Der König vom Feuerland. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Der König vom Feuerland - Horst Bosetzky страница 9
Man zog durch die Stadt, um sich alles anzusehen, was es an architektonischen Prachtstücken gab – angefangen bei der gotischen Sandkirche, die zwischen 1334 und 1440 entstanden war, bis zur Universität und dem Königsschloss aus dem Rokoko –, und hörte sich die Erläuterungen des Lehrers an.
»Wozu brauchen wir ’n das alles?«, fragte leicht maulend ein Klassenkamerad, dem schon bald die Füße weh taten.
Bei Meister Ihle hatte ein Zimmermann angeheuert, Georg Guttentag, der in seinen Wanderjahren auch durch England gezogen war, und als der Polier in der Frühstückspause erzählte, wie sich der Dampfwagen der Königlichen Eisengießerei in Geislautern keinen Fingerbreit von der Stelle bewegt hatte, da lachte er nur.
»Gott, vor elf Jahren war ich in London, und da hat einer … wie hieß er noch mal … Trevithick, ja, Richard Trevithick hat eine Lok mit ein paar Waggons dran immer im Kreis herumfahren lassen, wie im Zirkus. Ihr Name war Catch me who can – was aber keiner geschafft hat.« Er versuchte, ihre Umrisse im lockeren Sand nachzuzeichnen.
»Das verstehe ich nicht«, sagte August Borsig, der die riesige Dampfmaschine auf der Tarnowitzer Grube vor Augen hatte. »Der Kolben im Zylinder geht doch immer senkrecht auf und ab – der Dampfwagen aber rollt doch in der Waagerechten, oder?«
Der Geselle wusste es auch nicht so ganz genau. »Das Ding hatte jedenfalls kein Schwungrad, sondern einen stehenden Zylinder, und der muss über eine Kurbelstange direkt auf die Triebräder gewirkt haben.«
»Was Menschengeist so vermag«, sagte der Polier.
Der Geselle lachte. »Ja, und trotzdem ist Trevithicks Lokomotive eines Tages entgleist und umgestürzt, so dass sich keiner mehr für sie interessiert hat.«
Sie konnten sich nicht länger diesem Thema widmen, denn Meister Ihle erschien in diesem Augenblick und klatschte in die Hände. »Ans Werk, die Herren, von nichts kommt nichts!«
Alle sprangen nun auf, um wieder auf das Dach zu steigen. August Borsig aber wurde vom Meister zurückgehalten.
»Du eilst jetzt zum Schmied Witschel und holst mir ein paar Eisenklammern. Die müssten bald fertig sein.«
Als August Borsig in der Tür der Werkstatt stand, erstarrte er. Es war etwas Archaisches, das er da sah: Der Schmied war Gott, und er stand an einem gewaltigen Vulkan, um die Welt aus glühendem Eisen zu erschaffen. Funken sprühten auf, als er das erhitzte Werkstück mit einer langen Zange aus der Esse zog und zum Amboss trug. Dort stand ein Lehrling mit dem Schmiedehammer, der dem Eisen die Form geben sollte, die Ihle gewünscht hatte. Borsig beneidete diesen Lehrling, und er dachte in diesem Augenblick, dass er viel lieber Schmied geworden wäre als Zimmermann. Aus einer gestaltlosen Masse etwas zu formen, das war das Eigentliche. Man schmiedete das Eisen, das Schicksal, die Zukunft. Das war es, was er wollte: Schmied sein, sich als Schmied fühlen.
»Na, Junge, was treibt dich her?«
Borsig hörte die Stimme des Schmieds wie aus weiter Ferne und brauchte Sekunden, um zu sagen, dass er im Auftrag Ihles gekommen war.
»Der Friedrich ist gleich mit allem fertig.«
Borsig kam mit Friedrich Hermes ins Gespräch, und sie sollten für lange Jahre Freunde werden.
Nachdenklich trug August Borsig die fertigen Teile zur Baustelle. Ein dumpfes Gefühl des Unbehagens und der Enttäuschung erfüllte ihn: Er hatte den falschen Beruf ergriffen.
