Die Farben des Mörders. Miriam Rademacher

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher страница 6

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher

Скачать книгу

diesen Worten erhob sich der alte Hippie und schlurfte zur Tür hinaus. Colin sah ihm einen Augenblick lang nach. Seinetwegen hätte es auch ein Hocker als Mittelpunkt des Kreises getan, aber wenn Waldemar gerne Blumen hatte, dann sollte er seine Blumen bekommen. Colin sah er auf seine Armbanduhr. Ihm blieben noch zehn Minuten und er konnte durch die Fenster die Grundstücksgrenze hinter dem gepflegten Rasen liegen sehen. Dort wuchsen Büsche und Gräser hoch und wild. Mit etwas Glück würde er dort sicher irgendetwas Blühendes finden.

      Colin öffnete die in die Glasfront integrierte Außentür, trat hinaus in den lauen Tag und schritt entschlossen über den Rasen. Das Gelände stieg hier leicht an. Vereinzelt standen vergessene Gartenliegen herum, unter einer großen Platane stand eine verlassene Bank. Ganz am Ende des Rasens befand sich eine Holzhütte, eine Art Gartenpavillon, um welchen ebenfalls Bänke drapiert worden waren. Es war ein beschauliches Plätzchen. Dort, wo der gepflegte Rasen endete, begann abrupt und ohne jeglichen Übergang die Wildnis. Froh darüber, dass er seine Tanzschuhe daheim gelassen und in normalen Straßenschuhen unterwegs war, stieg Colin in das hohe Gras und ging jetzt langsam und sich sorgfältig umschauend weiter. Hier fiel das Gelände plötzlich steil ab. Er stand auf dem Kamm einer Böschung und blickte hinunter in eine Mischung aus Unterholz und Gartenabfällen. Die Gärtner von Hodge House hatten es sich einfach gemacht und den Rasenschnitt und anderen Unrat einfach über die Grundstücksgrenze gekippt. Ein übler Geruch stieg von den verrottenden Pflanzenresten auf und ließ ihn die Nase rümpfen. An der Grundstücksgrenze kam außer ihm und den Gärtnern wohl nicht oft jemand vorbei. Sonst hätte sich bestimmt mal jemand beschwert und Mr Simms hätte diese Unsitte rasch unterbunden. Colin ging einige Schritte auf dem Kamm entlang und pflückte ein paar der vereinzelt aus dem Gras herausragenden Wildblumen. Doch seine Ausbeute erschien ihm noch zu mickrig und er lief weiter an der Böschung entlang, bis er fast das Gartenhäuschen erreicht hatte. Da entdeckte er unter sich, am Fuße des Hanges, genau das, was ihm jetzt fehlte. Eine schöne Mitte für Waldemar. Ein wahres Prachtexemplar von intensiver roter Farbe. Der absolute Hingucker. Er musste nur ein paar Schritte die Böschung hinuntersteigen, um den Fliegenpilz zu bergen. Langsam, jeden Schritt konzentriert setzend, kletterte Colin den Hang hinunter, hielt sich zwischendurch an den Zweigen einer Weide fest und erreichte leicht rutschend den hübschesten Giftmörder, den Mutter Natur zu bieten hatte. Zufrieden zog er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, legte es auf seine Handfläche und umschloss den Stiel des Pilzes damit. Gerade wollte er ihn abbrechen, als sein Blick auf eine interessante Wurzelformation gleich neben dem Pilz fiel. Die vier krummen Gebilde von lehmbrauner Farbe, die unter einem Hügel aus Gartenabfällen hervorragten, erinnerten ihn irgendwie an Finger. Sie waren auf eine seltsame Art faszinierend. Colin beschloss kurzerhand, auch diese Wurzel mitzunehmen. Während er mit der rechten Hand noch den Pilz abbrach, griff er mit der linken schon nach der Wurzel und wunderte sich augenblicklich über die sich fremd anfühlende Konsistenz. Energisch zog er an der Wurzel, die sofort nachgab und ihm ohne Vorwarnung den Teil von sich präsentierte, der soeben noch unter den Gartenabfällen verborgen gewesen war. Das schmutzige Grün, das entfernt an Moos erinnerte, hatte einen umgenähten Ärmelaufschlag. Aus diesem wuchs Colin das, was er für eine Wurzel gehalten hatte, entgegen. Und nun hatten die vier fingerähnlichen Wurzeln Gesellschaft durch einen Daumen und ein Handgelenk bekommen. Colin erkannte, dass er tatsächlich Händchen hielt. Mit jemandem, der unter einem Berg von Müll begraben lag. Jemandem, der seinen Körper in einen grünen, moosartigen Frotteestoff gehüllt hatte, bevor er zum Sterben unter diese Gartenabfälle gekrochen war. Jemandem, der den Eindruck erweckte, als ob er seine faulenden Finger ebenfalls nach dem Fliegenpilz ausgestreckt hatte.

