Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar
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Читать онлайн книгу Der gute Mensch von Assuan - Peter S. Kaspar страница 5
»In meiner Position tue ich gut daran, mich an möglichst viele Menschen zu erinnern, die einmal meinen Weg gekreuzt haben.«
Die vier einigten sich schnell darauf, einen größeren Tisch zu nehmen. Kaum hatten sie sich niedergelassen, fiel Silke regelrecht über Roland her – und lüftete damit das Geheimnis, warum sie die beiden Männer an den Tisch gebeten hatte.
»Sag mal, Roland, die Sache mit den Häusern in Treptow … Was ist denn in deinen Chef gefahren? Wir wissen nicht mehr, wo wir die armen Teufel noch unterbekommen sollen, räumen Turnhallen frei, bauen Traglufthallen auf und beschlagnahmen jeden halbwegs bewohnbaren Container, und dann wollt ihr zwei Häuser abreißen, in denen wir 90 Menschen unterbringen könnten? Ich glaube, bei euch hackt’s.«
Roland hob abwehrend die Hände. »Ich bin nicht Rute.«
»Aber du hast dich an ihn verkauft.«
»Ach Silke, fang nicht wieder mit den alten Geschichten an.«
»Apropos, wie geht es Deborah?«, fragte Silke zuckersüß und hinterlistig, weil sie genau wusste, dass Rolands Ehe so ziemlich am Ende war.
»Das äh … ja, ich werde sie von dir grüßen.«
»Wirst du natürlich nicht, ist aber auch nicht so schlimm. Was ist nun mit den Häusern?«
»Das würde mich jetzt auch interessieren«, wandte Mansur ein. »Stimmt das, was Frau Sperling sagt? Das ist doch der reine Wahnsinn.«
»Ich kann euch sagen, was dahintersteckt. Rute fürchtet, dass man sie dann nicht mehr rausbekommt oder nur mit den härtesten Mitteln. Ich muss dich nicht an die Gerhart-Hauptmann-Schule erinnern. Davor hat Rute Schiss.«
Mansur schüttelte den Kopf. »Ich verstehe euch Deutsche manchmal nicht. Woher kommt die Angst vor ein paar Zehntausend Flüchtlingen? Ihr habt so viel Geld, dass ihr das Problem locker in den Griff bekommen könntet. Ihr könntet euch doch den ganzen Ärger mit Demonstrationen und Krawall einfach sparen.«
Silke schüttelte heftig den Kopf. »Gerade wir in den Kommunen und Bezirken haben eben gar kein Geld. Wissen Sie, woran man in Kreuzberg merkt, dass der Herbst kommt? Nicht an den gelben Blättern, sondern an der Haushaltssperre.«
»In dem Land steckt genug Geld, man muss nur einen finden, der es für etwas Sinnvolles ausgibt. Ich habe zum Beispiel in Assuan ein ganzes Stadtviertel für Obdachlose gebaut. Warum? Weil ich es kann, und weil ich es richtig finde. Sollte es in Ihrem Land nicht irgendjemanden geben, der so etwas Ähnliches auch macht? Zum Beispiel für Flüchtlinge?«
Benny lachte bitter auf. »Wer bei uns reich ist, verschleppt sein Geld lieber in die Schweiz oder bunkert es auf Grand Cayman. Sozialpflichtigkeit des Eigentums, dass ich nicht lache.«
Roland pflichtete ihm bei: »Soziale Marktwirtschaft, das war einmal. Finsterstes 20. Jahrhundert, Wirtschaftswunderzeit.«
»Es ist doch eigentlich komisch. Damals kamen 13 Millionen Flüchtlinge nach Westdeutschland. Und Westdeutschland war damals nicht reich, sondern völlig zerstört, außerdem lebten nicht 80, sondern nur 50 Millionen Menschen dort. Und trotzdem ist es irgendwie gelungen, sie zu integrieren«, dozierte Benny, so wie er es gerne tat.
