»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig

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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig

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Hitler-Kult, Gewalt gegen Juden und Hakenkreuzschmierereien gab es schon immer in der DDR. Am besten konnte man die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen auf dem Fußballplatz wahrnehmen, und Angriffe auf Arbeiter aus Asien und Afrika gab es damals doch auch schon. Nicht ohne Grund entstanden eine Fülle an extremen Organisationen, wie die »Lichtenberger Front«, die »NS-Kradstaffel Friedrichshaine«, oder die »Wotanbrüder«. Nicht zu vergessen die »Weimarer Heimatfront« oder die »SS-Division Walter Krüger«. Viele Kollegen im MfS waren damals Mitglieder in einer dieser Organisationen. Als sich dann die Wende vollzog, war es doch nicht verwunderlich, dass viele junge Glatzköpfe sagten, sie seien »nicht angepasst«.

      Er erschrak und zuckte zusammen. Sein Mobiltelefon vibrierte in seiner Manteltasche. Nervös kramte er es hervor und wischte mit dem rechten Zeigefinger über das grüne Telefonsymbol. »Ja?«

      »Oh, Entschuldigung, verwählt.«

      *

      Als Bernd Auerbach das Nürnberger Bahnhofgebäude zu Fuß erreichte, hatte er ein viel dringenderes menschliches Bedürfnis, als sofort eine öffentliche Telefonzelle aufzusuchen. Er hetzte die Rolltreppe zum ersten Stockwerk hoch und steckte siebzig Euro-Cent in die Ticket-Maschine der öffentlichen Toilettenanlage. Die Schranke gab den Weg frei. Der ohrenbetäubende Knall der beiden Explosionen dröhnte noch immer in seinen Ohren. Er war in Hochstimmung und ließ den Strahl kräftig in das Pissoir plätschern. Erleichtert nahm er daraufhin wieder den Weg nach unten in die Bahnhofshalle und fand auf Anhieb eine freie Telefonzelle. Er wählte die Nummer eines Mobiltelefons, wartete, bis er ein nervös fragendes »Ja?« vernahm, sprach die drei Worte »Oh, Entschuldigung, verwählt« in die Sprechmuschel und legte wieder auf. Dann begab er sich eilig zum Bahnsteig Nummer zwei und stieg in den bereits wartenden Thüringen-Regionalexpress. Von den Straßen vor dem Bahnhof dröhnte das Geheule von Martinshörnern in einem wilden Durcheinander bis in das Innere des Zuges. »Was na da draußen wieder passiert is?«, rätselte die Frau, die ihm gegenüber saß. »Gott sei Dank hock ich scho im Zug.«

      »Bestimmt ein Unfall«, mutmaßte der Ostdeutsche freundlich. Fast hätte er das lang anhaltende Pfeifen auf dem Bahnsteig überhört. Kurz darauf nahmen die Stahlräder in den Fahrwerken der Wagons ächzend Bewegung auf. Die Traktionsmotoren liefen hoch und übertrugen ihr hohes Surren und Vibrieren in den Innenraum. Der Zug beschleunigte, zuerst langsam, dann immer schneller, und hatte nach kurzer Zeit den Nürnberger Hauptbahnhof in Richtung Bamberg verlassen.

      Noch immer strömte Adrenalin durch Bernd Auerbachs Adern. Er war innerlich aufgewühlt, wie noch nie in seinem Leben. Noch einmal liefen die letzten dreißig Minuten wie ein Film in seinem Kopf ab: Punkt neun Uhr eins hatte er aus sicherer Entfernung zum Konsulat den roten Knopf der Fernsteuerung gedrückt. Jeder Knall der beiden Explosionen, die Sekundenbruchteile später zu hören waren, war gewaltig. Eine enorme Druckwelle raste durch die Straßen. Im Laufen drehte er sich um und sah den Rauch, der am Ort des Geschehens aufstieg, und den Trümmerregen, der sich über den Dächern der umstehenden Gebäude ausbreitete, dort für Sekundenbruchteile in der Luft hängen zu blieben schien, um darauf die Regensburger Straße und die benachbarten Straßenzüge mit umherfliegenden Teilen regelrecht zu übersäen. Im Moment hatte er keine Ahnung, wie es am Ort der Detonationen aussah und welche Schäden diese angerichtet hatten. Waren Menschen auch betroffen? Und wenn schon. Er konnte es gar nicht abwarten, nach Hause zu kommen, um sich im Fernsehen die Bilder anzusehen. Ob über den Anschlag schon berichtet wurde? Er hatte seine Sache gut gemacht, das wusste er. Profihaft. Thomas Keller würde zufrieden sein. Fünfzehn Minuten später stieg er in Erlangen am Gleis drei aus dem Zug, um wiederum acht Minuten später auf dem Bahnhofvorplatz in den Bus der Linie 205 Erlangen - Höchstadt zu steigen. »Wie soeben mitgeteilt, haben sich in Nürnberg vor dem Türkischen Konsulat zwei schwere Explosionen ereignet. Wer oder was die Explosionen ausgelöst hat, ist derzeit noch unbekannt. Es geht das Gerücht, dass es sich um einen politisch motivierten Anschlag handelt.« Der Busfahrer stellte das Radio auf eine höhere Lautstärke. »Rettungskräfte befinden sich auf dem Weg zur Unglücksstätte. Ob auch Menschen zu Schaden gekommen sind, ist noch nicht bekannt. Wir berichten in Kürze live vom Ort des Geschehens.«

      »Tät mi net wundern, wenn des Neonazis gwesen wärn«, kommentierte der Busfahrer. Wie recht der Mann hatte. Bernd Auerbach war happy und freute sich schon auf den nächsten Auftrag. Er würde wieder sein Bestes geben. Gewissensbisse hatte er nicht. Ein Hoch auf die NEL.

