Neues vom Tatort Tegel. Ingrid Noll

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Neues vom Tatort Tegel - Ingrid Noll

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bis an dein Lebensende einsperren. Und auch das ohne Aber.

      HORST BOSETZKY

      Das Theatermesser

      Es war ein guter alter Brauch, mich für die Reinickendorfer Kriminacht ein kleines Theaterstück schreiben zu lassen – besser einen Krimi-Sketch von maximal 25 Minuten Länge – und es mit befreundeten Schauspielerinnen und Schauspielern einzuüben und auf die Bühne zu bringen. Dies vor allem, um der Ermüdung der bis zu 750 Gäste vorzubeugen, die zu befürchten war, wenn fünf Kolleginnen und Kollegen nacheinander, nur ab und an von einer Band und einem Moderator unterbrochen, ihre Texte vorlasen. »Horst, du machst dich dadurch nur zum Horst!«, hörte ich manche warnende Stimme, da ich auch immer selbst mitspielen wollte. Aber an die zwanzig Jahre habe ich die Sache durchgezogen. Bis dann … Aber der Reihe nach.

      Alles redete immer von »Crime and Sex«, und da Letzterer bei der Reinickendorfer Kriminacht stets zu kurz gekommen war, hatte ich mir für dieses Jahr etwas ganz Besonderes ausgedacht. Mein Stück sollte mit einer Szene im Bett beginnen, wobei aber die weibliche Hauptfigur nicht von ihrem Gatten begattet wurde, sondern von ihrem Lover. Die Dame hatte, das muss hier angemerkt werden, damit keine Verwirrung entsteht, ihren Mädchennamen nach der Eheschließung behalten.

      Ein Bett auf der schmalen Bühne der Humboldt-Bibliothek – war das machbar? Und woher bekamen wir ein Bett? Ich schickte eine E-Mail an den Mann, der seit Jahrzehnten alles immer so trefflich managt, und einen Tag später rief Helge Schätzel mich an: »Klar, als Sie zweimal einen Sarg gebraucht haben, ging das ja auch. Ebenso wie mit einer Schaufensterpuppe als Requisit. Die hat damals C&A spendiert, und vielleicht findet sich diesmal auch eine Firma, die uns hilft.« Wenig später war die Sache geklärt, und ich konnte mich ans Schreiben meines Stücks »Auf offener Bühne« machen.

       Jannek Schloppe und Lexa Krojanke liegen auf dem Bett, beginnen mit dem Vorspiel und reißen sich bis auf die Unterwäsche alle Kleidung vom Leib. Lexa stöhnt filmreif.

       Schloppe hält mit dem Entkleiden inne: »Woher, Lexa, soll ich wissen, dass das alles echt bei dir ist – und du mir nicht nur zeigen willst, was für eine tolle Schauspielerin du bist?«

       Lexa: »Das Gleiche gilt für dich, lieber Jannek. Dazu kommt, dass du auch noch selber Drehbücher schreiben willst. Und woher soll ich wissen, dass du die ganze Show mit mir nicht nur abziehst, um eine schöne Szene zu haben?«

       Schloppe (richtig theatralisch): »Deine Liebe ist mir wie der Morgen- und der Abendstern. Deine Gegenwart hat auf mein Herz eine wunderbare Wirkung, ich kann nicht sagen, wie mir ist!«

       Lexa (lacht abwertend): »Das ist nicht einmal echt, das ist aus Goethes Briefen an die Frau von Stein!«

       Schloppe (in Ekstase): »Ich will dir gleich mal zeigen, was an mir echt ist.« (Wirft sich auf sie)

       In diesem Augenblick erscheint Fabio Sullenschin auf der Bühne. Sullenschin: »Jetzt habe ich euch Schweine endlich einmal in flagranti ertappt! Das sollt ihr mir beide büßen!« (Reißt ein dolchähnliches Messer aus der Tasche, ein »Theatermesser«)

       Schloppe (springt auf): »Fabio, verschone sie – nimm mich!«

       Während Lexa schrecklich schreit, sticht Sullenschin Schloppe nieder und will fliehen. Ich schnelle aber vom Autorentisch hoch, springe auf die Bühne und stelle mich Schloppe in den Weg.

       Ich: »Halt! Sie laufen mir nicht feige davon, sondern bekennen sich zu Ihrer Tat und stellen sich der Polizei!«

       Schloppe (packt mich und setzt mir sein Messer an die Kehle): »Mit Ihnen als Geisel muss ich überhaupt nichts.«

      Das war der erste Teil meines Stücks, und nun kommt noch ein Psychologe ins Spiel, bis mich Lexa rettet. Nach rund zwanzig Minuten ist dann alles vorüber.

