Die Farben des Mörders. Miriam Rademacher
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Читать онлайн книгу Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher страница 11
»Fast jeder Engländer, der zwei Beine sein eigen nennt, hat mal in Blackpool ein Turnier getanzt. Was steht denn da noch so über mich?«
»Deine letzte Telefonnummer in London, die Namen einiger Londoner Tanzschulen, die mir nichts sagen, eben das Übliche. Und das ist es ja eben, was mich stutzig macht. Christine Humblebee hat nicht einmal diese Art von Spuren hinterlassen. Es taucht keine Adresse auf, keine Telefonnummer gar nichts.«
»Vielleicht hatte sie eine Geheimnummer.«
»Und sie war auch in keinem Sportverein, hat nirgendwo gearbeitet und sich auch sonst nirgendwo engagiert? Wer war diese Frau? Eine Unsichtbare?«
»Wenn du in diesem Wunderwerk der modernen Technik nichts über Christine Humblebee findest, gehen wir auf altbewährte Weise vor und fragen die alten Leute in Hodge House aus. Komm, lass uns ins Bett gehen. Mein Tag war fürchterlich. Nur du kannst ihn noch retten.«
»Aber du hast erst Freitag wieder Tanzkurs dort! So lange können wir unmöglich warten!«, fauchte Lucy und hackte wütend auf die Tastatur ein. »Die Informationen sind irgendwo hier drinnen und ich werde sie finden.«
Colin erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und stellte sich dicht hinter Lucy. Sanft blies er ihr seinen warmen Atem in den Nacken. »Lass es gut sein, Lucy. Ich verspreche dir auch, dass ich gleich morgen früh bei Mrs Halligan anrufe und ihr anbiete, die ausgefallene Stunde am Abend nachzuholen. Aber bitte mach jetzt Schluss damit. Ich kann nicht mehr.«
Sein Flehen wurde erhört. Lucy klappte den Deckel des Laptops zu, doch sie blieb nachdenklich und wortkarg. Colin beobachtete sie dabei, wie sie ihre Ohrringe abnahm und in den Kühlschrank legte. Er sagte nichts. Er freute sich nur jetzt schon auf ihr überraschtes Gesicht, wenn sie morgen ihren Ohrschmuck neben der Butter fände.
Erst als sie gemeinsam in dem viel zu schmalen Bett lagen, fand Lucy ihre Sprache wieder. »Mein Vater hat uns für Sonntag zum Tee eingeladen. Er will dich endlich kennenlernen.«
Lucys Familie war das einzig wirklich Unattraktive an ihr. Ihre Brüder waren unangenehme Zeitgenossen, die sich zur Leibgarde ihrer kleinen Schwester aufgeschwungen hatten. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Colin einiges einstecken müssen. Erst seit die Brüder in dem Glauben lebten, Lucy erwarte ein Kind von Colin, sahen sie von Handgreiflichkeiten ihm gegenüber ab. Über den Vater dieser reizenden Bande wusste Colin so gut wie nichts, einem Besuch war er aber in den letzten Monaten konsequent aus dem Wege gegangen. Ewig ließ sich das nun aber wohl nicht mehr aufschieben.
»Du sagst ja gar nichts.«
Colin räusperte sich. »Werden deine Brüder auch dort sein?«
»Möglich. Du hast doch nicht etwa Angst vor ihnen?«
»Ich weiß noch nicht. Denken sie noch immer, dass du schwanger bist?«
»Ach ja, richtig!« Lucy schlug sich vor die Stirn. »Ich sollte unser Scheinbaby vielleicht mal so langsam verlieren, sonst muss ich noch mit einem Sofakissen unter der Bluse durch den Winter laufen.«
»Schade eigentlich. Ich hatte mich an das Kind gewöhnt.« Auch wenn er Lucys Lüge zunächst abgelehnt hatte, so hatte sie doch ihren Zweck erfüllt.
»Wir erfinden eine neue Schwangerschaft für sie. Dieses Mal vielleicht ein Mädchen. Das weckt ihre Beschützerinstinkte. Und im nächsten Sommer servieren wir ihnen Zwillinge. Vielleicht kann ich mir irgendwo ein Ultraschallfoto leihen. Das könnten wir noch eine ganze Weile durchhalten«, erklärte Lucy gähnend. Wenige Minuten später war sie in seinen Armen eingeschlafen. Colin allerdings starrte, beeindruckt von ihrer Skrupellosigkeit, noch lange schlaflos in die Dunkelheit und fragte sich, wann sein Leben eigentlich so kompliziert geworden war.
Marineblau
»Fassen wir uns alle an den Händen und starten mit dem rechten Fuß in Richtung Mitte«, rief Colin.
