Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar
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Читать онлайн книгу Der gute Mensch von Assuan - Peter S. Kaspar страница 6
Alle schwiegen einen Moment betroffen.
»Schwarzafrika, sagen Sie?«, hakte Mansur nach.
»Warum fragen Sie?«, wollte Silke wissen.
»Ich habe da einen jungen Mann kennengelernt«, begann Mansur und sah in dem Moment, wie sich ein Anflug von Panik in Roland Hektors Gesicht widerspiegelte. »Der kam wohl aus dem Senegal …«
»Ein Flüchtling? Hier? Wo lernt denn jemand wie Sie hier einen Flüchtling kennen.«
»Das ist jetzt nicht so spannend«, warf Roland ein. »Eigentlich sollten wir jetzt auch langsam los.«
»Na, jetzt mal langsam, Roland. Was hast du denn? Jetzt, wo es gerade spannend wird. Hat dein Freund etwas zu verbergen?«, wollte Silke wissen.
»Nein, nein«, lachte Mansur. »Ich war heute Morgen noch in Paris. Und da hätte mein Fahrer auf dem Weg zum Flughafen um ein Haar einen jungen Mann aus dem Senegal überfahren. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert. Der war wohl auch ein Flüchtling und ich habe mich gefragt, ob er nicht ein ähnliches Schicksal hinter sich hat.«
Silke runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht so recht, wie das in Frankreich ist. Tatsächlich war das ja mal französische Kolonie. Ich denke, dass es für die Leute aus dem Senegal wahrscheinlich leichter ist, nach Frankreich zu kommen«, erwiderte sie.
»Und die Sprache«, fiel Roland ein. »Und die Sprache, nicht zu vergessen. Sie tun sich in Frankreich eben doch viel leichter.«
Benny Eichbaum war die merkwürdige Reaktion von Roland Hektor nicht entgangen. Er hatte ihn und Mansur Ghali scharf beobachtet. Der Ägypter hatte unfassbar schnell reagiert. Doch Benny war sich sicher, dass diese Geschichte mit Paris nicht stimmte. Aber vielleicht stimmte die Geschichte mit dem Unfall – und mit dem Opfer, einem Senegalesen. Benny witterte eine Story.
»Ich kenne ja Ihr soziales Engagement, Herr Ghali. Aber trotzdem: Woher stammt Ihr großes Interesse an der deutschen Flüchtlingsproblematik?«, wollte Benny wissen.
»Ich habe ja hier in Berlin studiert. Die Stadt ist heute noch ein Stück Heimat für mich. Und wenn Sie es niemand verraten: Ich habe sogar eine Zeitlang hinter dem Zapfhahn gestanden.«
»Nee …«, entfuhr es Benny, »das haben Sie nie erzählt.«
Mansur lachte laut auf. »Natürlich nicht, oder glauben Sie, ich hätte gerne die Geschichte vom kellnernden Millionär in Ihrem Blatt gelesen?«
»Aber der Bezirk hat sich hier schon sehr verändert – und ja, natürlich auch mit und durch die Flüchtlinge. Sie sollten Ihn sich mal ansehen. Was meinst du Silke, willst du nicht mal wieder die Stadtführerin machen?«
Sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Mensch, das ist mal eine Idee.«
»Dein Terminkalender ist ganz schön voll«, wandte Roland ein.
»Dann mach ich ihn mir morgen mal für den Vormittag ganz leer, würde ich sagen«, entgegnete Mansur. Er funkelte Silke herausfordernd an.
