Unterirdisches Österreich. Johannes Sachslehner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner страница 8

Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner

Скачать книгу

allerdings das Wegerecht für einen direkten Zugang zur Stollenanlage eingeräumt wird.

      Im April 2002 werden in St. Georgen die Erkundungsarbeiten wieder aufgenommen, die Zeit drängt, denn es drohen neue Verbrüche – so ereignet sich Mitte Mai 2002 in der Stollenstrecke Aa – A0 ein Nachbruch, der den einzigen Zugang zur Anlage gefährdet. Und die mit Rudolf P. getroffene Nutzungsvereinbarung hält nicht lange: Als ihm von der BIG mitgeteilt wird, dass die Kosten für Sicherungsarbeiten an den Stollenbereichen unter seinen Liegenschaften etwa 110.000,- Euro betragen würden, tritt er von der Nutzungsvereinbarung zurück; das Wegerecht bleibt bei der BIG, die im Juni 2002 auf Grundlage der Empfehlungen von Leopold Weber mit umfangreichen Sicherungsarbeiten beginnt. Das Maßnahmenbündel sieht u. a. die vollständige Verfüllung von Streckenabschnitten und die Errichtung eines zweiten Tagzuganges vor – geplant und schließlich auch errichtet wird ein schachtförmiger neuer Zugang. In einer ersten Phase werden sowohl obertage als auch untertage Bohrkerne entnommen, um die statischen Verhältnisse in den Röhren der von den Nazis mit dem Codenamen „Bergkristall“ bezeichneten Stollenanlage zu klären. Dann gilt es den einzigen Zugang zum Stollensystem zu sichern, Karl Lehner findet eine perfekte technische Lösung: Aus Einzelelementen verschraubte Wellstahlröhren, die im Winter 2002/​03 montiert werden, gewährleisten von nun an ein sicheres Betreten des Systems. Mit leicht spöttischem Unterton als „Lehnersche Röhren“ bezeichnet, werden sie zu einem running gag in der Underground-Szene, ihre Effizienz zweifelt bald niemand mehr an.

      Für immer sicher verschlossen: „Geobarriers“ in St. Georgen an der Gusen.

      In einem nächsten Schritt werden jene Bereiche gesichert, die besonders gefährdet sind, vor allem die Abschnitte unter der Wohnsiedlung Hasenfeld. Hier bleibt nur die vollständige Verfüllung, wobei man an den beiden Enden der zu verfüllenden Stollenstrecke so genannte „Geobarriers“ zum Einsatz bringt: Dabei werden Kunststoffschläuche von obertage über eine Schlauchleitung unter Druck mit einer Zementsuspension aufgefüllt; die Suspension härtet aus und bildet nun im Zusammenwirken mit der außen liegenden Kunststoffarmierung des Geobarriers einen absolut dichten Verschluss, sodass die Stollenstrecke bis zum oberen Rand des Geobarriers mit Beton aufgefüllt werden kann – dann folgen der nächste Geobarrier und die nächste Schicht Beton, bis der Stollen bis zum First „vollständig und kraftschlüssig“, wie es im Jargon der Tiefbauer heißt, verfüllt ist. Bis zum Juni 2005 werden so 73.000 m3 Beton verarbeitet, weitere 55.200 m3 folgen in einer nächsten Phase bis zum November 2009, in der auch die gefährdeten Stollenbereiche unter landwirtschaftlich genützten Flächen gesichert werden, vor allem dort, wo die „Überlagerung“ nur 15 bis 25 Meter beträgt – bei einer Höhe der Stollen von 6,5 Metern und einer Höhe einzelner „Sprengdome“ bis zu 10 Metern ein gefährlich niedriger Wert.

      Millionen von Euro werden in den unterirdischen Röhren verbaut. Karl Lehner, der alle technischen Entscheidungen trifft, hat sich inzwischen bei der BIG-Geschäftsführung eine „Jahresrate“, also ein Limit, ausbedungen, das er alljährlich verbauen darf. Allein für „Bergkristall“ beträgt der Sicherungsaufwand bis zum Oktober 2006 etwa acht Millionen Euro; die Gesamtkosten bis heute (2013) für alle 290 Stollen belaufen sich auf über 35 Millionen Euro und werden weiter in die Höhe klettern: Das unterirdische Erbe der NS-Zeit fordert von uns Nachgeborenen seinen Tribut …

      Im Sommer 2002 erhält das BIG-Underground-Team weitere Unterstützung: Bei einer Baustellenbesichtigung in Innsbruck lernt Karl Lehner einen jungen Ingenieur kennen: Martin Scheiber ist Leiter der örtlichen Bauaufsicht (ÖBA) der Firma ILF Planende Ingenieure Innsbruck, die von der BIG und der IMB-Landesdirektion Tirol mit den Sicherungsarbeiten an den „fünf gefährlichsten“ Innsbrucker Luftschutzstollen T002 (Höttinger Au – Schererschlössl), T005 (Höttinger Au – Schottergrube), T009 (Lohbachsiedlung), T016 (Innstraße) und T022 (Igls – Föhnegg) beauftragt worden ist. Die ILF ist aus einem Ideenwettbewerb als Sieger hervorgegangen, das von ihr vorgelegte Konzept zur Sicherung der Stollen wird ab Herbst 2001 konsequent umgesetzt, die vier vorgesehenen Arbeitsschritte: Erkunden der Stollen durch Bohrungen von Obertage und mit Hilfe einer Bohrlochkamera – Abmauerung der von außen zugänglichen Stollenabschnitte an den Verbruchstellen – Verfüllen der nicht standsicheren Stollenabschnitte – Verpressen der Resthohlräume unterhalb von Wohngebäuden, Zufahrten und Verkehrsflächen.

