Die Zeit auf alten Uhren. Gerhard Köpf
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Madame Schaumlöffl
Ungelogen: Sie hieß wirklich Schaumlöffl, Maria Magdalena Schaumlöffl, und sie war das einzige Kind des Zuckerbäckers August Schaumlöffl und seiner Ehefrau Martha, geborene Sterzel. Wer damit angefangen hat, das Fräulein Schaumlöffl mit Madame anzusprechen, ist heute nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit zu eruieren. Möglicherweise hatte meine Tante Mirtel die Hände im Spiel, denn sie liebte solche Spötteleien. Genaues weiß man nicht, aber ich habe da so einiges munkeln hören. Und es wäre auch nicht die erste Angelegenheit gewesen, bei der sie im Hintergrund nicht tüchtig mitgemischt hätte. Fest steht nur, dass sich diese Form der Anrede rasch etablierte und, wie übereinstimmend befunden wurde, der Respekt gebietenden Erscheinung der tüchtigen Geschäftsfrau sogar durchaus angemessen war.
Madame Schaumlöffl also, eine glänzend im Strumpf stehende Enddreißigerin, die wie eine resche Mittzwanzigerin aussah, war durch Schleckereien reich geworden. Sie hatte bei ihrem Vater, einem weithin angesehenen Zuckerbäcker, das Handwerk gründlich gelernt und eines Tages, als der Alte begann, die Zutaten zu verwechseln, das elterliche Geschäft übernommen und zu dem gemacht, was es heute in der Welt der Feinschmecker ist: ein Begriff. Wo immer Madame Schaumlöffl aufkreuzte, und es gab eine Zeit, in der sie kein gesellschaftliches Ereignis zwischen Bayreuth und Salzburg ausließ, tuschelte man nicht nur über ihr fabelhaftes Aussehen, denn sie war so gesund und rotbackig wie ein Mädel vom Land, sondern auch über den Umstand, dass Madame Schaumlöffl nie geheiratet hat, also eigentlich eine Mademoiselle Schaumlöffl war.
Ihre große Liebe, der Patissier Jacques, erster Geselle ihres Vaters, ein hochbegabter Franzose aus Savoyen, von dem sie nur den Vornamen kannte, hatte sich, obgleich er ihr mit allerlei französischen Schöntuereien die Ehe versprochen, kurz vor Bestellung des Aufgebotes mit der Ladenkasse auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub gemacht, so dass die auf schnöde Weise Sitzengelassene nie den vollen Namen ihres Angebeteten erfuhr, denn selbstverständlich waren seine nachlässig zurückgelassenen Papiere gefälscht. So blieb sie also ledig, konzentrierte sich umso eifriger auf das Geschäft, stellte nur noch italienische Gesellen ein und machte ihrem sprechenden Namen mehr und mehr Ehre.
Bis sie eines Tages auf Stefano Lavarone stieß, einen Reisenden in Sachen Damenunterwäsche. Dieser Bonvivant aus Mailand führte nur feinste, hauchdünne Modelle in seinem Musterkoffer mit sich, eines sündhafter, ja verruchter als das andere, und samt und sonders französische Marken, die nicht nur für Qualität, sondern auch für hohe Preise bürgten und die auszusprechen einem die Schamröte über die Zunge trieben.
Wie Lavarone es angestellt hat, dass ihn Madame Schaumlöffl bei sich zu Hause empfing, ist nicht bekannt geworden. Auffällig war nur, dass er bereits nach dem zweiten Besuch bei ihr übernachtete. Im Gästezimmer, wie sie ausdrücklich gegenüber ihren Freundinnen betonte, mit denen sie sich, so oft es ihre Geschäfte zuließen, zum Kaffeekränzchen traf.
Lavarone freilich war ein Hallodri. Das sah man ihm auf Anhieb an: souveränes Auftreten, geschmeidige Bewegungen, glutvolle Augen, Brillantine im Haar, ein gepflegtes Menjou-Bärtchen, elegantes Äußeres und einen schmachtenden Blick, mit dem er offenbar jede Frau für sich und sein ebenso kostspieliges wie leicht frivoles Angebot einnehmen konnte. Er sprach Deutsch mit einem italienischen Akzent, was für sein Geschäft zweifellos einträglicher war als lupenreines Hochdeutsch mit hannoveraner Einschlag. Wenn er beispielsweise das Wort Mieder aussprach, hatte man den Eindruck, er parliere nicht nur von der Verpackung, sondern auch gleich vom Inhalt. Dabei setzte er vor allem seine in der Luft allerlei Gestalten formenden Hände ein, gestikulierte herum, fuchtelte, deutete, schmeichelte, speichelte, streichelte, ließ seine gepflegten Finger wie ein Paganini spielen, wedelte und tätschelte, als gelte es, dem Teufel eine Seele zu gewinnen. Er konnte einem einen Knopf ans Ohr quasseln: ein typischer Vertreter eben.