Sie hielt seinem Blick stand und lächelte spöttisch. »Dann werde ich meinen Terminkalender auch leeren. Stand eh nur ein zweistündiges Gespräch mit dem Innensenator auf den Plan. Ich bin froh, wenn ich den nicht sehen muss.«
Mansur nickt zufrieden, streckte ihr die Hand entgegen und sagte fröhlich: »Und lass das mal mit dem Herrn Ghali, ich bin Mansur.«
Silke kratzte sich am Hinterkopf und überlegte. »Okay, Mansur, ich bin Silke … aber eines noch: Komm nicht auf die Idee, mich morgen mit einer Stretchlimo abzuholen. Wir treffen uns um zehn am Oranienplatz – mit dem Fahrrad.«
Mansur riss die Augen auf. »Mit dem was?«
»Mit dem Fahrrad natürlich.«
»Aber da draußen ist es kalt, da ist Winter, da fährt kein Mensch mit dem Rad.«
»In Kreuzberg schon. Musst halt lange Unterhosen anziehen, wenn du so etwas hast.«
Mansur schüttelte den Kopf und schaute Roland hilfesuchend an. »Roland, die Frau ist verrückt, hilf mir.«
Doch Roland zuckte nur mit den Schultern. »Ihr kommst du nicht bei.«
»Meinetwegen, aber du kommst mit.«
3. Kapitel
Sie sind arm.
Sie sind ohne Obdach.
Sie sind ohne Freunde.
Es war einer jener nasskalten, grauen Tage, die den Winter in Berlin so unerträglich machten. Der Himmel, der nur eine Handbreit über den Dächern der Stadt hing, konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er regnen sollte oder nicht. Also nieselte er ab und an. Es war kein Wetter zum Fahrradfahren.
Mansur und Roland waren natürlich mit dem Auto nach Kreuzberg gefahren. Mansur hatte in aller Frühe noch ein Mountainbike für 900 Euro gekauft. Er würde es nach dieser Tour vermutlich nie wieder benutzen, dachte er mit ein wenig Bedauern. Sie hatten die Räder in Rolands Volvo verstaut und waren bis zum Wassertorplatz gefahren. Dort stellte Roland den Wagen ab und beide schwangen sich aufs Rad.
Am südlichen Ende des Oranienplatzes warteten Silke und Benny vor einem mehreckigen Holzpavillon.
Nach einer kurzen Begrüßung kam die Bürgermeisterin zur Sache. »Das ist das Dokumentationszentrum, das den Refugees so wichtig war«, erklärte sie. Mansur fiel auf, dass sie nicht mehr von Flüchtlingen sprach. In dem Dokumentationszentrum spiegelte sich der zweijährige, verzweifelte Kampf von rund 100 Flüchtlingen wieder. Sie waren eines Tages im Herbst von München ausgezogen zu einem Protestmarsch nach Berlin. Alleine damit hatten sie sich schon strafbar gemacht, weil sie gegen die Residenzpflicht verstoßen hatten, jener Pflicht also, die es jedem Asylbewerber auferlegte, den Ort nicht zu verlassen, an dem er seinen Asylantrag gestellt hatte oder an den ihn die Ausländerbehörde befohlen hatte. Der Protestmarsch richtete sich gegen diese Regelung ebenso wie gegen das Arbeitsverbot, das es jedem Asylbewerber unmöglich machte, sich durch eigener Hände Arbeit zu ernähren.
In Berlin hatten sie zunächst am Brandenburger Tor demonstriert und schließlich hier auf dem Oranienplatz ein Zeltlager aufgeschlagen. Zwei Winter hatten sie hier verharrt und stets erklärt, sie würden erst wieder weichen, wenn diese Gesetze gefallen seien.
Silke hatte damals zwischen allen Stühlen gesessen, berichtete sie. Einerseits war sie immer davon überzeugt gewesen, dass die Flüchtlinge völlig recht damit hatten, diese Forderungen zu erheben, andererseits konnte sie als Lokalpolitikerin nichts, aber auch gar nichts dafür tun, diese Forderungen zu erfüllen. Im Gegenteil: Gerade, weil ihre Haltung sehr deutlich war, agierte der Innensenator bei jeder Gelegenheit gegen sie. Umgekehrt differenzierten die Flüchtlinge nicht besonders. Für sie war die Bürgermeisterin eine mächtige Frau, so mächtig, dass es ihr doch ein Leichtes sein musste, die Gesetze zu ändern. Warum tat sie es dann nicht?
Viele Flüchtlinge waren im ersten Winter in einer leerstehenden Schule untergebracht worden. Doch auf den Oranienplatz rückten andere nach. Die sanitären Verhältnisse wurden zum Problem, die Gewalt stieg deutlich an, und