Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz

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Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer - Erik Lorenz

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aber Catlins Erzählungen waren ein Heiligtum in ihrem Bücherschrank. Darüber hinaus habe auch ich durch die gründlichen Recherchen des Autors manches Neue erfahren.

      Wie es ihr, darauf aufbauend, gelang, den Leser in eine ferne, fremde und dennoch authentische Welt zu versetzen und mit spannenden Geschichten zu fesseln – das ist und bleibt wohl das Geheimnis der schriftstellerischen Phantasie und Kreativi­tät. Diese Art von Kreativität war nicht etwas, was sie bewusst einsetzen konnte wie ein Werkzeug; sie war ein Rausch, der sie entführte, und dann schrieb sie bis zur Erschöpfung. War eine Episode fertiggestellt, begann irgendwann die Feinarbeit daran, das Schleifen an den Dialogen...

      Es war schon ziemlich exotisch, dass eine Bürgerin der DDR sich für die nord­amerikanischen Indianer engagierte – sich nicht einfach nur interessierte, sondern über sie schrieb, für sie schrieb und ihnen nach Möglichkeit auch materiell half. Aber es wurde noch viel mehr daraus: Die DEFA drehte Indianerfilme, es entstanden »Arbeitsgemeinschaften« junger Menschen, die die indianische Kultur studierten, mitunter diese in ihrer Freizeit sogar imitierten. Viele setzten sich mit meiner Mutter in Verbindung, baten um Informationen und Ratschläge.

      Warum gerade die Eingeborenen Nordamerikas? Es mag Zufall gewesen sein, als schon in ihrer Kindheit dafür der Grundstein gelegt wurde. Aber es ging ihr wie vielen anderen: Nachdem sie begonnen hatte, sich mit deren Geschichte und Kämpfen zu beschäftigen, ließen sie sie nicht mehr los, begleiteten sie ihr ganzes Leben lang. Was ihr, was uns diese Beschäftigung zu geben vermochte und immer noch vermag, wird in dem Text »Indianer und wir« warmherzig und aus erster Hand geschildert.

      Viele Jahre lang waren »Die Söhne der Großen Bärin« in der DDR Mangelware. Der kleine private Altberliner Verlag Lucie Groszers erhielt nur ein schmales Papier­kontingent. Umso mehr wurden die Bibliotheken frequentiert, die wiederum gerne Autoren zu Lesungen einluden. Meine Mutter erreichten weit mehr Anfragen, als sie allein schon aus Zeitgründen nachkommen konnte. Sie konnte also auswählen, und sie suchte sich Bibliotheken, Betriebskulturhäuser und Orte aus, die sie besonderes interessierten. Darunter waren ein Jugendwerkhof, ein Chemiekombinat bei Bitterfeld, Kinderheime, ein Steinkohlebergwerk bei Oelsnitz…

      Gelegentlich konnte ich sie begleiten, später chauffierte ich sie. Regelmäßig wurden mit dem Besuch Betriebsbesichtigungen verbunden, die sie gründlich nutzte. Sie wollte wissen und es nachfühlen, wie die Menschen wirklich lebten und arbeiteten, die von der Propaganda und den Medien der DDR nur als eine Art »Workaholics« dargestellt wurden. Nach den Ereignissen von 1956 war ihr zunächst naives Bild vom Sozialismus als der besten aller möglichen Welten ins Wanken geraten, und sie war selbst wieder eine Suchende geworden. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder waren es womöglich ihre Erfahrungen in der DDR, die sie zu den sarkastischen Schilderungen der Bürokratie des BIA, des Bureau of Indian Affairs, und der Verwaltungen der Indianerreservate inspiriert hatten?

      Übrigens erreichte sie es tatsächlich, in Oelsnitz auch in den Schacht einfahren zu dürfen.

      Es war mehr als bloße Neugier, es waren Wissbegier und Anteilnahme, die sie leiteten. Schon so reich an Lebenserfahrung, sammelte sie immer weitere Eindrücke. Diese wären vermutlich in einen Gegenwartsroman eingeflossen, für den sie in den siebziger Jahren Pläne schmiedete und erste Szenen verfasste. Aber dazu kam es nicht mehr, und so darf man sicherlich zu Recht die Pentalogie »Das Blut des Adlers« als ihr literarisches Hauptwerk und Vermächtnis betrachten.

