Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar
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»Das sind Freunde von mir.«
4. Kapitel
Der Gewalttätige geht herum und wählt sein Opfer.
Silke führte sie am Lausitzer Platz in ein nordafrikanisches Restaurant. Souliman schien nicht so recht zu wissen, wie er mit der Situation umgehen sollte. Ganz offensichtlich drohte ihm keine Gefahr, aber so ganz geheuer war ihm die Situation anscheinend auch nicht.
Als sie sich an einen Tisch ganz am Ende des Restaurants gesetzt hatten, forderte ihn Mansur auf, seine Geschichte zu erzählen. Zur allgemeinen Überraschung erzählte er die in ganz passablem Deutsch.
Ich komme aus einem kleinen Fischerdorf aus der Region Thiès. Mein Vater, mein Großvater, alle Männer in unserer Familie waren Fischer. Eigentlich hatte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich eines Tages etwas anderes als Fischer werden sollte. Aber meine Mutter konnte sich das sehr gut vorstellen. Ich hatte Glück, denn in unserem Dorf gab es eine Schule. Ein Drittel der Kinder im Senegal gehen nicht zur Schule – weil es keine gibt. Mir machte die Schule Spaß. Ich war ein guter Schüler. Meine Mutter war sehr stolz auf mich. Mein Vater machte dagegen immer ein missmutiges Gesicht, wenn ihm meine Mutter von meinen Erfolgen in der Schule erzählte. Er hat damals wohl schon geahnt, dass sie einen Plan mit mir hatte.
Spätestens nach der Grundschule hätte ich mit Vater und seinen Brüdern hinaus zum Fischen fahren sollen. Der Fisch wurde dann von meiner Mutter und ihren Schwägerinnen auf den Märkten bei uns oder in den Nachbardörfern verkauft. Was übrig blieb, wurde geräuchert und ebenfalls zum Kauf angeboten. Der Fischfang hat unsere Familie nicht reich gemacht, aber uns ging es nicht schlecht. Wir hatten ein geräumiges Haus, jeden Tag genug zu essen. Und wir hatten genug Geld, damit ich auf die weiterführende Schule nach Dakar gehen konnte. Es war eine lange und oft lautstarke Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern. Schließlich setzte sich meine Mutter durch.
Dakar war für mich eine aufregende und spannende Stadt. Vieles war für mich neu und verlockend. Doch trotz allem: Ich ließ mich nicht ablenken, sondern versuchte, einen möglichst guten Abschluss zu machen. Es war klar, ich sollte auf die Universität. Meine Mutter hatte meinen Vater am Ende mit einem Argument überzeugt: ›Wenn Souliman auf die Universität geht, wird er danach einen guten Job finden und nicht nur dich und mich, sondern unsere ganze Familie ernähren können.‹ Dann diskutierten sie darüber, was ich denn studieren solle. Meine Mutter wollte, dass ich Arzt werde. Mein Vater wollte, dass ich Ingenieur werde. Diesmal setzte sich mein Vater durch. Sein Argument: ›Wenn Souliman Ingenieur wird, dann kann er auch jederzeit den Motor von unserem Fischerboot reparieren. Das spart viel Geld und wir können viel schneller wieder auf Fischfang gehen.‹ Mir war das recht, denn ich habe schon früher immer gerne Dinge repariert und zusammengebaut. Medizin hätte ich nicht so gerne studiert.
Schon während meiner Schulzeit begann es, dass die Fänge immer kleiner wurden. Vor der Küste des Senegals kreuzten große Fangschiffe aus Südkorea und Japan. Die hatten es vor allem auf Goldmakrelen abgesehen. Nach ein paar Jahren konnten wir nur noch wenig Räucherfisch verkaufen, weil der frische Fang kaum für den Marktverkauf ausreichte. Zunächst machten sich Vater und seine Brüder nur wenig Gedanken darüber. Es war schon immer so gewesen, dass es Tage mit einem guten und Tage mit einem schlechten Fang gab. Genauso hatte es gute oder schlechte Jahre gegeben – so wie es auch auf dem Land gute oder schlechte Ernten gibt. Doch auf ein schlechtes Jahr folgte ein noch schlechteres und dann ein noch schlechteres. Dann wurde es wieder ein wenig besser, und die Fischer im Dorf begannen schon wieder zu hoffen, dass der Fisch zurückkommt. Doch es ging weiter bergab.
Ich selbst habe davon gar nichts mitbekommen, weil ich voll mit meinem Studium des Maschinenbaus beschäftigt war. Eines Tages jedoch bekam ich einen Anruf, dass ich sofort in mein Dorf kommen solle. Ich befürchtete schon Schlimmes, glaubte, mein Vater habe Schiffbruch erlitten oder meine Mutter sei sehr krank.
