt, was der Mann gesagt hatte, dass er der Vater sei.

      Es war schon eigenartig: Da kam ein Mann daher und sagte: „Ich bin euer Vater!“ Bisher waren sie doch ganz gut alleine mit Mutter ausgekommen. Gab es vielleicht jetzt noch weniger zu essen, wenn nun ein Esser mehr am Tisch saß? Die Gedanken wirbelten Hanna nur so im Kopf herum und langsam ging sie den beiden hinterher.

      „Mutter, Mutter! Vater ist wieder da!“ Lisbeth stürmte in die Wohnung und Mutter kam sofort aus der Küche. Mit einem Aufschrei der Freude fielen sich beide in die Arme und hielten sich eng umschlungen. Mutter weinte. Das hatte Hanna noch nie gesehen. Vater drückte Mutter und küsste sie immer und immer wieder. Ihre Augen suchten und fanden sich. In ihnen war ein Leuchten und eine Freude! Auch das hatte Hanna bei Mutter bisher nicht gesehen. Lange standen so alle im Korridor. Herta, Fritz und Lotte kamen aus der Stube und wunderten sich noch mehr als die beiden Großen über den fremden Mann und die Freude der Mutter. Liebevoll streichelte Mutter das Gesicht von Vater und sagte: „Du bist schmal geworden, du wirst Hunger haben. Das Essen ist gleich fertig. Zieh dir die Wehrmachtklamotten aus! Ich hole dir frische Wäsche und deine Haushose! Du kannst dich auch erst ein bisschen waschen! Kinder, geht mal in die Stube und deckt schon den Tisch. Wartet, bis wir in die Stube kommen! Beschäftigt euch mit Fritz und Lotte! Herta soll euch helfen!“ Doch nach dieser Organisationsflut sah sich Vater erst einmal um, nahm die Kleinen - Lotte und Fritz - auf den Arm, drückte und küsste sie, streichelte die Wangen der drei Großen und auch dabei leuchteten seine Augen voll Liebe und voller Stolz. „Seid ihr aber alle groß geworden! Und so hübsch seht ihr aus! Jetzt bleibe ich bei euch. Ich muss auch nicht wieder fort, der Krieg ist für mich zu Ende. Gleich morgen gehe ich in meinen Betrieb und arbeite, dann hat Mutter wieder mehr Geld und kann euch etwas Schönes zu essen kochen.“

      Das Letztere waren verheißungsvolle Worte. Nun konnten sie sich auf den fremden Mann, der ihr Vater sein sollte, auch freuen.

      Und schneller als gedacht, hatten sich die Kinder wieder an den Vater gewöhnt und auch dass er ab und zu einmal ein Machtwort sprach. Darum gingen die Kinder am heutigen Ostersonntag zum Gottesdienst zwar wohlerzogen vor ihren Eltern her, aber innerlich kribbelte und krabbelte es am ganzen Körper, denn heute früh hatte jedes der Kinder als Osterüberraschung ein neues Kleidungsstück erhalten und ein paar Bonbons. Und solche Überraschungen gab es nur noch zu Weihnachten.

      In der Sonntagsschule für die Kinder in der Gemeinde Speichersdorfer Straße, die parallel zum Gottesdienst für die Erwachsenen war, erzählte Onkel Fritz, der Bruder von Opa, wunderbare Geschichten und zeigte dazu schöne Bilder. Und heute – zu Ostern – war die Geschichte besonders ergreifend, denn Jesus war auferstanden von den Toten und darüber freuten sich alle. Hanna kannte zwar die Geschichte, aber Onkel Fritz erzählte so schön. Oft bekamen sie auch kleine Bilder geschenkt, über die sie sich ganz besonders freuten, denn sie wurden in einem kleinen Buch, das extra dafür geschaffen worden war, gesammelt. Wenn die Kinder also regelmäßig in die Sonntagsschule kamen, hatten sie auch eine komplette Bildersammlung für die biblischen Geschichten. Eifrig wurden auch manchmal zu den Festlichkeiten in der Kirche Gedichte gelernt, die die Kinder vor der ganzen Gemeinde vortragen durften. Das Herzchen schlug dann zwar bis zum Hals, aber Onkel Fritz saß immer in der ersten Reihe und half, falls einer nicht weiter wusste. Besonders schön klangen auch die Lieder mit Harmoniumbegleitung. Die Kinder sangen aus voller Kehle mit, achteten aber immer auf den Mund von Onkel Fritz, denn der kannte den Text. Aber mit der Zeit prägten sich die Lieder ein, ohne dass die Kleinen lesen konnten. Stolz hielt aber jedes Kind das Kinderliederbuch „Das Singvöglein“ in der Hand und erkannte die Lieder an den dazugehörigen Zeichnungen. Besonders gern sang Hanna das Lied:

      Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin

      Über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten,

      der mich liebt und der mich kennt und bei meinem Namen nennt.

