Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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![Geburtsort: Königsberg - Ursula Klein Geburtsort: Königsberg - Ursula Klein](/cover_pre968795.jpg)
Fragen über Fragen und Tippfehler am laufenden Band.
Pünktlich auf die Minute klopft jemand an die Türe. „Herein!“ Gott sei Dank! Er ist es! Mein Herz klopft noch schneller als vorhin bei der Warterei. Strahlend kommt Gerd auf mich zu und gibt mir die Hand zum Gruß. Wie alle Besucher – so bleibt auch er vor dem Ehrfurcht einflößenden Schreibtisch stehen. Doch unsere strahlenden Augen sehen keine Hindernisse, sie finden sich. Und alle Aufregung, alle Angst ist vergessen.
Nun geht alles seinen Lauf: Wir machen einen Spaziergang in dem Gothaer Park und Gerd erzählt so allerlei nette und lustige Dinge. Auch von seiner jetzigen Schule. Er ist zwar erst vier Wochen dort, aber sie sind im Internat eine lustige Truppe, die sich alle auf Anhieb gut verstehen. Viel Sport wird dort in der Freizeit auf dem abgeschlossenen Gelände betrieben, so dass die jungen Männer ihre Kräfte messen können. Auf meine Frage nach dem Unterricht antwortet er so gelassen, wie es eben geht: „Wir haben viele neue Unterrichtsfächer, von denen ich vorher noch nicht einmal gewusst habe, dass sie existieren, aber ich werde das schon schaffen. Nur Deutsch macht mir eben ein paar Probleme. Aber das war bei mir in der Schule schon immer so.“
Obwohl er ja in Gotha wohnt, kann er im Internat bleiben. Somit entfällt der tägliche Weg zur Schule und zurück. Wenn er aber so richtigen Hunger hat (und den hat er oft, wie er mir erzählt), fährt er mit dem Fahrrad oder mit der Straßenbahn nach Hause zu seinen Eltern. Wo sie wohnen, weiß ich schon, denn mein Heimweg nach der Schule führte mich immer an dem Haus vorbei und schon damals saugten sich meine Augen an den Fenstern fest, ob er nicht doch gelegentlich dort zu sehen wäre.
Die Zeit bis zum Kinobeginn vergeht in Sekundenschnelle. Alles, worüber wir uns unterhalten, ist wichtig und interessant, erzählt es doch vom Leben des anderen.
Ich bin bis zu diesem Zeitpunkt bisher nur selten im Kino gewesen, weil ein Kinobesuch in meinem Elternhaus als Luxus betrachtet wurde, obwohl eine Karte höchstens 1,80 M kostete. Und so war diese Vorstellung für mich eine Besonderheit. Zuvorkommend nahm Gerd mir an der Garderobe den Mantel ab und bezahlte (mit Trinkgeld!) die Gebühr. Er gab - ganz Kavalier - der Platzanweiserin die Karten, die uns unsere Sitzplätze höflich und freundlich zuwies. Er sah in seinem grauen Sakko, der dunklen Hose und dem dunklen Schlips feierlich, sportlich und elegant aus. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin, die mit ihrem Prinzen im Theater placiert wird. Neugierig schaute ich mich um: alle Besucher unterhielten sich in gedämpftem Tonfall, waren etwas feierlich gekleidet, gut frisiert und machten ein wichtiges Gesicht, da der Film ein Menschenschicksal darstellte und sich jeder als kulturinteressiert einschätzte. Die Kinobesucher waren bunt durcheinander gewürfelt: junge und ältere, vorwiegend aber ältere, weil der Film ja weniger Unterhaltung, aber dafür mehr Informationen enthielt.
Doch was viel wichtiger war: Ich saß neben ihm. Ich fühlte seine Nähe, seine Wärme. Ich war glücklich. Meine bisherige Aufregung wich allmählich einem wohligen Gefühl der Geborgenheit. Die hektische Geschäftigkeit und Spannung wich einer inneren Zufriedenheit und Ruhe.
Nach dem dritten Gong verdunkelte sich das Licht, der schwere, dunkelrote Samtvorhang schob sich zur Seite. Nach den obligatorischen Werbebeiträgen und der Wiederholung von Gong und Lichtdimmer fing der Film endlich an.
Wir sahen einen ärmlich gekleideten jungen Mann als Lehrling in der Kunsthändlerausbildung, der recht unglücklich in seinem Beruf war. Danach versuchte er sein Heil als Prediger in einem Bergbauzentrum. Doch was sollte das mit dem berühmten Maler zu tun haben?
