Unterirdisches Österreich. Johannes Sachslehner
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Die Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“: SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler.
Obwohl von ihm zunehmend unter Druck gesetzt, gefällt Speer die „sachliche Kühle“, mit der Kammler agiert; ganz richtig erkennt er im fulminanten Aufstieg des SS-Ingenieurs zu einem der mächtigsten Männer des Dritten Reiches ein Spiegelbild seiner eigenen Karriere. Mit der Entscheidung zur Verlagerung der Rüstungsindustrie unter Tag schlägt für Kammler die große Stunde: In atemberaubendem Tempo zaubert der „Sonderbeauftragte des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“ – so ab 1. September 1943 seine offizielle Funktion – Ersatzstandorte für die Waffenschmieden mit Spitzentechnologie aus dem Hut: das „Mittelwerk“ im Kohnstein, Redl-Zipf, Ebensee, St. Georgen an der Gusen. In Kammlers Hand konzentriert sich die Macht über diese unterirdischen Rüstungsbetriebe und in seinem Blickpunkt stehen auch revolutionär neue Technologien wie etwa die Nutzung der Atomkraft für den Antrieb von Flugzeugen und Lenkwaffen – ein Aspekt, der fantasievollen Spekulationen Tür und Tor geöffnet hat: Und angeblich gibt es auch Dokumente, die Beweise in diese Richtung liefern …
Was den Bau der unterirdischen Anlagen betrifft, so hat Kammler mit dem jungen Wiener Ingenieur Karl Fiebinger einen zuverlässigen Planer und Partner gefunden; auch den letzten großen Auftrag, das geheimnisumwitterte Sonderbauvorhaben „S III“ im Jonastal, vergibt er an das Büro Fiebinger.
Zwischen Jänner und März 1945 hält sich Kammler häufig in Ebensee und St. Georgen an der Gusen auf; am 3. April spricht er in Berlin ein letztes Mal mit Hitler und offenbar gelingt es ihm, beim „Führer“ für bessere Stimmung zu sorgen – „Kammler macht sich ausgezeichnet, und man setzt auf ihn große Hoffnungen“, notiert Goebbels in seinem Tagebuch. Am 23. April 1945 findet in Ebensee ein letztes Treffen Kammlers mit SS-Offizieren statt, bereits zuvor hat er Speer bei einem Gespräch in Berlin erklärt, dass der Krieg verloren sei und es besser wäre sich abzusetzen. Am 9. Mai begeht Hans Kammler in der Nähe von Prag angeblich Selbstmord – unterschiedliche Versionen dieses Suizids wecken jedoch bald Zweifel, es taucht die Vermutung auf, dass der „kühle Planer und Rechner“ (Reiner Merkel) seinen Tod nur vorgetäuscht haben könnte. 1948 lässt ihn seine Frau Jutta für tot erklären, danach verschwindet auch sie spurlos …
Das unterirdische Amphitheater
Geheimprojekt „Zement“ in Ebensee
„Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“ singt der Kellner Leopold in Ralph Benatzkys berühmtem Singspiel Im weißen Rößl. Am 8. November 1930 wird das Stück, das auf einer Vorlage von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg aus dem Jahre 1896 basiert, im Großen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt und beginnt von hier aus seinen Siegeszug um die Welt; die Salzkammergut-Klischeebilder werden von nun an von den Evergreens aus dem Weißen Rößl unterfüttert, daran ändert auch der Krieg nichts: Johannes Hesters und Peter Alexander, Johanna Matz und Waltraut Haas trällern die Erfolgsmelodien in den 1950er Jahren fröhlich weiter; vergessen scheint, dass die Nazis auch das Salzkammergut in ihre „ostmärkische“ Todeslandschaft rund um Mauthausen einbezogen hatten. Aus der heiter-idyllischen Welt mit blaugrünen Seen und firngleißenden Bergen war eine düster-bedrohliche Kulisse für das große Sterben geworden. Im Brennpunkt: der alte „Salzflecken“ Ebensee am Südufer des Traunsees, in der Monarchie Knotenpunkt des Sommerfrischeverkehrs nach Bad Ischl, nun auserkoren zum Standort für eine geheime Waffenschmiede.
Als am 13. März 1938 die ersten deutschen Wagen in Ebensee eintreffen, so vermerkt die Ortschronik, bricht die Menge in jubelnde „Heil Hitler!“-Rufe aus – sieben Jahre später stehen die Ebenseer Parteigenossen fassungslos vor den Leichenbergen vor ihrer Haustür: Die US-Befreier zwingen sie, dem Grauen, das mit ihrer Unterstützung möglich geworden ist, ins Auge zu sehen und beim Begraben der Toten in den Massengräbern zu helfen. Eine, wie die GIs meinen, pädagogisch richtige „Erziehungsmaßnahme“, heute betrachten wir die Fotos, die dieses Vorgehen dokumentieren, mit gemischten Gefühlen.
