Organisation gestalten – Stabile und dynamische Unternehmensstrukturen. Götz Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Organisation gestalten – Stabile und dynamische Unternehmensstrukturen - Götz Schmidt страница 19
Je größer Unternehmen werden, desto eher verselbstständigen sich Organisationseinheiten, Unternehmensbereiche oder Abteilungen und bilden eigenständige oder zumindest differenzierte Kulturen aus. So entwickeln sich häufig etwa in Rechnungswesen, Marketing, Entwicklung, Produktion und Human Resources ganz eigene Kulturen. Die unterschiedlichen Denkweisen und die Werthaltungen der Mitarbeiter verschiedener Bereiche werden immer dann besonders deutlich, wenn Vertreter verschiedener Organisationseinheiten in Projekten zusammenarbeiten. Das führt leicht zu kulturellen Auseinandersetzungen, die sich an einzelnen Sachfragen aufhängen. Aufbauorganisatorische Lösungen müssen solche Bereichskulturen berücksichtigen. Es ist daher sinnvoll, bereichsübergreifende Reorganisationsprojekte von Anfang an durch umfangreiche Change-Management-Maßnahmen zu begleiten, wenn die Einführung einer organisatorischen Lösung nicht scheitern soll.
2.2.6.2 Gesellschaftliche Werte und Normen
Gesellschaftliche und kulturelle Trends
Gesellschaftliche Werte und Normen sind Erwartungen einer ganzen Gesellschaft an Individuen, Gruppen, aber auch an die Unternehmungen. Erwartungen breiter gesellschaftlicher Kreise, die sich oft aus Werten oder Normen ableiten, fordern beispielsweise konkrete Regelungen zur Ausgestaltung von Bonussystemen und zur Vergütung von Spitzenverdienern, zum Engagement bei der Integration von Flüchtlingen etc.
Da Unternehmen in einem gesellschaftlichen Umfeld tätig werden, können sie Erwartungen ihres Umfeldes nicht einfach ignorieren. Dazu ist es gar nicht nötig, dass diese Erwartungen in Gesetzen und Verordnungen formell festgelegt sind. Wenn die Unternehmen für sich Nachteile vermeiden wollen, müssen sie auf die Erwartungen reagieren. Das hat nicht nur sachliche Gründe wie beispielsweise der zunehmende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, der zu innovativen Schulungsangeboten zwingt. Der bewusste Umgang mit und die Berücksichtigung von gesellschaftspolitischen Entwicklungen hat darüber hinaus auch einen erheblichen Einfluss auf das Ansehen von Unternehmen und damit auch auf dessen Wettbewerbsfähigkeit.
Mit dem steigenden Bewusstsein für Klimawandel und Umweltschutz haben immer mehr Unternehmen dieses Thema aufgegriffen, dafür eigene Zuständigkeiten geschaffen und innerbetriebliche Regelungen in Kraft gesetzt. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in der Gesellschaftspolitik. Das in der jüngeren Generation verstärkte Bewusstsein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie auch veränderte Formen der Arbeitsteilung zwischen Partnern haben neue organisatorische Lösungen hervorgebracht, indem beispielsweise vermehrt Arbeitsangebote unterbreitet werden, die nicht mehr dem klassischen Acht-Stunden-Tag entsprechen (flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle, Home Office, Coworking-Büros etc.).
Aufbauorganisatorische Fragestellungen werden durch solche gesellschaftlichen Werte und Normen meistens eher indirekt beeinflusst, sie sollten aber von den Verantwortlichen im Auge behalten werden. Zunehmend kritisch setzt sich die Öffentlichkeit mit Themen wie Renditeziele, nachhaltiges Wirtschaften, Gleichberechtigung nicht nur von Männern und Frauen, sondern auch von anderen Bevölkerungsgruppen, auseinander oder es kommen Fragen auf, welche sozialen oder gesellschaftlichen Leistungen Unternehmen erbringen sollten. Das sind nur einige Beispiele für Erwartungen, die die Öffentlichkeit an die Unternehmen richtet. Besonders deutlich werden die organisatorischen Konsequenzen, wenn beispielsweise die Verlagerung von Unternehmensteilen geplant ist oder massiv Stellen abgebaut werden sollen. Schaltet sich hier die Presse ein, entsteht häufig Handlungsdruck, bestimmte Lösungen zu unterlassen oder andere zu wählen, die aus rein innerbetrieblicher Sicht u. U. wenig wünschenswert sind.
2.2.7 Kunden und Markt
In Kapitel 2.2.2.3 weiter oben wurde bereits auf wichtige Ziele eingegangen, die ein Kunde verfolgt. Viele dieser Ziele lassen sich nur durch eine entsprechende Aufbau- und Prozessorganisation erreichen.