Was er Madame Schaumlöffl alles aufgeschwatzt und angedreht hat, konnte man nur ahnen, wenn gelegentlich – wie aus purem Zufall – irgendwo eine zarte Spitze hervorlugte, denn die Dame hielt sich strikt an das Eisberg-Prinzip: der wichtigste Teil blieb unsichtbar. Hin und wieder glaubte man auch, ein geheimnisvolles seidenes Rascheln zu vernehmen, wenn Madame sich bückte oder auf eine Staffelei stieg, um aus den oberen Regalen etwas herunterzuholen. Sobald man jedoch dieses Geknisters gewahr wurde, dachte man unwillkürlich an Stefano Lavarone, und man hatte das Bedürfnis, umgehend die Beichte abzulegen.
Der Milanese war nämlich, nicht wie sonst üblich, nach wenigen Tagen des Aufenthaltes im Blauen Land weitergezogen, sondern er war geblieben. Und zwar im Hause der Madame Schaumlöffl, und es hatte nicht lange gedauert, bis er bei den Honoratioren am Stammtisch einen festen Platz erobert hatte und naturgemäß das große Wort führte. Dabei ging es – außer in einigen frivolen Herrenwitzen zu vorgerückter Stunde – nicht mehr um Damenunterwäsche, sondern um Grundstücke, und es sollte sich herausstellen, dass besagter Lavarone auch dafür einen Riecher hatte. Zunächst vermittelte er Wohnungen zu Freundschaftspreisen: unter der Hand, versteht sich. Kein halbes Jahr später hatte er bereits ein kleines Büro, schaffte sich eine energische Sekretärin an, die das Telefon bediente, und betrieb einen schwunghaften Handel mit einer neuen Mode, die sich Ferienwohnungen nannte, zu der auch Urlaub auf dem Bauernhof kam. Längst hatte Lavarone einen Sitz im Gemeinderat und saß, wie praktisch, dem Bauausschuss vor. Als der Vorsitzende des Skiklubs von einem Herzinfarkt gefällt wurde, rückte der selbstlose Italiener nach und sorgte dafür, dass sich nicht nur neue Skilifte in die Steilhänge fraßen, sondern auch namhafte Wettkämpfe ins Blaue Land kamen, die via Fernsehen in alle Welt übertragen wurden. Da es aber beim Wintersport bedauernswerterweise immer wieder zu Knochenbrüchen kam, verfiel die Gemeinde auf die glorreiche Idee, eine Spezialklinik mit angeschlossenem ReHa-Zentrum zu bauen. Dafür infrage kam aber kein kommunaler, sondern ein privater Bauträger. Wie dieser heißen sollte, war kein Geheimnis. Die Bäume des Stefano Lavarone schienen in den Himmel zu wachsen, und Madame Schaumlöffl, die auch nach der pompösen Hochzeit mit weißer Kutsche, Schimmeln und beinahe kirchturmhoher Torte weiterhin ihre Zuckerbäckerei betrieb, zu der sich mittlerweile zahlreiche Filialen gesellt hatten, wurde immer runder, rotbackiger und stolzer.
Was einzig fehlte war ein Bambino, ein Stammhalter, obwohl der Italiener hundertfach versprochen hatte, seiner Angebeteten zu zeigen, wie man Tango im Liegen tanzt. Ein Knäblein sollte es werden, das einmal übernehmen sollte, wofür sich seine Erzeuger krumm gelegt hatten. Doch ein solcher Kronprinz wollte und wollte sich, porca miseria, nicht einstellen.
Angesichts dieses einzigen Wermutstropfens im Goldpokal des Schaumlöffl-Lavarone-Kartells meldete sich, zuerst ganz zart, so etwas wie Trübsal im Gemüt der Rotwangigen. Die Trübsal nahm, wie Madame, zu, denn Madame begann, Pillen zu schlucken, die ihr ob einer beginnenden Schwermut die Frauenärztin verordnet hatte. Doch alles was beruhigt, macht dick, hatte die Frau Doktor dunkel aber wahrheitsgetreu geraunt, und so geriet Madame Schaumlöffl allmählich zur Madame Dampfnudel. Die fachärztliche Erkenntnis, dass die Kinderlosigkeit nicht etwa ihrer weiblichen Infertilität geschuldet war, sondern am kalten Samen von Signore Lavarone lag, erschütterte die geschäftlich überaus erfolgreiche Zuckerbäckerin zutiefst. Dieser ganz mit seinen diversen Posten, Pöstchen und Gschaftlhubereien, sehr diskret freilich auch mit seiner neuen Sekretärin beschäftigte Tausendsassa hielt das für eine glatte Fehldiagnose meiner Tante Mirtel, unterstellte ihr überdies allerlei böse Absichten und Hintergedanken, nannte sie selbst eine vertrocknete Spinatwachtel, und begann, sich – als Gegenbeweis – hormonell auszutoben, so dass ihm bald der Spitzname „Häuptling offene Hose“ vorauseilte. Weibliches Personal wollte nicht länger mit ihm alleine im Treppenhaus sein. Dafür stieg sein Ansehen an den Stammtischen, und es wirkte sich auf die Inhalte sowie die sprachliche Ausgestaltung diverser Herren- und Kasinowitzchen aus.
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