Auf Blumen und Kerzen in besagter Mitte hatte er an diesem Abend verzichtet. Stattdessen markierte ein Strohhut von Lucy die Mitte der Halle. Die Heimleiterin hatte seinem Vorschlag, die ausgefallene Stunde schon vierundzwanzig Stunden später nachzuholen, sofort zugestimmt. Und auch Jasper war auf den fahrenden Zug aufgesprungen und gab gerade seine Malstunde im gegenüberliegenden Raum. Versammelt waren all diejenigen, die gestern auf ihre Tanzstunde hatten verzichten müssen, sowie eine Inderin, die Colin auf seiner Liste nicht hatte finden können. Er ging davon aus, dass es sich bei ihr um Normas ehemalige Patientin handelte, von der am Vorabend die Rede gewesen war. Einige Gesichter kannte er von vorangegangenen Stunden, andere nicht. Aber das machte nichts. Die Stunden bauten kaum aufeinander auf, und die Schrittfolgen waren so einfach, dass selbst ein Blinder mit Holzbein innerhalb weniger Minuten zurechtkam.
Colins Recherchen zum Thema Tanz als Therapie, die er größtenteils von Jaspers Laptop aus geführt hatte, hatten ein recht bizarres Bild gezeichnet. Angefangen bei völlig freien Improvisationen, die mehr den Stammesriten frisch entdeckter Naturvölker glichen als dem ihm vertrauten Gesellschaftstanz, bis hin zu den anspruchslosen Kreistänzen, für die Colin sich entschieden hatte. Die Kreistänze hatten für Colin einen Vorteil, der gleichzeitig auch ihr Nachteil war: Ihre Erfinder hatten sich schamlos an den Basisfiguren der Gesellschaftstänze orientiert. Die Ähnlichkeit machte es Colin einfach, sich die Tänze schnell zu merken. Doch dort, wo die Ähnlichkeit endete, fingen seine Probleme an. Ein Tangowiegeschritt in Kombination mit einer Bluespromenade war zwar von den Schritten her umzusetzen, aber der Rhythmus fühlte sich für Colin katastrophal falsch an. Wenn die Musik lief, fiel es ihm schwer, die Schritte sinnvoll über die Takte zu verteilen. Immer wieder verfiel er in alte Gewohnheiten, tanzte die Wiege wie einen Tangoschritt und stolperte dann fast in den Blues. Colin musste sich so stark auf das konzentrieren, was er tat, dass Nacken und Kiefer sich merklich verspannten und er sich selbst wieder und wieder ans Entspannen erinnern musste.
Den alten Leuten schien das nicht aufzufallen. Sie marschierten glücklich und völlig taktfrei im Kreis herum. Sie interessierten sich nicht für die Musik und ihren Rhythmus. Der eine klatschte hier, die andere dort, man trampelte sich gegenseitig über die Gesundheitsschuhe und summte dazu.
Die Musik war Colins zweites großes Problem. Sie war fast ausnahmslos nervtötend. Verzweifelt hatte er nach einer Alternative gesucht, doch schließlich war er doch der Empfehlung eines Internetversandhandels gefolgt und hatte eine Handvoll CDs zu deprimierend hohen Preisen erstanden. CDs, deren Musik wahrscheinlich bei häufigerem Gebrauch zu Ohrenkrebs führte, doch auf den Hüllen fehlte der Warnhinweis.
Verbissen zog Colin seine Kreise, konzentrierte sich auf das, was seine Füße taten, und warf gelegentlich eine Anweisung in den Raum. Zusätzlich versuchte er, Jaspers Weisung zu befolgen und sich seine Kursteilnehmer aufmerksam anzusehen, um sich ein Bild von ihnen zu machen. Colin hielt diese Idee nicht wirklich für zielführend, aber immerhin war ihm bereits aufgefallen, dass Waldemar heute eine schwarze Schleife im Bart trug. Vermutlich seine Art, Trauer über den Tod von Christine Humblebee zu zeigen.
Als das Lied endete, war Colin erleichtert, obwohl er wusste, dass auch der nächste Tanz Stolpersteine für ihn enthielt. Ein langsamer Kreistanz mit schwingenden Armbewegungen, der sich am Langsamen Walzer orientierte. Der Walzer war für einen Fachmann wie Colin noch klar zu erkennen, doch man hatte ihn durch affiges Wippen in den Fußgelenken und einen falschen Rhythmus verfremdet. Jetzt passte er weder zu einem Dreiviertel-, noch zu einem Viervierteltakt, und das würde von Colin wieder viel Konzentration verlangen und ihm mit Sicherheit einen steifen Nacken einbringen.
Die Alten aber