Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen. Lothar Becker
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Читать онлайн книгу Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen - Lothar Becker страница 7
»Nein.« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Was denn?«
»Ich muss eine Bombe in einer der Machtzentralen der herrschenden Klasse zünden, das ist alles«, sagte Großvater.
»Was?«, rief die junge Frau.
»Eine Bombe«, sagte Großvater.
»Halten Sie das für eine gute Idee, davon gleich dem ersten Besten, dem Sie begegnen, zu erzählen?«, fragte die junge Frau.
»Das kann ruhig jeder wissen!«, sagte Großvater.
»Glauben Sie wirklich?«, fragte die junge Frau.
»Absolut«, sagte Großvater.
»Na, wenn Sie denken«, sagte die junge Frau. »Aber erst müssen wir Ihre Sachen trocknen. Sie sehen vielleicht aus!«
»Ach, das wird schon«, sagte Großvater.
»Das wird überhaupt nicht«, sagte die junge Frau und machte ihre Augen noch größer, als sie ohnehin schon waren.
»Na schön«, sagte Großvater, hauptsächlich wegen ihrer Augen. Und dann nahm er wieder ihre Hand und ging mit ihr die Straße an den großen Wohnhäusern entlang hinein in die Stadt.
Die Straße bestand aus grauen, runden Pflastersteinen, und lange, dunkle Frühlingsschatten lagen vor den Mauern. Großvater spürte, wie die Kälte an ihm hochzukriechen begann, aber er ließ es sich nicht anmerken. Genauso, wie er es nicht zeigte, dass es ihm unangenehm war, wenn sich die Leute nach ihm umdrehten, weil er einen nassen, zerknitterten Anzug trug. Es half ja nichts. Nachdem sie ein Stück gelaufen waren, veränderte sich das Stadtbild. Die Häuser wurden kleiner und kaputter, und überall auf den Wegen, Zäunen und Dächern saßen Scharen von Tauben. Man hatte ihretwegen spitze Nägel auf den Dächern angebracht, aber die Tauben hockten zwischen ihnen und hoben und senkten ihre Köpfe auf der Suche nach Futter.
»Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte Großvater die junge Frau. Wenn er mit ihr reden wollte, war es einfacher, ihren Namen zu kennen.
»Else«, sagte sie.
»Und ich heiße Bruno«, sagte Großvater, und dann sagte er: »Wollen wir vielleicht du zueinander sagen?«
»Ja, klar, warum nicht?«, sagte Else.
Ein Mann kam vorbei. Er hinkte, und auf der rechten Seite, dort, wo sein Bein kürzer war, bog er seinen Kopf seitlich nach unten. Als er Großvater in seinen nassen, schmutzigen Kleidern sah, hob er den Kopf und schüttelte ihn mehrmals hin und her. Aber Großvater bemerkte ihn nicht. Weil er nur Augen für Else hatte.
»Bruno«, sagte Else nach einer Weile, »hier gibt es keine Machtzentrale!«
»Muss es aber«, sagte Großvater.
»Ich wüsste nicht wo«, sagte Else.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Großvater.
»Das Beste wird sein, du wirfst die Bombe weg, hörst du?«, sagte Else.
»Das fehlte noch!«, sagte Großvater. »Die Bombe wegwerfen! Also wirklich!«
Else strich mit ihrer Hand langsam an Großvaters nassem Unterarm entlang. Er war wirklich ungeheuer nass.
»Weshalb ist es denn überhaupt nötig, die Bombe zu zünden?«, fragte sie.
»Um die Welt gerechter zu machen«, sagte Großvater, und er sagte es so ernst und bestimmt, dass Else ganz beeindruckt war.
»Hm«, sagte sie, obwohl es eigentlich Großvaters Art war, immer »hm« zu sagen.
»Es ist doch für eine gute Sache«, versuchte Großvater zu erklären.
»Eine Bombe bleibt eine Bombe«, sagte Else.
»Ich weiß«, sagte Großvater. »Ein Verbot von Dummheit wäre mir viel lieber gewesen, das kannst du mir glauben!«
»Ein Verbot von Dummheit?«, wunderte sich Else. »Das gefällt mir auch viel besser. Ja, aber wie soll man das machen?«
»Eben«, sagte Großvater.
Auch das Dach des Hauses, in dem Else wohnte, war voller Nägel, und auch hier hockten die Tauben zwischen ihnen, und sie flogen selbst dann nicht weg, als Else die Tür öffnete und hinter sich und Großvater wieder ins Schloss fallen ließ.
»Warte hier«, sagte sie und ging in das Zimmer nebenan.
Großvater blieb an der Tür stehen und schaute sich um. Elses Wohnung war klein und ein wenig dunkel, und wenn man aus dem Fenster sah, blickte man auf einen Hof hinter dem Haus, in dessen Mitte sich eine Art Garten befand, auf den nie ein Sonnenstrahl fiel, es sei denn, es war Mittag und die Sonne stand genau im Zenit. Es dauerte nicht lange, bis Else zurückkam und Großvater ein Handtuch und ein paar Kleidungsstücke gab.
»Zieh das an«, sagte sie. »Es gehört meinem Vater.«
Elses Vater musste eine seltsame Gestalt besitzen. Die Hosen waren Großvater viel zu kurz und das Hemd viel zu lang und zu breit, aber es war sauber und trocken, und Großvater wäre es nie eingefallen, sich damit nicht zufriedenzugeben.
Else lachte, als sie Großvater sah, aber dann strich sie sich zwei Mal mit der Hand über ihr kurzes Haar und sagte: »Chic siehst du aus!«
»Na ja«, sagte Großvater.
Später gingen sie noch einmal zurück in die Stadt. Es wurde Abend und der Frühling verschwand für eine Nacht, aber dort, wo der Bach durch die Stadt floss, stand eine Frau in der Dämmerung und fütterte ein paar Schwäne. Auf der anderen Seite des Baches befand sich ein Haus mit einer großen Eingangstür und einer breiten Treppe davor, und die Fenster darüber reichten vom Dach bis zum Erdgeschoss und bestanden aus buntem Glas.
»Was ist das da für ein Gebäude?«, fragte Großvater.
»Das Rathaus«, antwortete Else.
»Ein Rathaus ist eine Machtzentrale«, bestimmte Großvater.
»Unsinn«, sagte Else.
»Was denn sonst?«, fragte Großvater.
»Ein Verwaltungsgebäude«, sagte Else, »für den Bürgermeister und so.«
»Hat ein Bürgermeister etwa keine Macht?«, fragte Großvater.
»Der bestimmt nicht«, lachte Else. »Seine Machtzentrale heißt Margitta und ist mit ihm verheiratet!«
»Dann zünde ich die Bombe eben bei ihr«, sagte Großvater.
»Lieber nicht«, sagte Else, »das würde böse enden.«
Sie ging ein paar Schritte zum Wasser hin, und die Schwäne