Schroeders Turm. Rex Schulz
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Orion schlug die Akte zu, schob sie zur Seite und griff sich die nächste.
„So, die zweite im Bunde ist Martha Blumenzweig, arbeitet in der Turmwäscherei, ist Single, 24 Jahre alt, sie verschwand während ihrer Schicht. Die Kollegen haben sie wohl noch arbeiten sehen, aber am Schichtende war sie weg und keiner kann sich erinnern, wann er sie zuletzt gesehen hat.“
Auch diese Akte legte Orion zur Seite, bevor er die nächste aufschlug.
„Außer dass es zwei junge Frauen sind, fällt mir bis jetzt nichts auf, Chef.“
„Fritsche, wir sind auch noch nicht durch! Erstmal alle Nüsse knacken und dann schauen wir mal, was sich unter den Schalen verbirgt. Mann, was haben die dir denn beigebracht?“
Schroeder streckte sich und beugte sich über die Akte.
„Also, die nächste Verschwundene ist Melany Mandel, eine 23-jährige Mechanikerin, die wohl auch Single ist.“
Orion zwinkerte Fritsche zu.
„Auch sie erschien nicht zur Arbeit. Sie hatte am Abend ihren Werkzeugkasten nicht abgegeben, den fand man bei den Generatoren, wo sie tags zuvor eine Reparatur durchführen sollte. Was sie wohl auch gemacht hatte, denn alle Maschinen liefen wie am Schnürchen.“
Schroeder griff sich die letzte Akte.
„Der letzte des verschollenen Quartetts ist Sören Maibach, ein 26-jähriger lediger Elektroingenieur und Sportler. Er war wohl trainieren, als er verschwand, das war zumindest den Daten seiner ID-Marke zu entnehmen. Er loggte sich abends im Trainingscenter ein aber nicht wieder aus. Von ihm fand man nichts, abgesehen von etwas Erbrochenem in der Dusche. Falls dies von ihm war, das wird der Gentest zeigen, der morgen vorliegen soll.“
Orion warf die letzte Akte zu den anderen und stand auf. Er ging im Zimmer hin und her.
„Drei junge ledige Frauen, ein junger lediger Mann und ein Häufchen Kotze – das ist doch mal was.“
Anfangen kann man damit rein gar nichts! Morgen werden wir uns mal die vier genauer unter die Lupe nehmen. Kannten sie sich irgendwoher, hatten sie gemeinsame Interessen, Freunde, Bekannte. Waren sie etwa Mitglieder im selben Club oder Verein?
„Fritsche, du wirst dich morgen mal um die Vereinssache kümmern und ich sehe mir ihre Arbeitsstellen und die Dusche an, wo sie verschwunden sind.“
Orion nahm sich die Akten vom Schreibtisch und schloss sie in den Aktenschrank ein. „Komm, Fritsche, lass uns noch irgendwo was trinken! Kennst du eine nette Kneipe?“
„Wir könnten in den ‚Stern von Sator’ gehen, soll ganz gut sein.“
„Na, dann los!“
Als sie die Tür öffneten, warf Schroeder noch mal einen Blick auf den Aktenschrank.
Was ist hier bloß los?, dachte er bei sich. Dann folgte er Fritsche, um in Ruhe was zu trinken und vielleicht etwas über diesen Fall nachzudenken.
Zwischenspiel
Dunkelheit fraß sich in ihren Geist. Gedanken flossen träge durch ihren Kopf wie flüssiger Teer. Nebel schwebte durch ihr Hirn – sie konnte sich noch nicht mal an ihren Namen erinnern. Gab es einen Namen für sie oder war sie namenlos wie die Dunkelheit um sie herum?
Und dann dieser unsägliche Schmerz, in dem Ding, das an ihrem Kopf hing. Von überall kam der Schmerz zu ihr. Sie konnte kaum atmen vor Schmerz.
Körper, dachte sie, das nennt man Körper!
Also hatte sie einen Körper, aber sie konnte ihn nicht bewegen. Er schien fixiert, sodass sie keinen Muskel rühren konnte. Wenn doch nur nicht dieser Schmerz wäre, tief in ihr drin, als hätte man etwas in sie reingezwängt, das sie von innen peinigte.
Könnte ich doch wenigstens was sehen!
Aber es herrschte Dunkelheit, tiefste Finsternis um sie herum.
Da blitzte es in ihrem Geist hell auf – ein richtiger Gedanke!
Allysia, ich bin Allysia! Jetzt wusste sie wieder ihren Namen. Das ist doch schon mal ein Anfang.
Langsam erinnerte sie sich: Sie war bei der Arbeit, war im Rohschacht unterwegs gewesen, wie immer. Dann war diese Hitze gekommen und die Dunkelheit über sie hereingebrochen.
Wie zum Teufel bin ich hierhergekommen und wo bin ich, verdammt noch mal?
Langsam bekam sie wieder ein Gefühl für ihren Körper – sie hing bäuchlings in etwas drin. Ihre Beine waren gespreizt und angewinkelt. Die Arme lagen neben ihrem Körper auf etwas Kaltem und waren festgeschnallt. Und überall steckten Dinge in ihr drin, in ihrem Unterleib, im Mund, in den Händen und im Kopf.
Was passiert hier mit mir?
Es war still, da wo sie war. Oder konnte sie doch was hören? Wenn sie sich konzentrierte, vernahm sie ein ganz leises Summen.
Eine Maschine?
Da drang auf einmal eine Stimme aus dieser kalten Stille in ihren Kopf, deren Sinn sie nicht verstand. Es war ein Wispern, ohne Worte – etwas, das sie noch nie vernommen hatte.
Plötzlich durchfuhr sie ein rasender Schmerz, flüssiges Feuer strömte in ihre linke Hand und fraß sich durch ihren ganzen Körper. Sie merkte, wie der Nebel wieder zu wallen begann und sich über ihre Gedanken legte. Der Teer fing an, erneut durch ihr Gehirn zu fließen und verklebte ihre Gedanken.
Allysia, war das letzte, was träge durch ihren Kopf schwebte, dann kam die Dunkelheit zurück.
Kapitel 2
Hyroniemus Fritsche saß seit Stunden vor dem Computer und ging die Namenslisten aller Clubs, Vereine und Gruppen durch, die es in Turm 17 gab. Jetzt streckte er seinen verkrampften Körper, erhob sich vom Stuhl und drehte einige Runden durch den Raum. Bisher hatte seine Suche nicht den geringsten Erfolg erzielt. Es hatte keine Schnittpunkte bei den Verschwundenen gegeben, die ihn auf einen Zusammenhang hätten schließen lassen können.
Allysia Lehmann war in einem Pokerclub angemeldet, besuchte diesen aber selten. Die Blumenzweig ging zu den „Freundinnen der Handarbeit“, Maibach war Mitglied im Sportclub und die Mandel war nirgendwo drin.
Sie waren so unterschiedlich, wie man sich nur denken konnte. Ihre Interessen gingen meilenweit auseinander. Sie lebten und arbeiteten in weit voneinander entfernt liegenden Gegenden des Turmes und hatten sich wahrscheinlich in ihrem Leben noch nicht einmal flüchtig gesehen.
Verdammt, so komme ich nicht weiter!
Vielleicht