Kapitel drei 1823
Christian Peter Beuth hatte auch nach dem Fiasko von Geislautern und weiteren Fehlschlägen keine Sekunde daran gedacht zu kapitulieren. Ihm war aber bewusst geworden, dass es nicht ausreichte, die Maschinen und Lokomotiven der Engländer einfach abzuzeichnen und die Pläne nach Preußen zu bringen. Man brauchte auch Männer dafür, Techniker und Handwerker, die in der Lage waren, nach den mitgebrachten Zeichnungen und Skizzen funktionsfähige Maschinen zu bauen. Da kam es manchmal auf Bruchteile von Millimetern an. Aber man musste auch das Wesen einer Maschine verstehen und sie lieben wie seinen eigenen Hund, zu ihr sprechen, sie streicheln und ihr gut zureden, wenn sie nicht anspringen wollte. Und solche Männer gab es in Preußen nicht, Männer, die er Maschinenärzte genannt hätte, wenn er dafür nicht verspottet worden wäre. Dieser James Watt, dem sie die Erfindung der Dampfmaschine zuschrieben, musste ähnlich gedacht haben, als ihm die Idee gekommen war, die Pferdestärke als Maßeinheit für die Leistung einer Dampfmaschine zu wählen. Auch an Fabrikanten mit den nötigen Kenntnissen, mit Weitblick und Wagemut fehlte es. Das alles war nicht weiter erstaunlich, denn alle hatten sich an den langjährigen Protektionismus ihres Staates gewöhnt.
Beuth fasste sich an den Kopf. Da hatte man in den preußischen Universitäten und in Kreisen jüngerer Beamter dem freien Wettbewerb und freien Handel das Wort geredet und dabei übersehen, dass der Rückstand der einheimischen Gewerbetreibenden viel zu groß gewesen war und nun die Engländer mit ihren Waren ungebremst den ganzen Kontinent überschwemmten. Der Schuss war also gründlich nach hinten losgegangen …
Doch Beuth hatte weder resigniert noch die missliche Situation schöngeredet – er hatte gehandelt: Nachdem ihm 1820 die Zuständigkeit für das Gewerbeschulwesen übertragen worden war, hatte er am 1. November 1821 im Gebäude seiner Technischen Deputation in der Klosterstraße 36 eine zweiklassige Gewerbeschule mit zunächst dreizehn Schülern und vier Lehrern eröffnet. Deutlich grenzte er sein Technisches Institut von dem Lehrbetrieb an den Universitäten ab: Wer mehr lernen will, tut es auf der Universität. Dieses Mehr schließe ich von der Technischen Schule aus, weil ich es mehr für eine Zierde als von wesentlichem Einfluß auf das Gedeihen der Gewerbe und ihre Blüte halte. Sein Institut sollte allen Bevölkerungsschichten offenstehen, und zur Aufnahme in die untere Klasse genügten anfangs eine gute Handschrift, die Fähigkeit, dem mündlichen Vortrage zu folgen und das Vorgetragene sprachlich auszuarbeiten, sowie das gewöhnliche Rechnen. Für die obere Klasse wurden vorausgesetzt: Kenntniß der Geometrie (Planimetrie und Stereometrie) ohne Beweise, Kenntniß der gemeinen Arithmetik, des Gebrauchs der Logarithmen, Elementarkenntniß in der Physik und Chemie, Handzeichnen nach aufgestellten Körpern, Maschinenzeichnen nach eigener Aufnahme und geometrische Darstellung.
Das Ganze gedieh prächtig, doch Beuth wollte sich mit dem Erreichten nicht zufriedengeben. Im Gebäude der Technischen Deputation, dem ehemaligen Palais Kreutz, wollte er eine Maschinensammlung, eine Modellsammlung und eine Sammlung fertiger Produkte anlegen, und sogar einen Anbau plante er. Auch ein anderes Projekt, das er gemeinsam mit seinem Freund Karl Friedrich Schinkel angefangen hatte, trieb er kräftig voran.
Schinkel, geboren am 13. März 1781 in Neuruppin, war 1805 von seiner zweiten Italienreise nach Berlin zurückgekommen und hatte 1810 durch Vermittlung Wilhelm von Humboldts eine feste Anstellung gefunden. 1815 war er zum Geheimen Oberbaurath ernannt worden und hatte begonnen, Berlin mit den von ihm erdachten Bauten zu einer europäischen Metropole zu machen, allen voran mit der Königswache, dem Schauspielhaus und dem Königlichen Museum. Er wohnte jetzt mit seiner Familie Unter den Linden 4a und kam gern einmal in die Klosterstraße.
Beuth sprang auf, als Schinkel eingetreten war, und eilte dem Freund entgegen, um ihn herzlich zu umarmen. Beide gaben die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine aufwendig gestaltete Sammlung von vorwiegend antiken Formen und Mustern, an denen sich die Gewerbeschulen wie die Fabrikanten orientieren sollten. Gebrauchsgegenstände sollten nicht nur nützlich, sondern auch schön sein und den Aufstieg der preußischen Industrie befördern.
»Was gibt es Neues?«, fragte Beuth.
Schinkel