Doch Roland fuhr ihm in die Parade. »Aber die Menschen haben damals genauso reagiert. Die wollten auch keine Flüchtlinge. Ich weiß das noch von meinen Großeltern. Die haben immer wie die Rohrspatzen auf die Flüchtlinge geschimpft. Denen sei alles hinten reingeschoben worden, und selbst hätten sie nichts gehabt. Noch Jahrzehnte später waren sie überzeugt, ihnen sei etwas genommen worden. Dabei haben sie wirklich alles gehabt. Großes Haus, dickes Auto, selbst im Alter noch Urlaubsreisen und eine Ferienwohnung in Spanien. Aber auf die Flüchtlinge waren sie Zeit ihres Lebens neidisch.«
Benny hob belehrend den Finger. »Es gab aber einen grundlegenden Unterschied. Die Regierung hat seinerzeit richtig viel Geld in der Hand genommen für das Lastenausgleichsgesetz und auf diese Weise die Flüchtlinge aus dem Osten ganz schnell integriert. Heute ist das anders.«
»Damals brauchte man die Flüchtlinge allerdings auch für den Wiederaufbau des Landes, wenn ich mich nicht irre«, wandte Mansur ein.
»Wir könnten sie jetzt auch wieder gut gebrauchen«, hakte Silke ein. »Es ist ja nicht so, dass das alles Idioten wären, die hier ankommen. Im Prinzip ist Europa ja eine Festung, in die keiner reinkommen soll, den wir nicht reinlassen wollen. Die, die es jetzt trotzdem schaffen, dieses ausgeklügelte und harte System zu überlisten, sind ja offenbar nicht ganz doof. Sie scheinen intelligent zu sein, zielstrebig und zäh. Das sind doch schon mal Softskills, die heutzutage jeder Arbeitgeber gerne sieht. Und dann ist es ja auch so, dass viele von denen, die hier ankommen, auch noch richtig gut ausgebildet sind.«
»Das ist dann doch aber einfach eine Verschwendung menschlicher Ressourcen, wenn ihr solche Leute wieder zurückschickt, oder?«, fragte Mansur ein wenig indigniert.
Silke lachte laut auf und streckte die Arme in einer abwehrenden Geste aus. »Sagen Sie das nie, wenn irgendwelche Parteifreunde von mir in der Nähe sind. Das Wort von den ›menschlichen Ressourcen‹ kommt da gleich hinter ›Sklaverei‹ und ›Leibeigenschaft‹.«
»Ich habe gehört, Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten?«, erkundigte sich Mansur. »Dabei könnten sie dann doch für sich selbst sorgen, statt dem Staat zur Last zu fallen.«
»Sie könnten ja auf die Idee kommen zu bleiben«, erwiderte Silke mit galliger Ironie.
»Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien sind okay. Sie sollten nur keine Moslems sein und sich zeitnah wieder nach Syrien verkrümeln«, erklärte Roland und schlug in dieselbe Kerbe.
»Wenn’s richtig knallt und kracht, dann sind auch die PEGIDA-Leute bereit, Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. Wenn Leute aus einer Region kommen, in der es nicht knallt, sind es automatisch Wirtschaftsflüchtlinge, die nur herkommen, um uns auszunehmen. Die Montagsdemonstranten in Dresden sagen das laut, und viele Politiker denken genau das leise, so sieht es aus«, erklärte die Bürgermeisterin überzeugt.
»Aber eines ist doch auch klar: Die meisten, die, sagen wir, aus Schwarzafrika übers Mittelmeer hierherkommen, haben nicht die geringste Chance, Asyl zu bekommen, weil sie einfach nicht politisch verfolgt werden«, wandte Roland ein.
»Und was spielt das für eine Rolle?«, fragte Silke scharf.
»Wenn ich einen politisch Verfolgten zurückschicke, drohen ihm vielleicht Folterung und Tod. Davor muss sich so ein – entschuldige bitte – Wirtschaftsflüchtling eher nicht fürchten«, wehrte sich Roland.
Silke begann laut zu lachen. Es war ein bitteres, hartes Lachen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Da täuschst du dich aber, mein Lieber. Viele von denen, die du Wirtschaftsflüchtlinge nennst, sind massiv vom Tod bedroht, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Und zwar sind es ihre eigenen Familien, die sie dann umbringen«, erwiderte sie ernst.
»Mach keine schlechten Witze mit mir«, gab Roland verunsichert zurück.
»Es ist so: Große Familien, beispielsweise in Ghana, sammeln innerhalb der Familie Geld. Mit diesem Geld soll der intelligenteste Sohn irgendwie nach Europa geschleust werden. Damit er dann möglichst viel Geld verdient, es nach Hause schickt und dann die ganze Familie ein besseres Leben hat. Wenn er nichts zurückschickt oder gar mit leeren