       14

      Vor dem schwer beschädigten Gebäude in der Regensburger Straße 69 herrschte das blanke Chaos. Ein Ort der Verwüstung, des Entsetzens und des Todes. Der Ort des Terrors war durch Polizeikräfte zwischenzeitlich weiträumig abgesperrt worden. Neben den verheerenden Sachschäden waren zehn Tote, sechs zum Teil lebensgefährlich sowie zahlreiche leicht Verletzte zu beklagen. Genau in dem Moment, in dem Adem Gökhan mit einem Besucher des Konsulats aus dem Inneren des Gebäudes auf die Straße trat, explodierten die beiden Sprengsätze in einem gleißenden Inferno. Adem Gökhan und sein Begleiter hatten nicht den Hauch einer Chance. Von den vierzehn Münchner Touristen, die auf dem Weg zum in unmittelbarer Nähe liegenden Historischen Straßenbahndepot waren, wurden acht von den umherfliegenden Trümmern und Metallkugeln tödlich getroffen. Ihre Leiber waren nahezu zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Die anderen sechs Münchner, die von dem explodierenden Fahrzeug noch etwas weiter entfernt waren, wurden mit schwersten Verletzungen in die Chirurgische Universitätsklinik Erlangen eingeliefert. Nur äußerst glückliche Umstände führten dazu, dass es auf der Straße keine weiteren Toten gab. Ein bis auf den Fahrer leerer städtischer Nahverkehrsbus, der nicht auf Dienstfahrt war, stand zum Zeitpunkt der Explosion unmittelbar neben dem geparkten grünen VW Golf im Stau und diente rein zufällig als Schutzschild für die anderen Verkehrsteilnehmer, die in der Regensburger Straße unterwegs waren. Der Bus der VAG Nürnberg besaß nur noch Schrottwert. Der Fahrer erlitt Schnittverletzungen am Hals und an der rechten Schulter. Er stand noch immer unter Schock. Von dem VW, in dem die beiden Bomben lagen, war so gut wie nichts mehr übrig. Seine Karosserieaufbauten und sonstigen Bestandteile wurden durch die Wucht der Detonation in Stücke gerissen und schwirrten wie Schrapnellen in alle Himmelsrichtungen davon. Glasscherben und Metallteile fügten einigen Fußgängern selbst in weiterer Entfernung noch Schnittwunden im Gesicht und am Körper zu. Die Beifahrertür des VW Golfs wurde im Ganzen aus ihren Scharnieren gerissen und trennte Toni Hirnthaler in Sekundenbruchteilen den Kopf ab. Neben ihm starb Rudi Rohrmoser im gleichen Moment. Die Leichen von Adem Gökhan und seinem Begleiter lagen zwischenzeitlich unter Decken verhüllt vor der zerstörten Gebäudefassade. Ihre Körper wurden von den umherfliegenden Metallkugeln regelrecht durchsiebt. Die meisten der Münchner Rentner starben auf die gleiche Weise. Die Fensterscheiben des Türkischen Generalkonsulats sowie die der anschließenden Geschäftsgebäude existierten nicht mehr und lagen in Scherben verstreut auf dem Gehweg der Straße beziehungsweise in den verwüsteten Räumen der Gebäude. Von den beiden riesigen Werbetafeln rechter Hand des Konsulats ragten nur noch die zersplitterten Holzstümpfe ihrer Trägerkonstruktion aus der verwüsteten Erde. Die Werbetafeln selbst waren, von Metallkugeln durchlöchert, durch die Luft geschleudert worden. Eine schlug auf dem Dach des VAG-Busses ein, die andere flog gegen die Außenfassade des Konsulats und donnerte von dort mit einem gewaltigen Getöse auf den straßenseitigen Eingangsbereich des Gebäudes. Fast wäre der zerfetzte Körper von Adem Gökhan ein weiteres Mal durchbohrt worden.

      Eine Stunde war seit der Explosion vergangen. Die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und der Notärzte rotierten am Einsatzort und ständig kamen neue Rettungsfahrzeuge hinzu. Leichentransportwagen hatten sich an den Rand des Geschehens herangeschlichen und lauerten wie Hyänen nur darauf, dass sie die verstümmelten Reste der Opfer endlich abtransportieren durften. Durch die weiträumige Sperrung des Tatorts staute sich der Individualverkehr bis weit in die Innenstadt. Menschentrauben von Neugierigen harrten an den rot-weißen Absperrbändern aus, und aufdringliche Berichterstatter der lokalen und internationalen Presse mussten von den Polizeibeamten immer wieder ermahnt werden, jenseits der Absperrungen zu bleiben. Vier Fernsehsender hatten

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