Unsere Blicke fanden sich auch im Dunkeln des Kinosaales und fragten gegenseitig: Gefällt dir das? Und so ist es nicht verwunderlich, dass unsere
Aufmerksamkeit anfänglich gequältes Interesse heuchelte, denn das war sogar nicht unsere jetzige Welt, in der wir uns befanden. Aber so ungelegen kam uns diese Situation gar nicht, denn somit hatten wir Zeit und Gelegenheit, die Zweisamkeit besser zu spüren.
Doch dann kam etwas: Van Gogh begann aus eigenem Gefühl heraus zu malen, ohne dass ihm jemand gezeigt hätte, was er alles berücksichtigen muss. Nach so allerlei Versuchen und einem ärmlichen Leben zieht er zu seinem Bruder nach Paris. Hier verändert sich sein Stil dahingehend, dass seine dunklen, düsteren Bilder in grell-leuchtende Farbgebung wechseln. Das gefiel uns schon etwas besser. Und als schließlich Van Gogh aus seiner Krankheit heraus einen Selbstmordversuch machte und er später in völliger Armut starb, flossen bei mir die Tränen und ich schluckte kräftig, damit es nicht so auffiel. Gerd hatte natürlich auch mit seinen Gefühlen zu kämpfen. Er zeigte es mir aber dadurch, dass er die eine Hand festhielt und die andere streichelte. Das tat ja so gut! Doch als das Licht wieder eingeschaltet wurde und sich der Vorhang schloss, sah ich immer noch verheult aus. Und ich schämte mich. Doch Gerd sah mich liebevoll an, zog aus seiner Hosentasche ein Taschentuch hervor und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Da war der Bann gebrochen: ich konnte wieder lächeln und fühlte mich verstanden in meinen Gefühlen. Und dann bemerkte ich auch in seinen Augen Spuren der Rührung aus der Filmhandlung. An der frischen Luft waren dann alle Gefühlsausbrüche vergessen.
Doch eins hatte der Film bei uns neben der Information bewirkt: wir waren uns sehr nahe gekommen. Ich wusste nun: das war kein „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“, sondern er konnte seine Gefühle genauso zeigen wie ich. Für mich war das nicht nur ein Kinobesuch schlechthin gewesen, sondern ein erstes starkes Band des sich Kennenlernens und Verstehens. Wir waren jetzt nicht mehr nur zwei ehemalige Schüler, die sich kannten, sondern mit unseren Gefühlen miteinander verbunden.
Das zeigte sich dann auch äußerlich darin, dass Gerd mich jetzt öfter besuchte, ohne dass ich für ihn etwas schreiben sollte. Mir war es mehr als recht.
Doch damit begannen auch einige Probleme:
Ich wohnte von Montag bis Sonnabendmittag mit meiner Schwester in einem möblierten Zimmer in Gotha. Nach der Arbeit fuhren wir mit der Waldbahn nach Hause zu unseren Eltern nach Friedrichroda.
Und damit stand fast täglich Gerd zum Dienstschluss vor der Volkshochschule, um mich abzuholen und „nach Hause“ zu bringen. Der gemeinsame Weg durch den Park wurde heißersehntes Tagesziel. Und so wurden auch die Wege immer verschlungener und weitläufiger, so dass ich immer später bei meiner Schwester eintraf. Da sie schon sehr früh mit ihrer Arbeit als Buchhalter begann (sie musste schon um 5 Uhr aufstehen), war natürlich ihre Arbeitszeit auch früher beendet und sie wartete täglich mit dem Abendbrot auf mich. Nur wurde die gemeinsame Mahlzeit immer öfter nach 19 Uhr verlegt und sie wurde darüber – verständlicherweise – etwas brummig. Doch letztlich hatte sie auch Verständnis dafür, denn sie war ja selbst verlobt.
Auch die Eltern von Gerd wurden allmählich neugierig, mit wem da ihr Sohn so oft spazieren geht, obwohl er doch eigentlich lernen sollte. Da unser Weg oft an der Wohnung vorbeiführte, lauerte sein Vater ab und zu am Fenster, um zu sehen, wer das wohl sein könnte und vor allem, wie sie aussah.
Es war schon Spätherbst. Ich hatte eine von Dorchen genähte wunderschöne warme rotgefütterte schwarze Wolljacke an, das Kopftuch – damals ganz modern gebunden - und Gerd an meiner Seite. Unsere Blicke gingen gemeinsam zum Fenster hin, wo auch tatsächlich der Vati zu sehen war. Gerd winkte herauf, ich tat das Gleiche, Vati winkte zurück und lächelte dabei. Obwohl die Wohnung im dritten Stockwerk war, konnte – oder wollte? – ich Zustimmung erkennen. Und schon war der Kontakt hergestellt.