      Wir zogen zweimal am frühen Abend ins Theaterhaus Mitte in der Wallstraße 32, um dort in einem preiswert zu mietenden Raum zu proben. Ich musste mich auch als Regisseur versuchen, was mir aber schwerfallen sollte, da ich zu gerne nach der Devise »Dann macht mal, Kinder!« verfahre. Schließlich aber waren wir alle der Ansicht, den Besuchern der Kriminacht etwas durchaus Vorzeigbares bieten zu können.

      Um aber ganz auf der sicheren Seite zu sein, trafen wir uns noch drei Stunden vor Beginn der Veranstaltung, der üblicherweise auf 19.30 Uhr angesetzt war, in der Humboldt-Bibliothek, um auf der richtigen Bühne zu proben. Das musste sein, denn die war mit ihren knappen Abmessungen doch etwas ganz anderes als das leer geräumte ehemalige Klassenzimmer im Theaterhaus Mitte. Außerdem bekamen wir vom auch schon vorab nach Tegel geeilten Tonmeister unsere kabellosen Headset-Mikrofone angepasst. Alles verlief zu unserer vollsten Zufriedenheit, und wir konnten, bevor alles losging, noch hinüber in die Fußgängerzone Alt-Tegel gehen, um Kaffee zu trinken und uns mit einem Stück Käsekuchen zu stärken. Meine Schauspieler waren auch privat befreundet beziehungsweise gehörten denselben Netzwerken an, sodass die Stimmung glänzend war. So schien es mir jedenfalls.

      Gegen 19 Uhr schlenderten wir zur Humboldt-Bibliothek zurück. Ich zeigte meinen Leuten die mittlerweile bebaute Insel im Tegeler Hafen. »Da hat die Reinickendorfer Kriminacht in den ersten Jahren immer stattgefunden, im Sommer natürlich. Das war herrlich, und da sind wir auch auf die Rekordzahl von 750 Besuchern gekommen. Als es dann aber einmal kräftig gewittert hat und wir in die Humboldt-Bibliothek umziehen mussten, hat das so viel Mehrkosten verursacht, dass man beschlossen hat, gleich ins Trockene zu gehen – das aber nicht im Sommer, sondern im November.«

      Am Eingang hatte sich schon eine kleine Schlange gebildet, und brav stellten wir uns an, obwohl wir ja zu den Akteuren des Abends gehörten. Dann war ich an der Reihe, nannte meinen Namen und wurde mit meinem Ensemble zusammen durchgewunken. Kurz nachdem wir eingetreten waren, begrüßte uns Helge Schätzel und hieß uns willkommen. Ich hatte noch etliche Hände zu schütteln, so die meines verehrten Verlegers Dr. Norbert Jaron. Wir gingen nun an Büchertisch und Catering-Büfett vorbei durch die Halle in Richtung des langen Tisches, der links neben der Bühne stand und an dem die Kolleginnen und Kollegen Platz nehmen konnten, die an diesem Abend lesen sollten beziehungsweise den »Krimifuchs« in Empfang nehmen durften, den Preis für den besten Kriminalroman mit Berlin-Bezug, der im letzten Jahr erschienen war, für ein Drehbuch für einen TV-Krimi oder einen Auftritt als Kriminalkommissar oder -kommissarin. Da für meine Schauspieltruppe an diesem Tisch nicht genügend Platz war, zog man sich in den weiten, mit Buchregalen bestückten und jetzt abgedunkelten Raum hinter der Bühne zurück. Dies auch, um sich zu sammeln und den Text noch einmal durchzugehen.

      Pünktlich um 19.30 Uhr, als auch der letzte der 350 Stühle besetzt war, begann das kleine Swing-Orchester zu spielen, und es kam Stimmung auf. Wir waren mit meinem Sketch als krönender Abschluss der ersten Halbzeit eingeplant, sollten also erst nach drei kurzen Lesungen auf die Bühne kommen. Nachdem sie zwei Stücke gespielt hatten, räumten die Musiker die Bühne, und der Moderator, Uwe Madel vom rbb, erschien auf ihr, ein Mikrofon in der Hand, um alle zu begrüßen. Er tat das so professionell, aber gleichzeitig so herzerfrischend, dass das der ganzen Veranstaltung viele Pluspunkte einbrachte. Dann stellte er den Kollegen A vor, und der las und las. Es folgte die Kollegin B, und die las und las. Beide hatten keine Kurzgeschichten mitgebracht, sondern trugen verschiedene Passagen aus ihren neuesten Romanen vor, was immer wieder langatmige Erklärungen notwendig machte. Dann kam der Kollege C, und auch der las und las. Ich hatte mich inzwischen zu meiner Schauspieltruppe gesellt, und wir konnten es alle vor Ungeduld kaum noch aushalten. Als C am Ende war, wurde noch einmal musiziert, dann endlich wurden wir auf die Bühne gerufen.

      »Und

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