Eines der mächtigen Eingangstore zur Stollenanlage in Ebensee.
Auf der Liste „Anhang 1.2.1“ zum Bundesimmobiliengesetz 2000 erscheint Ebensee so wie viele andere Orte unter einer unscheinbaren Nummer; mit der 1. Novelle 2003 wird das „Objekt“ am Traunsee wieder von der BIG-Liste gestrichen – Martin Hübner gelingt es zu zeigen, dass die Bestimmung „Deutsches Eigentum“ hier nicht zutrifft: Aufgrund eines Rückstellungsvergleiches aus dem Jahre 1951, in dem auch die errichteten Stollen an die Firma „Hatschek Zementwerke“ mitübertragen werden, stellt die Anlage eindeutig keinen Anwendungsfall für den Erwerb durch die Republik, wie im Staatsvertrag bzw. Staatsvertragsdurchführungsgesetz 1955 definiert, dar.
Eine Rakete für das Reich
Im Sommer 1943 hoffen Hitler und sein Rüstungsminister Albert Speer noch immer auf eine Wende durch die „Wunderwaffen“ – dazu zählt vor allem die A4-Rakete, auch „V2“ genannt, die in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom von Wernher von Braun und seinen Ingenieuren entwickelt wird. Am 3. Oktober 1942 gelingt erstmals ein erfolgreicher Start, die Rakete erreicht eine Geschwindigkeit von 4.824 km/h und fliegt immerhin 190 km in Richtung Ziel; der Durchbruch scheint endlich geschafft. Ursprünglich von den Peenemünder „Monsterraketen“ nicht sonderlich begeistert, setzt nun auch der „Führer“ auf die revolutionäre Technik, die Dringlichkeitsstufe eins (DE 1) zugesprochen erhält. Die Vision einer „Fernbombardierung“ Londons oder vielleicht sogar New Yorks lässt ihn nicht mehr los. Es ist die Rakete, die ihn und seine Herrschaft retten soll. Und die Pläne stimmen ihn optimistisch: Bereits im Oktober 1943, so die kühne Prognose des „Sonderausschusses A4“, sollen 900 Raketen die Montagewerke in Peenemünde, Friedrichshafen und den Wiener Neustädter Rax-Werken verlassen, im Jänner 1944 soll die Produktionsziffer auf monatlich 1.500 Raketen steigen, im April 1944 auf 1.800. Noch im Herbst 1943 soll die „Raketenoffensive“ gegen England gestartet werden.
Der große Rückschlag erfolgt in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 : 433 britische Bomber greifen im Rahmen des Unternehmens „Hydra“ die Anlagen in Peenemünde an, über 800 Menschen, unter ihnen auch Walter Thiel, der Leiter der Triebwerkentwicklung, kommen ums Leben, die Zerstörungen sind schwerwiegend. Jetzt gilt es zu handeln, will man die neue Hochtechnologie nicht weiterhin den Alliierten schutzlos ausgeliefert sehen. Die grundsätzliche Entscheidung für die Errichtung eines unterirdischen Werkes zur Raketenforschung fällt daher schon in einer „streng geheimen“ Besprechung am 26. August 1943 in Berlin: Rüstungsminister Albert Speer, SS-General Hans Kammler, Direktor Gerhard Degenkolb vom Sonderausschuss A4 und Hauptdienstleiter Karl Otto Saur von Speers Ministerium beschließen die Trennung von Serienfertigung und Forschung; die Massenproduktion der Rakete soll in einem Stollensystem im Kohnstein in der Nähe von Nordhausen in Thüringen, später „Mittelwerk“ genannt, erfolgen; aber auch die weitere Entwicklungsarbeit soll unter Tag verlagert werden. Zuständig für das Bauprogramm ist grundsätzlich das Amt Bau im Rüstungsministerium, 20 der größten und arbeitsintensivsten Projekte werden jedoch der SS übertragen; Reichsführer-SS Himmler beauftragt Kammler, seinen besten Mann, mit der operativen Umsetzung, am 1. September 1943 ernennt er ihn zum „Sonderbeauftragten des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“. Im März 1944 wächst die Macht des SS-Technokraten weiter: Ein „Sonderstab Kammler“ wird gebildet. Der skrupellose 42-Jährige aus Stettin,