      Dr. Rudolf Welskopf

      Es ist eine natürliche und zugleich merkwürdige Geschichte, die ich euch erzählen will. Sie beginnt mit den Indianern – wenn ihr wollt, vor zehn-, zwanzig- oder vierzigtausend Jahren – als die braunhäutigen schwarzhaarigen Menschen in die unbekannte Wildnis des großen Kontinents eindrangen, dem wir später den Namen Amerika gegeben haben. Kein Geschichtsschreiber hat die Taten und Leiden dieser ersten Entdecker aufgezeichnet, und noch hat kein Dichter ihnen mit seiner Einbildungskraft nachgespürt.

      Vergangen und vergessen? Nicht ganz. Sagen und Legenden sind geblieben, und die Menschen – die Nachkommen. Nachdem sie einen Kontinent mit unendlichen Mühen und Gefahren, mit ganz einfachen Waffen und Werkzeugen erschlossen hatten, sind neue Entdecker gekommen – das waren unsere Väter, Großväter, Urgroßväter – sie hatten schon bessere Waffen und wirkungsvollere Werkzeuge und blieben Sieger. Heute gibt es in Amerika über vierzig Millionen Indianer, als Farmer, Rancher, Landarbeiter, Industriearbeiter, in Südamerika und Mexiko, auf den Reservationen der USA und Kanadas. Es gibt indianische Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler, Wissenschaftler. Der größte Teil der Indianer aber lebt noch in Armut; einige wenige haben in der Wildnis des Amazonas ihre Lebensweise beibehalten. Ohne die Indianer hätte die Geschichte, die ich euch erzählen will, nicht geschehen können.

      Meine Mutter war eine schöne Frau, lebhaft und intelligent, alle liebten sie, und ich liebte sie über alle Maßen und war ihr ganz und gar gehorsam. Sie erwartete das von mir, und für mich gab es zu jener Zeit, als ich neun Jahre alt war, keinen Zweifel daran, dass sie damit recht habe.

      »Warum liest du das Buch nicht weiter, Lislott?«

      »Es ist schwer – ich verstehe es nicht recht.«

      »Es ist ein gutes Buch. Du liest es.«

      Ich las es. Es war ein sehr dickes Buch, genau gesagt, es waren mehrere Bände. In der Schule hatte ich von Geographie und Geschichte Amerikas noch nichts erfahren. Ich musste meinen Kopf anstrengen und viele Fragen stellen, um hinter die Dinge zu kommen. Ich tat das.

      »Lislott – hast du heute Nacht heimlich gelesen?«

      »Nein – nein.«

      Mir war nicht wohl bei der Lüge. Vielleicht war es überhaupt meine erste Lüge. Ja, ich glaube, das war das erste Mal, dass ich meine Mutter anlog.

      »Und was ist das?«

      Mutter hatte das Lesezeichen unter dem Bett gefunden. Ich wusste, dass ich es verloren hatte; ich hatte es auf den Knien und auf dem Bauche liegend des Nachts gesucht. Gefunden hatte es jetzt meine Mutter.

      Ich wurde glühend rot. Ich spüre heute noch, wie heiß mein Gesicht wurde.

      »Lislott!«

      Ich sagte nichts mehr. Ich schämte mich.

      Die Lederstrumpfgeschichten durfte ich aber weiterlesen. Der jüngste Bruder meiner Mutter, ihr Lieblingsbruder, ein Forstmeister, hatte sie mir geschenkt.

      Des Abends brannte die Lampe über dem Familientisch. Meine Eltern lasen Zeitung.

      »Lislott – hier, lies. Deine Indianer haben einen Aufstand gemacht. Der Präsident von Mexiko schickt Truppen gegen sie. Nun wird es ihnen sehr übel ergehen. Aber du tust nichts für sie! Du redest nur unentwegt von deinen Indianern.«

      Ich las. Es waren die Yaqui-Indianer, die ihre Heimat verlassen sollten und die darum zu den Waffen gegriffen hatten.

      Ich schämte mich wieder. Ärger als das erste Mal. Ich redete nur – ich tat nichts. Was für

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