Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz

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Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer - Erik Lorenz

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die Stufen zum Hofgarten-Café im heimatlichen Stadtteil hinauf und hinunter, und im Herbst sammelte sie Kastanien. Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen, boten sich kaum. Das änderte sich, als die Familie 1907 nach Stuttgart zog: Im Haus wohnte ein gleichaltriges Mädchen, das Liselotte in ihre große Spielhorde einführte. Jeden Nachmittag nach den Schularbeiten kamen die Kinder zusammen und genossen völlige Freiheit. In den Unterrichtspausen am Vormittag spielten sie »Räuber und Gendarm«. Einmal verteidigte Räuberin Liselotte sich auf einer Treppe so energisch gegen acht »Gendarmen«, dass der Schulleiter kommen musste, um sie von dem Geländer loszureißen, an dem sie sich festhielt.

      Manchmal fanden die Kinder sich auch zu einer Erzählgruppe zusammen. Dann war Liselotte gefragt.

      1913 musste sie sich von ihren Freundinnen trennen: Die Familie übersiedelte nach Berlin, eine Stadt, die Liselotte grässlich fand. Auf eigenen Wunsch besuchte sie ein humanistisches Gymnasium, wo sie Griechisch und Latein lernte.

      Im Klassenverband musste sie sich erst durchsetzen. In den Unterrichtsstunden fiel ihr das aufgrund der hohen Ansprüche der Stuttgarter Schule leicht, dennoch fühlte sie sich als Fremdling. Der Direktor hatte sie schon von vornherein eine Klasse zurückversetzen wollen; um ihn von diesem Gedanken abzubringen, strengte Liselotte sich besonders an und war schnell die Klassenbeste. In ihrer Abwesenheit ermunterte die Klassenlehrerin dann die Klasse, sich doch von der Süddeutschen nicht übertreffen zu lassen.

      Bald kam ein Mädchen in die Klasse, das in einem englischen Internat erzogen worden war. Zwischen Liselotte und diesem Mädchen entwickelte sich eine enge Freundschaft, die viele Jahre halten sollte. Oft verbrachten sie ihre Nachmittage gemeinsam, gingen spazieren, besprachen ihre persönlichen Probleme, aber auch die des Theaters, und beeinflussten sich in ihrer Entwicklung gegenseitig. Diese und andere Freundschaften trugen dazu bei, dass Liselotte in Berlin nicht unglücklich wurde, wie sie es zunächst befürchtet hatte.

      1921 schloss sie erfolgreich ihr Abitur ab. An der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der späteren Humboldt-Universität, studierte sie Ökonomie, Geschichte und Philosophie – Wissenschaftsgebiete, die später ihre Forschungen in der Alten Geschichte grundsätzlich bestimmen sollten.

      1925 promovierte sie an der Humboldt-Universität mit dem Hauptfach Ökonomie zum Dr. phil. Ihr Vorhaben, ihre wissenschaftliche Karriere noch in den 1920er Jahren fortzusetzen, konnte sie nicht verwirklichen. Der Vater, Dr. Rudolf Henrich, ein Versicherungsdirektor, war 1923 zwangspensioniert worden, weil er sich mit dem Gerling-Konzern angelegt hatte. Zuvor war er Rechtsanwalt in München gewesen, doch nachdem der demokratisch gesinnte Mann mit der katholischen Kirche gebrochen hatte, war er beruflich nicht mehr vorangekommen. So hatte Liselotte schon früh so manches über die Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft gelernt. 1926 starb der Vater. Sein Vermögen, das er vererbt hatte, schwand in der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise rasch dahin. Nach ihrer Promotion arbeitete Liselotte daher einige Zeit in einem Warenhaus und in der sozialen Frauenschule. Sie musste nun für sich selbst und ihre Mutter aufkommen. Wirtschaftliche Beweggründe hatten sie auch veranlasst, das für damalige Akademiker beruflich aussichtsreichste Gebiet Ökonomie als Hauptfach zu wählen und ihre eigentlichen Leidenschaften Geschichte und Philosophie nur als Nebenfächer zu belegen.

      

      

1906, Welskopf-Henrich (rechts) und eine Münchener Freundin

      

1925

      

1940

      

1946, Hochzeit

      Nach einer Reihe kleinerer Jobs wurde sie 1928 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Statistischen Reichsamt in Berlin angestellt, wo sie unter anderem volkswirtschaftliche Bilanzen bearbeitete und bis zur Referentin aufstieg. Dank günstiger Arbeitszeiten konnte sie in dieser Phase viele Bücher über Völkerkunde lesen. Das bereits bestehende Interesse an den Indianern verfestigte sich. Außerdem setzte sie auf eigene Faust ihre historischen und philosophischen Studien fort. Da sie der nationalsozialistischen Ideologie höchst ablehnend gegenüberstand und sich weigerte, NSDAP­-Mitglied zu werden, konnte sie die angestrebte Karriere an der Universität auch in den 1930er Jahren nicht beginnen. Als 1933 eine akademische Stelle frei wurde, lehnte sie sie aus diesem Grund ab. Von ihrer ehemals besten Freundin aus dem englischen Internat entfernte sie sich zunehmend, da ihre Gedanken und Gefühle hinsichtlich der Nationalsozialisten sehr verschiedenen voneinander waren.

      1949 sah Welskopf-Henrich endlich den Zeitpunkt gekommen, an die Universität zurückzukehren und ihre wissenschaftliche Laufbahn fortzusetzen: Sie bewarb sich um eine Ausbildung zur Dozentin für Geschichte des Altertums und Geschichtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dabei behauptete sie, sich schon seit langem mit Marx auseinandergesetzt zu haben; tatsächlich war sie jedoch erst im Zweiten Weltkrieg durch ihren späteren Mann mit den kommunistischen Ideen in Berührung gekommen.

      Die Bewerbung war erfolgreich. Zunächst als Aspirantin an der Humboldt-Universität im Fach Alte Geschichte angestellt, wurde sie 1952 mit einer Dozentur beauftragt und nach Vollendung ihrer Habilitation 1960 zur Dozentin ernannt.

      

      

1964

      Am 1. Januar 1961 ernannte man sie zur Leiterin der Abteilung Altertum des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Philosophischen Fakultät, die sie schon seit Mai 1958 kommissarisch leitete, und sie wurde zum (ersten weiblichen) ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Sie erhielt den Nationalpreis der DDR, wurde als »Verdienter Wissenschaftler des Volkes« ausgezeichnet und erhielt zahlreiche weitere staatliche und gesellschaftliche

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