Neues vom Tatort Tegel. Ingrid Noll
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So geschah es dann auch, und Uwe Madel befragte mich nach meinem körperlichen Zustand und meinen neuesten Romanen, bis Lexa Krojanke und Jannek Schloppe mit ihrem Dialog begannen.
Schloppe (hält mit dem Entkleiden inne): »Woher, Lexa, soll ich wissen, dass das alles echt bei dir ist – und du mir nicht nur zeigen willst, was für eine tolle Schauspielerin du bist?«
Lexa: »Das Gleiche gilt für dich, lieber Jannek. Dazu kommt, dass du auch noch selber Drehbücher schreiben willst. Und woher soll ich wissen, dass du die ganze Show mit mir nicht nur abziehst, um eine schöne Szene zu haben?«
Alles lief nun nach Plan, keiner hatte einen Hänger oder versprach sich, bis Fabio Sullenschin von hinten auf die Bühne gestürzt kam, wo ein schwarzer Vorhang eine Treppe zur Galerie verbarg.
Sofort schrie er entrüstet: »Jetzt habe ich euch Schweine endlich einmal in flagranti ertappt! Das sollt ihr mir beide büßen!«
Wie x-mal geprobt, riss er nun sein Messer hervor, um es Jannek Schloppe in die Brust zu jagen. Doch …
Ich kann minutenlang nicht weiterschreiben, weil der Anblick zu schrecklich war, der sich mir, der ich dicht daneben stand, nun darbot.
Eine echte Klinge war dem armen Schloppe direkt ins Herz gefahren, und das Blut schoss in einer Fontäne heraus. Lexa schrie fürchterlich, während Sullenschin und ich dastanden, als hätte ein Regisseur »Freeze!« gerufen.
Im Publikum klatschte man zuerst, weil man an eine schauspielerische Glanzleistung aller Akteure glaubte, dann merkten die in den ersten Reihen, dass hier wirklich ein Mensch erstochen worden war.
Ich schrie nun: »Einen Notarzt! Die Polizei!«, während andere schon ihr Handy herausgerissen hatten und 112 wählten.
Mehrere anwesende Journalisten riefen ihre Redaktionen an. Die Schlagzeile: Tegeler Kriminacht – echter Mord auf offener Bühne.
*
Den Mordfall Schloppe wurde einem Kommissar übertragen, der zwar noch jung an Jahren war, aber einer alteingesessenen Berliner Familie entstammte, die schon viele Kriminalbeamte hervorgebracht hatte: Peer Kappe. Seine Kollegin Mia Maximilian hatte dagegen in ihrem Stammbaum nur Arbeiter aus dem Lausitzer Braunkohletagebau und Verkäuferinnen von HO und Edeka aufzubieten.
Am Montagvormittag kam Peer Kappe bei der allgemeinen Lagebesprechung schnell zum Kern des Ganzen.
»Irgendwer hat, aus welchen Motiven auch immer, das Theatermesser der Truppe um Horst Bosetzky gegen ein echtes Messer ausgetauscht. Zu eurer Information: Ein Theatermesser hat einen massiven Holzgriff und eine stumpfe Klinge aus Metall, welche im Griff verschwindet und mittels einer Feder wieder aus dem Griff herausgedrückt wird. Es sieht einem Dolch sehr ähnlich – und gegen einen echten Dolch ist es auch ausgetauscht worden. Der Schauspieler Fabio Sullenschin, der den tödlichen Stich ausgeführt hat, Horst Bosetzky, der Stückeschreiber und Regisseur, und alle anderen geben an, nichts vom Austausch der Messer bemerkt zu haben. Im Halbdunkel des Raums hinter der Bühne kann vieles geschehen sein.«
»Jeder der über dreihundert Besucher der Kriminacht könnte es also gewesen sein?«, kam eine Frage aus den hinteren Reihen. »Habt ihr denn die Personalien aller Anwesenden feststellen können?«
»Nein, der Ruf ›Niemand verlässt den Saal!‹ kam erst, als viele die Humboldt-Bibliothek bereits in Panik verlassen hatten.«
»Na, wunderbar!«
»Dann müsst ihr, Kollegin Maximilian, Kollege Kappe, alles routinemäßig angehen, alle abklopfen, die Schloppe persönlich gekannt haben und ein Motiv gehabt haben könnten. Und hört euch um, ob unter den Besuchern oder den Schauspielern ein Psychopath gewesen sein könnte!«
Zurück in ihrem Büro, überlegten sich Peer Kappe, Mia Maximilian und die Kolleginnen und Kollegen ihrer Mordkommission ihre nächsten Schritte und notierten sie mit einem blauen Filzer an ihre Tafel:
1. Alle Geschäfte abklappern und im Internet nachforschen, wo es Messer gibt, die einem Theatermesser täuschend ähnlich sehen. Herausfinden, ob jemand eines gekauft hat, der bei der Kriminacht war.