      Ein vertrautes Gefühl stieg in Colin auf. Es war dasselbe Gefühl, das über ihn gekommen war, als er vor ein paar Monaten zum ersten Mal in seinem Leben ein Mordopfer gesehen hatte. Es war eine Kälte, die seinen Brustkorb einengte und ihm das Luftholen schwer machte, doch Luft holen musste er. Es war dieses dumpfe, wattige Gefühl zwischen seinen Ohren, das ihm das Denken erschwerte, doch denken musste er. Und handeln. Er musste handeln, bevor ihm Atmen und Denken abhandenkommen konnten. Colin atmete tief ein und tat genau das, was er in dieser Situation für angemessen hielt. Er schrie laut auf.

      Maigrün

      »Warum eigentlich immer du?«, wollte Jasper wissen.

      »Das ist eine berechtigte Frage. Warum hat schon wieder der Tanzlehrer das Opfer gefunden?«

      Colin saß auf einer der Bänke, die das Gartenhäuschen umstanden, und versuchte, nicht mehr zu zittern. Auch er stellte sich genau die gleiche Frage, die Jasper und Sergeant Dieber ihm gerade stellten. Warum schon wieder er? Sein ganzes Leben hatte er in der Großstadt London zugebracht und nie war ihm dort eine Leiche untergekommen. Doch kaum zog er sich auf das ruhige und beschauliche Land zurück, fielen ihm Leichen vor die Füße.

      In einiger Entfernung konnte er Waldemar erkennen, der vor der Fensterfront des Gymnastikraumes stand und unschlüssig eine dicke rote Kerze in seinen Händen hin- und herdrehte. Schließlich stellte der Alte die Kerze dort, wo er gerade stand, in den Rasen und zündete sie an. Colin musste unwillkürlich schlucken und spürte, wie der Schock, der ihn seit dem Fund der Leiche in regelmäßigen Abständen immer wieder schüttelte, etwas abflaute.

      Sergeant Dieber, ein großer pickliger Junge, den Colin bereits vor einigen Monaten kennengelernt hatte, stand neben dem besorgt wirkenden Jasper und machte ein strenges Gesicht. »Wenn man bedenkt, wie viele Morde wir hier hatten, seitdem du hier bist, Duffot, dann lässt das eigentlich nur den einen Schluss zu: Du musst der Mörder sein.«

      »Bravo. Hervorragend kombiniert, Mike. Du wirst es noch weit bringen«, spottete Jasper.

      Colin hingegen hob alarmiert den Kopf. »Mord? Ist das sicher? Schon wieder?«

      »Natürlich ist das sicher. Oder glaubst du, die Arme ist freiwillig unter die Gartenabfälle gekrochen?«, fragte Dieber säuerlich.

      Colin antwortet in resigniertem Tonfall: »Eigentlich hatte ich so etwas gehofft, ja.«

      Er sah zu seinem Freund hinüber. Dort entdeckte er dieses gewisse Glitzern in den Augen des Pfarrers. Dieses absolut unchristliche Glitzern, das ihm noch so vertraut war. Jasper witterte ein neues Abenteuer. Und schon begann er zu bohren: »Könnte es nicht auch ein Unfall gewesen sein, Mike?«

      Dieber schüttelte energisch den Kopf. »Ausgeschlossen. Ich muss nicht zur fSpurensicherung gehören, um das jetzt schon mit Sicherheit sagen zu können. Selbst wenn die arme Frau in geistig verwirrtem Zustand die Böschung heruntergestürzt ist und irgendein Komiker unter den Gärtnern ohne zu gucken seinen Müll auf ihr abgeladen hat, gestorben ist sie durch die Hand ihres Mörders.«

      »Wie kannst du dir denn da jetzt schon so sicher sein?«, fragte Jasper den Sergeant, während Colin erleichtert Mr Simms mit einem Tablett voller Kaffeetassen herannahen sah. Kaffee war genau das, was er jetzt dringend brauchte.

      Doch Dieber beugte sich mit Verschwörermiene zu Jasper vor und nahm Colin die Sicht auf den freundlichen Portier. »Weil die Frau, und wir sind uns ziemlich sicher, dass es eine Frau ist, auch wenn sie schon ziemlich lange hier draußen gelegen hat …«, Colin spürte sofort wieder einen Brechreiz in seiner Kehle, »… Glück hat, dass ihr nicht der Kopf von den Schultern gerollt ist. Da hat ihr jemand ziemlich brutal die Luft abgedrückt. Ich tippe auf einen Draht als Mordwerkzeug.«

      Colin kämpfte seinen Mageninhalt energisch dahin zurück, wo er hingehörte, und streckte Mr Simms wie ein Ertrinkender die Arme entgegen. Als seine Hände sich um die heiße Kaffeetasse schlossen und der vertraute Geruch ihm in die Nase stieg, ließ der Brechreiz endlich nach.

      »Sie ist also erwürgt worden«, stellte Jasper sachlich fest. »Nun, das schließt Unfall sowie Selbstmord selbstverständlich aus. Es sei denn, jemand wollte ihren Selbstmord vertuschen und hat sie vom Fensterkreuz geschnitten,

Скачать книгу