Das Geheimnis der Väter. Daniel Eichenauer

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Das Geheimnis der Väter - Daniel Eichenauer

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mir für Onkel Ortwin dazugelegt.

      Nun aber brachten die Raupenbaracken an der Autobahn die Wahrheit ans Licht: Dort konnte man doch alles kaufen! Ich fühlte mich belogen und betrogen.

      «Im Intershop kann Onkel Ortwin nichts einkaufen, dort kann man nur mit D-Mark bezahlen», belehrte mich meine Mutter, als ich sie darauf ansprach, und blickte finster geradeaus auf die Autobahn.

      «Die nehmen ihr eigenes Geld nicht?» Ich verstand das alles nicht. «Warum kaufen wir dann nicht dort ein, wenn da alles günstiger ist?» Ich wollte der Wahrheit auf den Grund gehen.

      «Wir werden diesen Staat nicht unterstützen!», erwiderte meine Mutter knapp und ließ keine weitere Diskussion zu.

      Schweigend sah ich aus dem Fenster. So würde ich nie erfahren, ob der Onkel dort tatsächlich nicht einkaufen konnte. Während ich grübelte, kam es mir so vor, als stünden fast ebenso viele DDR-Fahrzeuge am Rand der Autobahn, wie auf ihr unterwegs waren – meist mit geöffneter Motorhaube. Die fahrtauglichen Autos waren überwiegend voll besetzt, und ihre Insassen winkten mir stets freundlich zu, auch wenn sie in den kleinen Fahrzeugen arg zusammengequetscht wirkten.

      Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als meine Mutter laut triumphierend «Da ist wieder einer!» rief und auf den Straßenrand zeigte, an dem ein mit Tarnnetzen abgedeckter Polizei-Lada stand. Kurz darauf, vor dem nächsten Parkplatz, führte ein Volkspolizist am Rand der Autobahn ein seltsames, aber beeindruckendes Tänzchen auf, bei dem er so gekonnt mit einem schwarz-weiß gestreiften Stock herumfuchtelte, dass man sich gar nicht daran sattsehen konnte. Ein Verkehrssünder sollte zur Strecke gebracht werden. Meine Mutter hielt sich genauestens an die zugelassene Höchstgeschwindigkeit, denn auch in dieser Hinsicht wollte sie «diesem Staat kein Geld in den Rachen werfen».

      Das war auch nicht nötig, denn nach einer Weile erreichten wir die Grenze. Die westdeutsche Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzung erschien mir wie ein Werbetrick: Nach der stundenlangen «Hunderterei» in der Zone sollte der freie Bürger auch endlich freie Fahrt haben. So flogen wir durch Niedersachsen, und nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, führte uns eine Landstraße durch zahlreiche kleine Örtchen.

      «Toll, dass hier vor jedem Dorf steht, wie es heißt», freute ich mich.

      «Jetzt mach dich nicht dümmer, als du bist!», sagte meine Mutter ärgerlich.

      Meine Großmutter kam mir zur Hilfe. «Woher soll der Junge die gelben Schilder denn kennen? In Berlin brauchen wir so etwas schließlich nicht!»

      Bald erreichten wir eine kleine Anhöhe, von der aus man eine prächtige Einfahrt sehen konnte. Ein großes schmiedeeisernes Tor thronte zwischen zwei hohen Säulen, die den Weg zu einem kleinen Schloss bewachten.

      «Da wohnt Onkel Leberecht», flüsterte meine Großmutter.

      Wir passierten das mächtige Tor und fuhren über das alte Kopfsteinpflaster an hohen Scheunen vorbei auf das große alte Gutshaus zu. Es war hell gestrichen, hatte ein rotes Dach und kleine Gauben. An den Hausecken rankten Rosen empor. Die grünen Fensterläden waren geöffnet, und eine kleine Treppe führte zum Eingang, über dem ein prächtiges Vordach thronte.

      Onkel Leberecht öffnete die Tür. «Der Junge ist ja groß geworden, groß geworden, ni wa, ni wa!», rief er zackig aus und schüttelte mir die Hand. Wie hätte er wohl gestrahlt, wenn ich die Hacken zusammengeschlagen hätte!

      «Und das ist alles deins?», fragte ich staunend. «Ich will auch Bauer werden!»