Als ich ankam, wartete schon die ganze Familie in der großen Küche auf mich. Und wenn ich sage, die ganze, dann meine ich auch die ganze – nicht so, wie bei euch Europäern, die Eltern und zwei Kinder, nein. Da warteten alle meine neun Onkels und deren Frauen, außerdem noch meine sechs kleineren Geschwister. Was hatte das nur zu bedeuten?
Mein Vater sah mich ernst an und sagte dann: ›Souliman, du kannst nicht mehr in Dakar weiterstudieren. Wir haben bald kein Geld mehr. Die großen Schiffe da draußen fischen das Meer leer. Wir haben kaum noch etwas, was wir verkaufen können, und wenn wir nichts verkaufen, dann haben wir kein Geld mehr, um dein Studium zu finanzieren. Deswegen haben wir lange beraten, was wir tun können. Du bist auf der Universität, das heißt, du bist der Klügste. Deshalb haben wir unser letztes Geld gesammelt. Damit sollst du nach Europa reisen. Ich habe gehört, dass man in Deutschland sogar Geld dafür bekommt, wenn man zur Universität geht. Zumindest hat mir das ein Mann erzählt, der vor einigen Wochen in unser Dorf kam. Er hat versprochen, uns zu helfen. Du musst also nach Deutschland gehen und versuchen, dein Studium dort fortzusetzen, damit du unsere Familie ernähren kannst. Von dir hängt jetzt alles ab. Wenn es dir nicht gelingt, weiß ich nicht, wie wir in Zukunft noch leben können.‹
Ich konnte mich dem nicht widersetzen. Es war mir klar, dass meine Familie mich brauchte. Außerdem war ich sicher, dass ich erfolgreich sein würde. Schließlich war ich ein guter Schüler gewesen und nun ein guter Student. Wenn sie in Deutschland den Studenten sogar Geld für das Studium zahlen würden, dann könnte ich sicher bald viel, viel Geld nach Hause schicken. Es schien mir völlig logisch, dass gute Studenten auch viel Geld bekommen würden. Aber dann kam alles ganz anders.
Tags darauf lernte ich den Mann kennen, der meinem Vater versprochen hatte, uns zu helfen. Wir trafen uns in einem kleinen Café in der Nähe des Strandes. Ich war überrascht. Der Mann war ein Pakistani. Das machte mich misstrauisch. Woher sollte ein Mann aus Pakistan wissen, dass man für ein Studium in Deutschland Geld bekam? Aber Geld wollte vor allem er. Er stellte sich als Rashid vor und begann sofort, in den höchsten Tönen von Deutschland zu schwärmen. Ich unterbrach ihn und fragte, ob es nicht sinnvoller wäre, nach Frankreich zu gehen. Schließlich würde ich ja die Sprache sprechen. Ich könne kein einziges Wort Deutsch und in Frankreich gäbe es schließlich auch Universitäten. Er verzog angewidert sein Gesicht. Frankreich sei das Allerletzte und die Franzosen seien sowieso Rassisten. Deutschland sei großartig und da käme der Staat für alles auf. Außerdem, so meinte er, habe er einen Cousin in Hamburg, der sich um mich kümmern werde, und ich solle mir keine Sorgen machen. Dann ging es ums Geld. 8 000 US-Dollar wollte er haben. Mir verschlug es die Sprache. Doch mein Vater ließ sich gar nichts anmerken. Rashid rechnete vor, dass diese 8 000 Dollar gerade mal seine Unkosten ersetzten. ›Die Fahrt nach Dakar ist das wenigste, dann mit dem Buschtaxi an die Grenze nach Mali, das kostet dann schon ein wenig mehr. Der Zug kostet Geld, die Reise in den Niger und dann der Weg durch die Sahara. Alleine dafür will der Fahrer 2 000 Dollar. Dann für die Überfahrt nach Italien mindestens noch mal so viel. Und die Tickets erst in Europa. Dann muss ich ja auch meine Mittelsleute und die Bestechungsgelder bezahlen. Und glaubt ihr denn, in Deutschland bekommt man den Stempel für das Studiengeld umsonst und einfach so? Nein, nein, auch da muss man die Rädchen schön schmieren.‹
Das leuchtete mir ein, denn wie sollte ein Land ohne Bestechung funktionieren? Da würde doch alles zusammenbrechen. So wie er sprach, kam mir das alles ganz logisch vor. Trotzdem blieb ein Rest Misstrauen.
Mein Vater hatte mit stoischem Blick zugehört. Mit einer großen Geste griff er in die Innentasche seiner Jacke und zog ein dickes Bündel Dollarscheine heraus. Ruhig zählte er die Scheine herunter. Als er bei 4 000 Dollar war, fiel ihm Rashid in den Arm. ›Halt! Du gibst mir 4 000, den Rest bekommt dein Sohn. Er soll mir die anderen 4 000 erst in Bamako geben. Bis dahin kann ich ihn begleiten und bis dahin wird er auch bemerkt haben, dass ich es ehrlich mit ihm meine.‹
Das schien mir ein fairer Handel zu sein