2. Nach dem verschwundenen Theatermesser suchen.
3. Mit Bosetzky sprechen.
4. Mit Lexa Krojanke sprechen.
5. Mit Fabio Sullenschin sprechen.
6. Die Namensliste der Kartenvorbestellungen für die Kriminacht auf verdächtige Personen prüfen.
»Die drei Gespräche übernehmen Mia und ich«, entschied Peer Kappe und fixierte sein restliches Team. »Nach dem Käufer des Messers zu suchen und das Abchecken der Besucher ist euer Bier. Viel Spaß und Erfolg dabei!«
Zuerst fuhren sie zu Bosetzky, der in der Nähe des Bundesplatzes wohnte, was vom Dienstgebäude in der Keithstraße (Landeskriminalamt Berlin, LKA 1, Delikte am Menschen) nur einen Katzensprung entfernt war.
»Meine Oma kennt ihn von seinen Familienromanen her«, sagte Mia Maximilian. »Ich selbst aber habe von ihm noch nichts gelesen. Kein real existierender Kriminalbeamter ist ja so bekloppt, Kriminalromane zu lesen.«
Peer Kappe lachte. »Ich habe in der Reihe ›Es geschah in Berlin‹ alles von ihm gelesen, da setzt er nämlich zwei meiner Ahnen, Hermann und Otto Kappe, ein Denkmal.«
»Wenn das so ist, dann müsste man dich wegen Befangenheit von dem Gespräch mit ihm ausschließen, denn auch er könnte ja der Täter sein.«
»Bitte, Mia, da geht wohl deine Fantasie etwas mit dir durch!«
»Wieso denn das? Seine große Zeit ist vorbei. Keiner spricht mehr von ihm. Ich habe bei den Zwischenbuchhändlern, den sogenannten Barsortimenten, angerufen: Seine Auflagenhöhen befinden sich im steilen Sinkflug. Ich habe mich bei seiner Bank erkundigt: Er ist hoch verschuldet. Und nun? Wegen der Geschehnisse bei der Reinickendorfer Kriminacht schreiben alle Zeitungen etwas über ihn, ist er auf allen Sendern zu hören und sitzt in allen Talkshows. Seine PR-Werte schnellen in die Höhe, plötzlich ist er wieder wer, man kauft seine Bücher, er kann seine Schulden abzahlen.«
Peer Kappe musste zugeben, dass das alles sehr überzeugend klang, zumal er beim Betreten der Bosetzky’schen Wohnung im Stillen dachte, dass mancher Hartz-IV-Empfänger luxuriöser eingerichtet war.
Bosetzky grinste, als sie in seinem Arbeitszimmer Platz genommen hatten. »Ich weiß, was Sie denken, aber meine Wohnung ist im Stil von Heinrich Zille eingerichtet, sehr verkramt und wenig bourgeois. Ich bin nun mal ein alter Linker von der FU. Auch mein Motiv, das Theatermesser ausgetauscht zu haben, wird Ihnen einleuchten: Ich bin in den Medien, also bin ich. Der Mann, der sich am Schreibtisch mindestens fünfzig Morde ausgedacht hat, ist nun selbst ein Mörder geworden. Das ist schwer zu toppen.« Er sah Mia Maximilian und Peer Kappe nacheinander an. »Und was hat die Kriminalpolizei nun zu meiner Verteidigung hervorzubringen?«
Peer Kappe ging auf das Spielchen ein. »Erstens, dass es noch eine