      Von der Diele, die die arme Haushälterin täglich mit kochendem Wasser schrubben musste, führte eine breite Treppe aus dunklem Holz hinauf ins Obergeschoss, das schon lange keine Rolle mehr im täglichen Leben meines Onkels spielte und nur noch selten von Gästen genutzt wurde. Onkel Leberecht ging voran, um uns die Zimmer zu zeigen. Düstere Bilder hingen an den Wänden. Und die Ahnen beobachteten uns finster aus ihren Holzrahmen, als wir die knarrende Treppe emporstiegen. Es fiel kaum Licht in den Flur, der Fußboden ächzte. Das Zimmer, das mir der Onkel zuwies, war ebenso trostlos wie dunkel. Alte Tapeten klebten an den Wänden, die staubigen Vorhänge waren zugezogen. Aus der Mode gekommene Möbel der frühen Fünfzigerjahre waren in diesem Raum abgestellt und warteten auf eine neue Verwendung. Es roch muffig. Hier war man lebendig begraben. Seufzend setzte ich mich auf die Bettkante. Ich hörte meine Mutter im Nebenzimmer fluchen.

      «Im Dorf ist am Wochenende Schützenfest, Schützenfest, ni wa, ni wa!», schmetterte Onkel Leberecht, als wir gemeinsam Kaffee tranken.

      Meiner Großmutter fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand. Entsetzt sah sie den Onkel an. Meine Mutter ließ die Kuchengabel sinken und schaute wiederum ihre Mutter verblüfft an.

      «Hurra!», rief ich und freute mich.

      Es war noch früh am Abend, vielleicht gegen achtzehn Uhr, als wir zum Festplatz gingen, doch die ersten Betrunkenen wankten uns bereits entgegen. Schon von Weitem hörte man die Musik aus dem Festzelt. Onkel Leberecht steuerte auf einen Bierwagen zu, vor dem zwei Männer im Alter meiner Mutter standen. Einer von ihnen trug ein gelbes Sakko und eine schmale schwarze Lederkrawatte.

      «Bitte nicht!», flehte meine Mutter leise.

      Schon beim Kaffeetrinken hatte Onkel Leberecht unverhohlen die Meinung geäußert, dass meine Mutter endlich einen vernünftigen Mann finden solle. Einen vom Lande. Einen aus gutem Hause. Seine Familie solle schließlich guten Umgang haben. Und nun stellte sich heraus, was er damit meinte. Den Mann mit dem gelben Sakko machte er uns als Thomas Deuchter bekannt. Mit dessen Vater Eberhard sei er bereits seit Kindertagen befreundet, tönte er. Warum Eberhard Deuchter mit Onkel Leberecht befreundet war, wusste niemand mehr, jedoch war seine Familie für Onkel Leberecht ohne jeden Zweifel «guter Umgang».

      Thomas Deuchter schien sich darum allerdings nicht zu scheren. Er war nicht einmal umgänglich. Ein Gespräch kam kaum in Gang, aber Onkel Leberecht bekümmerte dies nicht. Familie ist Familie. Punktum! Die abweisende Haltung Deuchters war förmlich mit den Händen zu greifen. Einzig sein Freund Georg Chrumm hielt das Gespräch am Leben, nicht zuletzt, weil er in Berlin arbeitete. Aber was genau er dort machte, begriff ich trotz all seiner Erklärungsversuche nicht. Dass er im Hahn-Meitner-Institut, einem Forschungsreaktor in Wannsee, irgendetwas mit Atomen zu tun hatte, war das Einzige, was ich damals verstand. Chrumm war ein zurückhaltender und vornehmer Herr, gut gekleidet und höflich, ein Mensch, zu dem man schnell Vertrauen fasste – das genaue Gegenteil von seinem Freund Thomas Deuchter.

      Da Onkel Leberecht keinen Widerspruch duldete, waren Thomas Deuchter und Georg Chrumm am nächsten Tag zum Abendessen eingeladen. Nach dem Essen wollte ich mir die Traktoren anschauen. Meine Mutter war jedoch dagegen, und so schlich ich mich verstohlen aus dem Haus. Das Licht schien nur spärlich durch das halboffene Tor in die riesige Scheune. Eine Schwalbe flatterte im Giebel umher. Plötzlich hörte ich Stimmen. Ich erschrak.

      «Warum hast du so lange gewartet, verdammt?», zischte eine Männerstimme.

      Vorsichtig tastete ich mich an den großen Traktor heran und versteckte mich dahinter. Ölgeruch stieg mir in die Nase.

      «Kannst du ihm vertrauen?»

      «Ja, natürlich!», flüsterte ein anderer.

      «Du unternimmst nichts weiter, verstanden? Ich veranlasse alles Notwendige.»

      Ängstlich blickte ich an dem großen Motorblock vorbei. Im Dämmerlicht konnte ich die Gesichter der beiden Männer nicht erkennen. Ich sah nur, wie der eine dem anderen etwas in die Hand legte. Dann drehten sich die beiden um. Vor Schreck trat ich einen

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