Der König vom Feuerland. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Der König vom Feuerland - Horst Bosetzky страница 11
»Du musst ihr einen Liebesbrief schreiben«, riet ihm sein Freund Friedrich Hermes, als er dem seine Nöte geschildert hatte. »Am besten mit einem Gedicht. Die Frauen lieben so etwas und sind dann ganz gerührt.«
»Das kann ich nicht.«
»Dann machen wir das gemeinsam. Meine ältere Schwester ist mit der Feder so gewandt wie mit der Nähnadel. Außerdem hat sie ein paar von Goethes Gedichten im Poesie-Album stehen.«
So kam dann mit Hilfe von Katharina Hermes Borsigs erster Liebesbrief zustande, veredelt mit den ersten und den letzten Zeilen des Goethe-Gedichtes Nähe des Geliebten:
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!
Nun war es zwar schwer, von Breslau aus aufs Meer zu blicken, aber das Brieflein tat dennoch seine Wirkung, denn als August Borsig einen Tag später vom Abtritt kam und Marie, die in die Küche wollte, in die Arme lief, fuhr sie nicht etwa erschrocken zurück, sondern umschlang ihn, so dass es geradezu unmöglich war, sie nicht zu küssen. Die Welt um ihn herum versank, und er sagte später, er könnte schwören, stundenlang in enger Umarmung mit ihr im Flur gestanden zu haben. In Wahrheit aber waren es nur Sekunden, denn da tauchte auch schon Kiesewetter auf und trieb sie mit einem harschen »Was soll denn das?!« schnell wieder auseinander.
Der nächste Tag – es war der 22. September 1823 – sollte August Borsigs letzter an der Königlichen Provinzial-Kunst- und Bauhandwerksschule werden. Mit ungewissen Gefühlen, ebenso erleichtert darüber, dass alles vorbei war, wie enttäuscht darüber, dass nun schon alles vorbei war, hockten sie in ihren Bänken und warteten darauf aufgerufen zu werden. Hier wusste man, was einen erwartete, doch die Zukunft war ungewiss, und ob alle Blütenträume reiften, war fraglich, denn Preußen war noch nicht so weit – so schien es ihnen jedenfalls –, dass man sie mit ihrer hohen Qualifikation draußen im Lande wirklich gebraucht hätte.
»Borsig!«
Wie in Trance erhob er sich und schritt nach vorn. Der Bauinspector Hirt nahm sein Abgangszeugnis aus einem blauen Aktendeckel, drückte es ihm aber noch nicht in die Hand, denn zuerst war August Borsig noch die große silberne Medaille für die Konstruktionszeichnung einer hölzernen Kuppel nach italienischen Vorbildern auszuhändigen.
»Der Kuppelbau war ja Ihre große Leidenschaft, Borsig. Gut so!«
August Borsig musste unwillkürlich an Walter Rawitsch denken, der ihm einmal gesagt hatte, wenn er es so mit den Kuppeln habe, solle er doch am besten Kuppler werden. So sah er etwas geistesabwesend aus, als man ihm sein Abgangszeugnis in die Hand drückte.
»Ein guter Anfang, Borsig«, sagte Hirt mit der gebotenen Feierlichkeit. »Und wir freuen uns darauf, später noch viel Gutes von Ihnen zu hören!«
August Borsig bedankte sich und überflog im Zurückgehen das Blatt, das er vorsichtig in den Händen hielt und das vom Hofrath Bach unterschrieben war:
Sein Fleiß und seine Fortschritte in dem Unterricht der schönen und städtischen Baukunst, im Zeichnen alter Säulen, in den vorzüglichen Übungen der Zimmerkunst wie auch im besonderen Unterricht der Mechanik waren besonders lobenswert. Zudem hat der Eleve Borsig mit Eifer und Fleiß die Freihandzeichnungen in verschiedener Art studiert und dabei sehr gute Fortschritte gemacht.