Kundenstruktur, Märkte
Die Struktur der Kunden, ihre Bedeutung – etwa gemessen am prozentualen Anteil am Umsatz bei bestimmten Produkten – oder ihre regionale Verteilung usw. sind häufig maßgeblich für die Wahl der „richtigen“ Aufbauorganisation. So spiegelt sich beispielsweise die Belieferung sehr unterschiedlicher Kundengruppen oder regionaler Märkte in aller Regel auch in der Vertriebsorganisation wider, die oft nach Kundengruppen und/oder Regionen gegliedert wird.
Eine Privatbank, die fast nur mit großen und mittleren Unternehmen als Kunden zu tun hat, wird sich anders strukturieren als eine Bank, die eine eng begrenzte Region bearbeitet und vorwiegend Massenkundschaft bedient. Analog gilt beispielsweise, dass sich eine Personalabteilung in ihrer Struktur an ihrer „Kundschaft“, nämlich den verschiedenen Gruppen von Beschäftigten orientiert, wenn diese „Kundschaft“ sehr unterschiedliche Anforderungen stellt und eine individuelle Bearbeitung erfordert.
Die Kunden und der Markt sowie diejenigen, die noch nicht Kunden sind, können also eine wichtige Rolle für die Organisation eines Unternehmens spielen. Schon bei der Formulierung der Unternehmensstrategie steht immer auch die Frage im Vordergrund, welche Leistungen zu welchen Bedingungen von den Kunden gewünscht werden oder welche Leistungen oder Produkte die Kunden benötigen könnten. Das wird auch als der „Market-based View“ in der Strategieformulierung bezeichnet. Im Grundsatz gilt, dass alle Produkte und Leistungen und die damit verbundenen Prozesse sich am Bedarf des Kunden orientieren. So sollten in der Prozessorganisation alle Kernprozesse auch als End-to-end-Prozesse, d. h. als Prozesse gestaltet werden, die vom Kunden zum Kunden laufen. Der Aufbau solcher Prozessstrukturen hat selbstverständlich weitreichende Auswirkungen auch auf die Aufbauorganisation der Unternehmen, wie unten in Kapitel 4 „Hierarchische Modelle“ noch ausführlich erörtert wird. Er stimmt also wirklich, der viel zitierte Satz „Der Kunde steht im Mittelpunkt“ – auch im Mittelpunkt aller organisatorischen Bemühungen.
Im Folgenden sollen einige Beispiele verdeutlichen, dass Kunden direkte oder indirekte Einflüsse auf die Aufbauorganisation ausüben können.
Ein Unternehmen plant den Aufbau eines Customer Relationship Management (CRM), das der Dokumentation und Verwaltung von Kundenbeziehungen dient, um mit seiner Hilfe bestehende Kunden zu binden und neue Kunden zu gewinnen. Ein solches CRM setzt voraus, dass intern die Zuständigkeiten für die Datenermittlung und die Pflege sowie für die zu ergreifenden Maßnahmen geregelt sind. Außerdem werden entsprechende IT-Systeme benötigt.
Eine Bank hat bei der Marktanalyse festgestellt, dass sie es im Kern mit vier verschiedenen Kundengruppen zu tun hat – Privatkunden, vermögende Privatkunden, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Großunternehmen. Diese verschiedenen Kundengruppen haben zum Teil sehr unterschiedliche Erwartungen und richten sehr unterschiedliche Anforderungen an die Bank, sind in sich aber relativ homogen. In diesem Fall entscheidet sich die Bank für eine Strukturierung ihres Vertriebs nach diesen vier Kundengruppen.
Ein Unternehmen hat sich vom Anbieter von Einzelteilen für ein großes Maschinenbauunternehmen zu einem Anbieter von ganzen Komponenten weiterentwickelt. Nach intensiven Gesprächen wird mit dem Kunden vereinbart, eine Partnerschaft bei der Neuentwicklung von Komponenten einzugehen. Jede Seite soll bestimmte Teile geplanter Komponenten entwickeln. Es muss aber sichergestellt werden, dass das dabei gewonnene Knowhow nicht Dritten zugänglich gemacht wird. Das Unternehmen strukturiert seine Entwicklungsabteilung in der Form um, dass für diese Entwicklungsleistungen eine eigene Abteilung eingerichtet wird, die von den übrigen Entwicklungsabteilungen abgeschottet wird.
Ein Unternehmen bietet die Übernahme von Human-Resources-Funktionen an – Lohn und Gehaltsabrechnung, Abführung von Sozialabgaben, Gewinnung