      Das Stillsitzen in der Kirche war trotzdem für Hanna eine Qual, war sie doch ein so temperamentvolles Kind. Darum wurde der Weg nach Hause als Wettlaufstrecke genutzt, obwohl sie immer nur bis zur nächsten Ecke laufen durften. Aber es war ja so befreiend, nach dem langen Sitzen laufen zu können.

      Bis das Mittagessen Zuhause fertig war, durften die Kinder noch ein bisschen im Hof spielen. Manchmal hatte Hanna Pech und kam mit einem Loch im Strumpf oder einem schmutzigen Kleid in die Wohnung. Dann kam ein Donnerwetter auf sie herab und sie war traurig über sich, dass sie ihrer Mutti nun wieder Arbeit bereitet hatte. Aber dann kehrte wieder Ruhe ein, wenn alle am Tisch saßen und gemeinsam das Gebet sprachen.

      Am Dienstag nach Ostern war es endlich so weit: Die Mutti steckte in einen Ranzen eine Schiefertafel, an der ein nasser Schwamm und ein trockener Lappen hingen, einen Griffelkasten, in dem zwei gespitzte Schiefergriffel lagen und das Lesebuch. Eine Schnitte Brot vervollständigte die Ausrüstung. Schwamm und Lappen hingen an der Seite aus dem Ranzen heraus und baumelten munter umher. Die Schiefertafel klapperte beim Gehen. Hanna fühlte sich durch den Ranzen gleich viel größer. Die Mutter ermahnte liebevoll: „Hanna, sei vorsichtig mit deinem Ranzen und der Schiefertafel, wir können so schnell nichts Neues kaufen! Sei auch vorsichtig auf der Straße und höre, wenn Lisbeth dir etwas sagt!“

      Innerlich sträubte sich Hanna gegen diese Worte, denn sie war ja jetzt auch schon groß, und immer wurde Lisbeth als Vorbild hingestellt. Aber gehorsam nahm sie die Hand ihrer Schwester und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.

      Wie ein Klassenzimmer auszusehen hatte, wusste Hanna ja schon von ihrer Schwester. Und so war es auch: Für den Lehrer gab es ein hohes Schreibpult, auf dem Kreide und ein Rohrstock lagen. Eine große dunkle und zugleich geheimnisvolle Tafel stand den Schülern gegenüber und wartete darauf, dass sie beschrieben wurde. Die Schulbänke waren alt und stabil und hatten sicher schon vielen Kindergenerationen als Sitz- und Arbeitsfläche gedient. Gleich neben der Türe stand ein eiserner Ofen und daneben ein Eimer mit Holz und Kohlen. An der Wand hing in einem würdevollen Rahmen das Bild Kaiser Wilhelm I. Ehrfurchtsvoll setzte sich Hanna gleich in die erste Bank. Leider konnte sie nicht mit dem Stuhl kippen, denn die Sitzfläche war mit der Schreibfläche verbunden. Am oberen Teil der Schreibfläche war ein Tintenfass unter einem Deckel verborgen. Das brauchten aber nur die Großen, denn sie schrieben nicht mehr auf der Schiefertafel, sondern auf richtigem Papier. Wenn sie dann lange genug geübt hatten, mit Bleistift zu schreiben, durfte die Tinte zusammen mit einem Federhalter benutzt werden. Der Hausmeister war dafür verantwortlich, dass immer genug Tinte in den kleinen Fässchen mit den Deckeln enthalten war. Hanna kontrollierte gleich, ob das auch wirklich so war. Aber bis sie selbst mit Tinte schreiben durfte, musste sie noch zwei Jahre warten.

      Nach dem „Guten Morgen, Kinder! – Setzen!“ hagelte es auch gleich Anweisungen zum Verhalten. Darum saßen alle Kinder zunächst wie angenagelt

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