      Martin Scheiber über die Begegnung mit dem Hochbauer Karl Lehner heute: „Ich wusste nicht, wer er war – er stand vor einem Container und hatte einen Doppelpacker in der Hand, wie er im Bohrloch zur Verpressung von Injektionsmaterial verwendet wird, und rang nach einer Erklärung, was denn das sein solle. Ich versuchte ihm dies zu erklären, was jedoch kläglich scheiterte. Es galt die Brücke Hochbauer zu Tiefbauer/​Tunnelbauer zu überwinden, was erst durch einen daneben stehenden Arbeiter gelang – dieser erklärte bildlich, wie denn das, Teil‘ wirklich funktioniert. Von da an war der Bann gebrochen und Karl entwickelte sich zu einem gebrauchsfähigen Tiefbauer am zweiten Bildungsweg.“

      „Mr. Underground“: Karl Lehner, der Leiter des BIG-Stollenteams.

      Trotz dieser anfänglichen sprachlichen Missverständnisse – Karl Lehner interpretiert das tirolerisch intonierte „Packer“ als „Bagger“ – passt die Chemie zwischen Hochbauer und Tiefbauer auf Anhieb. Karl Lehner war von der Kompetenz und dem Organisationstalent des Tiroler Kollegen schwer beeindruck. Nachdem Martin Scheiber sich 2002 mit seiner Firma S Consult Management GmbH selbständig gemacht hat, wird er zum verlässlichen Partner der BIG: Von nun an steuert er als Projektmanager die Sicherungsarbeiten an den Stollen – von der Ausschreibung und der Vertretung vor den zuständigen Behörden über die Bauaufsicht bis zur Rechnungsverwaltung. Ihm obliegen nicht zuletzt die vorgeschriebenen Sicherheitsbefahrungen und die Dokumentation derselben, Aufgaben, die ihn heute, nach der Pensionierung Karl Lehners, wohl zu einem der besten Kenner der österreichischen Stollenwelt machen. Sein neuer Aufgabenbereich führt ihn bald auch in den Osten Österreichs, wo in den Tälern von Schwechat, Triesting, Piesting und Schwarza zahlreiche Stollen angelegt worden sind; Ziel der NS-Rüstungsmanager war es dabei, die Fertigung von wichtigen Rüstungsgütern wie z. B. Flugzeugkomponenten in „bombensichere“ unterirdische Bereiche zu verlegen.

      So findet sich auf der Liste unter der Ordnungsnummer NÖ090 eine Stollenanlage in Rohrbach am Steinfeld mit den ergänzenden Hinweisen „Peterwald, bei Spinnerei Rohrbach“ und „Eingänge gesprengt“, auch die Adresse ist wenig aussagekräftig: „B17 – Feldweg“. Die Zugänge zu dem im „Rohrbacher Konglomerat“ aufgefahrenen Stollensystem werden schließlich von den Sachverständigen der BIG lokalisiert – sie liegen im Naturschutzgebiet am Petersberg über dem Peterwald, zwischen Neunkirchen und Ternitz. Von drei Mundlöchern A, B und C in etwa 380 m Seehöhe aus führten parallele Stollen in westsüdwestliche Richtung; diese drei Stollenröhren waren durch sieben normal dazu verlaufende Stollenachsen verbunden; ein viertes Mundloch bildete einen „rampenartigen“ seitlichen Zugang – eine aufwändig mit Betonformsteingewölbe ausgeführte Stollenanlage, die sicherlich nicht nur Luftschutzzwecken diente. Dazu passt die Beobachtung, dass offenbar mit „Demolierungssprengungen“ an den Kreuzungspunkten versucht worden ist, die gesamte Anlage zu zerstören. Noch gut erkennbare Bombentrichter im Gelände lassen weiters darauf schließen, dass das Stollensystem Ziel eines Luftangriffs war. Was bewog die alliierten Bomberpiloten, hier auf dem Petersberg ihre todbringende Fracht abzuwerfen?

      Die Frage nach dem Warum bewegt das BIG-Underground-Team jedoch noch kaum, jetzt geht es darum, der unmittelbaren Gefahr Herr zu werden, und die ist nicht zu unterschätzen: Bei ihrer Befahrung der zum Teil verbrochenen Stollen kommen sie plötzlich auf rostigem Metall zu stehen – eine Entdeckung,

Скачать книгу