Man feierte das Bestehen in einer nahe gelegenen Schänke, aber als August Borsig dann mit dem Zeugnis in der Hand nach Hause ging, war er etwas schwermütig gestimmt.
»Was hast du denn erwartet?«, fragte ihn Friedrich Hermes. »Dass Friedrich Wilhelm III. höchstpersönlich in einer Kutsche angefahren kommt, um dich als Königlichen Hofzimmermann nach Berlin zu holen?«
»Ja, so in etwa«, brummte Borsig und wurde bitter. »Aber was habe ich denn von der langen Quälerei bei Hirt und Bach? Dieses Zeugnis hier ist doch zu nichts nütze, damit kann ich mir doch den Hintern abwischen!«
Friedrich Hermes suchte, ihn zu beruhigen. »Gott, August, du hast doch in den drei Jahren unheimlich viel gelernt. Das ist doch ein Kapital, mit dem du später einmal wuchern kannst.«
»Ja, ich habe den Kopf voller Wissen und Ideen, aber es ist niemand da, der das alles haben will!«, rief Borsig.
»Sei doch nicht so ungeduldig, du musst nur warten können.«
Am Abend wurde Borsig von Caspar Kiesewetter zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten. Er bekam weiche Knie und zitterte am ganzen Körper, denn er erwartete nichts anderes, als dass der Meister ihn bitten würde, förmlich um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Aber es sollte ganz anders kommen.
»Borsig, ich kann und ich darf Sie nicht mit Gewalt halten, wenn ich es auch äußerst gern täte. Aber Sie wollen in die Welt, und Sie müssen in die Welt!« Damit bekam er ein Blatt Papier in die Hand gedrückt.
Hierdurch bestätige ich, dass Johann Friedrich Borsig bei mir in Arbeit gestanden und auf sein Ansuchen, weil derselbe, um seine Kenntnisse zu vermehren, reisen will, hiermit entlassen wird. Sein Fleiß und seine Aufführung waren stets so, dass ich ihn jedem meiner Mitmeister empfehlen kann.
»Nicht einmal meinen eigentlichen Vornamen hat er auf diesen Wisch geschrieben«, sagte Borsig später zu seinem Freund Hermes. »Das Ganze hat er doch nur in Szene gesetzt, um mich von seiner Tochter abzutrennen. Marie soll sicher einen reichen Laffen heiraten.«
Friedrich Hermes nickte. »Kann schon sein. Möglich ist aber auch, dass dein Vater dahintersteckt und mit Kiesewetter gesprochen hat, denn es stört ihn mächtig, dass du nicht auf die Walz gehen willst, wie es sich für einen echten Zimmermann gehört.«
»Ich will aber kein echter Zimmermann mehr sein!«, rief Borsig.
Der Hofrath Professor Bach saß am Schreibtisch in der Provinzialregierung und starrte aus dem Fenster – als könnte ihm die matte Herbstsonne zu einer Erkenntnis helfen. Vor ihm lag ein Schreiben aus Berlin, auf das er heute endlich reagieren musste, aber bis jetzt hatte er sich noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können. Man beschwerte sich darüber, dass Breslau noch immer keinen Zögling aus Schlesien in die neue Königliche Gewerbeschule in der Klosterstraße geschickt habe. So ginge das nicht – und wenn man den Willen des Königs weiterhin konterkariere, werde das negative Folgen für Breslau haben. Irgendeiner müsse doch auch in Schlesien zu Höherem berufen sein als zu einem schlichten Handwerksmeister. Unterschrieben war das Ganze von einem Christian Peter Wilhelm Beuth, Director der Technischen Deputation für Handel und Gewerbe.
Bach war hin- und hergerissen. Einerseits musste dem Wunsche Berlins entsprochen werden, und er gönnte ja auch jedem Schlesier den Aufstieg – ja, es war ihm eine Herzensangelegenheit, jede Begabung zu fördern –,