Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
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5 Vgl. ABBAW 1 (Lebensläufe) und 190 (Brief vom 11.12.1975). Weitere Informationen von Isolde Stark.
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Bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr der Jugendliteratur von Autoren wie Karl May und vor allem Cooper zugetan, wandte sich Welskopf-Henrich später Werken wie Schillers philosophischen und historischen Schriften sowie Lessings Schriften zu Kunst und Dramatik zu. Shakespeares Tragödien sah sie im Reinhardt-Theater in Berlin. In den folgenden Jahren galt ihre Aufmerksamkeit zunehmend der russischen Literatur, der deutschen kritischen Literatur der frühen zwanziger Jahre und französischen, englischen und norwegischen Schriftstellern. Auch für das Gebiet der historischen Wissenschaft begeisterte Welskopf-Henrich sich bald – so studierte sie mit 14 Jahren Thukydides, einen der bedeutendsten Historiker der Antike. Überhaupt interessierte sie sich schon frühzeitig für Bücher über das frühe Griechenland und die griechische Mythologie und beschloss bereits in diesen jungen Jahren, Altertumswissenschaftlerin zu werden.
Ihren Beruf als Althistorikerin übte Welskopf-Henrich mit Leidenschaft, Ehrgeiz und wissenschaftlicher Neugier aus. Zahlreiche Verdienste für die Abteilung Altertum an der Humboldt-Universität, die durch Welskopf-Henrich bedeutend an Ansehen gewann, sind ihr zuzuschreiben. Bis zum Schluss gab es in ihrem Leben nach dem Zweiten Weltkrieg kaum einen Zeitraum, in dem sie nicht an einer wissenschaftlichen Groß-Produktion arbeitete. Diese Projekte, die sie unter dem Namen Elisabeth Charlotte Welskopf herausgab, hatten internationalen Charakter: Die »Hellenische Poleis«6 etwa wurde unter der Leitung Welskopf-Henrichs von einem Autorenkreis aus aller Welt geschaffen. Wissenschaftler von Universitäten und staatlichen Museen der DDR, sowjetische und polnische Gelehrte, Fachkollegen aus Bulgarien, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn, Italien, Frankreich, der BRD, Belgien, England, der Schweiz, Portugal, Russland, Spanien, verschiedenen asiatischen Ländern und den USA – insgesamt über sechzig Wissenschaftler – arbeiteten an diesem Projekt; bei dem Nachfolgeprojekt »Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt« waren es sogar noch mehr. Begriffe wie Politik, Barbar, Demokratie und Aristokratie, die von den Griechen geprägt und von der Nachwelt übernommen worden waren, sollten gesammelt und analysiert werden, um aus den Veränderungen des Sprachgebrauchs Ableitungen über die sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse vornehmen zu können. Mit den abschließenden Veröffentlichungen zu diesen Projekten gelang es ihr, als Wissenschaftlerin internationales Ansehen zu erlangen, nachdem bei ihren vorangegangenen Beförderungen zur Professorin mit Lehrauftrag und zur Leiterin der Abteilung Altertum ihre politische und ideologische Zuverlässigkeit und ihre Anerkennung als Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus wahrscheinlich noch eine wichtigere Rolle gespielt hatten als ihre Forschungsleistungen. Schließlich war ihre wissenschaftliche Laufbahn viele Jahre unterbrochen gewesen.
6 Inhalt: Politik, Wirtschaft, Sport, Mode, Technik, Kunst etc. in den griechischen Stadtstaaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. u. Z.; das vierbändige Werk ist noch heute in fast allen altertumswissenschaftlichen Bibliotheken der Welt zu finden.
Um das enorme Arbeitspensum der großen Projekte zu bewältigen, beschäftigte Welskopf-Henrich eine Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistenten, die sie privat bezahlte. Diese Mitarbeiter waren Studierende und Studierte, die aus zahlreichen antiken Schriftquellen die entscheidenden Stellen heraussuchten und bei organisatorischen Fragen behilflich waren. Anfangs beschäftigte sie einen Mitarbeiter, später waren es drei oder vier, zwischenzeitlich sogar bis zu acht.
Ein solcher Student war Gert Audring. Ihm gefiel das Pädagogikstudium in Potsdam nicht, weil ihm die Ausbildung zu oberflächlich war. In seinem Verdruss wandte er sich an einen älteren Studenten, und dieser riet ihm: »Wenn du Probleme hast, dann musst du mal mit der Welskopf reden.« Welskopf-Henrich lud ihn bald darauf ein, ließ sich seine Zeugnisnoten zeigen und überzeugte sich von seinem Wissen, seiner Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, auf die sie sehr großen Wert legte. Da sie mit dem jungen Mann zufrieden war, ermöglichte sie ihm, seinem Herzenswunsch entsprechend, den Hochschulwechsel nach Berlin; allerdings knüpfte sie daran einige Bedingungen. Ursprünglich wollte Audring nur Geschichte studieren und war auch bereit, den Marxismus zu akzeptieren; für Welskopf-Henrich als überzeugte Marxistin von grundlegender Wichtigkeit. Sie verlangte aber zusätzlich von ihm, dass er Latein studiere, was ihm zunächst völlig fern lag, wogegen er gar eine Abneigung hegte. Von dieser Forderung ließ sich Welskopf-Henrich jedoch keinen Deut abbringen, denn sie wusste: Wenn man in die Alte Geschichte eindringen wollte, musste man sein Handwerk beherrschen. Also hat Audring Latein studiert und abends noch Griechisch gelernt, weil er sonst die Quellen nicht hätte lesen können; er wäre sonst nur einer von vielen gewesen, die auf die Darstellungen anderer angewiesen waren und lediglich den Marxismus hinzufügten. Und das war für Welskopf-Henrich nicht akzeptabel. Sie wollte gründliche, marxistische Forschung auf der Grundlage von exakten Sprachkenntnissen. Diese Vorstellung setzte sie konsequent durch. Mit allen Mitteln versuchte sie zu verhindern, dass der Wissenschaftszweig Alte Geschichte, wie vorgesehen, in der DDR abgeschafft würde und dass dann nur noch die entsprechenden russischen Bücher übersetzt würden. Welskopf-Henrich wollte eine eigenständige Alte Geschichte in der DDR, neu begründet auf marxistischer Basis, und in diesem Sinne hat sie publiziert.
Um die marxistische Geschichtsforschung in der DDR zu etablieren, förderte Welskopf-Henrich besonders junge Menschen, von denen sie annahm, dass sie sich engagierten, Marx gründlich lasen und zur Weiterentwicklung beitragen würden. So holte sie Audring nach Berlin, wo er wie gewünscht studieren, sein Staatsexamen machen und in die Wissenschaft gehen konnte. Auch in ihre eigenen Forschungsprojekte bezog Welskopf-Henrich ihn mit ein.
Audring: »Für mich bleibt sie nach wie vor diejenige Frau, die mir ermöglicht hat, mir meinen Berufswunsch zu erfüllen. Das werde ich ihr nie vergessen.«
Welskopf-Henrich war eine mutige Frau, auch in Bezug auf ihre wissenschaftlichen Bücher. Sie hat sich vom Stalinismus distanziert, wo der Sklave lediglich als antiker Proletarier angesehen wurde. Dabei hat sie auch moderne Auffassungen in die Alte Geschichte hineingetragen. Das war der Schwung des Marxismus: Alles strebte vorwärts, auch in der Antike, was zu dem gewagten Vergleich »Spartakus war der Liebknecht der Antike« führte, wie er zu jener Zeit gern gebraucht wurde.
Trotzdem hat sie sich von der sowjetischen Forschung abgegrenzt, weswegen einige ihrer Veröffentlichungen in der DDR wenig beachtet wurden.
Eine weitere private wissenschaftliche Mitarbeiterin war Brigitte Johanna Schulz. Sie berichtete 2002 auf einer Konferenz in Halle: »Bei der Auswahl der Mitarbeiter fragte Frau Welskopf nicht nach dem ‚Klassenstandpunkt’;7wichtig war allein, was man konnte und für das Vorankommen des Projektes tat.«
7 Stark, Isolde (Hrsg.): Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR – Beiträge der Konferenz vom 21. bis 23. November 2002 in Halle/Saale, S. 293.
Über das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses gab Schulz ebenfalls Auskunft:
Nun ging alles sehr schnell. Mein Arbeitsvertrag begann am 1. Januar 1974, aber bereits im Herbst 1973 hatte sie [Welskopf-Henrich] alles in die Wege geleitet, um mich einerseits der zentralen Absolventenlenkung zu entreißen und andererseits in die Doktorandenausbildung [Schulung in Marxismus-Leninismus und Sprachkurse] der Akademie der Wissenschaften einzuschleusen, die eigentlich nur für die Doktoranden der Akademie bestimmt war. Sicher waren etliche Telefonate und Korrespondenzen dafür nötig, aber ich bekam nur