»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig
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Читать онлайн книгу »Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig страница 14
»Halts Maul, Saupreiß«, schrie Toni Hirnthaler zurück und zeigte ihm den Stinkefinger. Als die vierzehn noch immer zu Tode erschreckt und verdattert, aber Gott sei Dank heil auf der anderen Straßenseite angekommen waren, legte Toni Hirnthaler erst richtig los. Seine Worte galten Sepp Melchinger, mit dreiundachtzig der Älteste in der Rentnerband. »Sepp, fängst etz des Spinna an? Warum rennst du mirnixdirnix überd Straß?« Dann richtete er seine Vorhaltungen an den Rest der Truppe: »Und ihr Hornoxn rennts dem Sepp einfach hinterher. Spinnts etz alle? Was isn in eich gfahrn?«
»Du hast doch gsagt, dass mir aufd andre Seitn müassn«, konterte der Rohrmoser Rudi.
»Aber doch erscht an der Fußgängerampel!«, gab Toni Hirnthaler ärgerlich zurück und tippte sich mit dem Zeigefinger mehrmals an die Stirn.
»Des hast net dazu gsagt«, schrie nun auch der immer noch nach Atem ringende Rudi Rohrmoser zurück.
»Genau«, schlug sein Schwager Xaver Bichler in die gleiche Kerbe, »des hast net gsagt, alter Depp.«
»Ruhe, Sakra!« Toni Hirnthaler fuhr aus der Haut. »Noch zehn Minutn, dann semmer da. Und etz reißts eich zam! Zefix luja nochmal!«
12
Das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg hatte vor fünfundzwanzig Minuten seine Pforten geöffnet. Erst drei Besucher hatten an diesem nasskalten Donnerstagvormittag das Gebäude betreten. Parteiverkehr: Mo. – Fr. 08:30 bis 12:00 Uhr stand auf einem Messingschild neben der schmalen Eingangstür zu lesen. Passanten mit aufgespannten Regenschirmen hasteten auf dem Gehweg vor dem Gebäude mit der hellen Steinfassade vorbei und eilten zu ihren Arbeitsplätzen. Auf der Regensburger Straße staute sich der tägliche Berufsverkehr. Der feine Nieselregen glitzerte im Schein der Pkw-Scheinwerfer und die Scheibenwischer der Fahrzeuge huschten über die Windschutzscheiben und gaben die angespannten Gesichter ihrer Fahrer frei, die genervt und entrückt auf die dampfenden Auspuffrohre ihrer Vorderleute starrten. Stop and go, wie jeden Wochentag um diese Zeit. Vor dem Eingang des Konsulats steckten neun wackelige, hüfthohe Metallrohre im Asphalt und dem gepflasterten Gehweg. Sie waren mit durchhängenden, angerosteten Ketten verbunden und sollten so etwas wie eine Absperrung andeuten. Nur rechter Hand, dort wo zwei riesige Plakatwände aufgestellt waren, war das Konsulat ohne Barriere zugänglich. Enjoy More stand auf einer der Werbetafeln zu lesen, auf der eine überdimensionale, blaue Zigarettenschachtel von Pall Mall abgebildet war. Zwischen der Regensburger Straße und der Kettenabsperrung, mitten auf dem Geh- und Fahrradweg, hatte vor zehn Minuten ein Fürther mit Anorak und dunkler Sonnenbrille seinen alten VW Golf, Baujahr 1999 geparkt, war ausgestiegen und weggegangen. Typisch Fürther Autofahrer! Die machen immer, was sie wollten, Autofahren können sie sowieso nicht, diese Deppen. Nachlässig war er auch noch, dieser Fürther Blasarsch. Nicht einmal die Pkw-Türen hatte er richtig geschlossen. Selbst ein Blinder mit Krückstock sah, dass beide Türen auf der Beifahrerseite nicht richtig in ihre Schlösser eingerastet waren. Na ja, wer würde schon so eine alte, grüne Rostlaube klauen? Die beiden Feuerlöscher, die auf dem Rücksitz lagen, waren wohl das Wertvollste an dem ganzen Gefährt. Vierzehn betagte Herrschaften kamen um die Ecke gedackelt und schlurften schnurgerade auf den VW Golf zu, der sich ihnen auf dem Fußgängerweg in den Weg stellte. Sie waren auf dem Weg zur Schloßstraße 1. »Saupreißn«, schimpfte ein Hüne in Lederhose und bayerischem Trachtenjanker und wedelte mit seinem weiß-blauen Rautenmusterschirm, »so was gibt’s z’Minga net. Mei, der alte Kübl wär bei uns scho längst abgschleppt worn.«
Auch Rudi Rohrmoser belferte wie ein tollwütiger Wolpertinger: »Solch alte Kübl gibts in Minga gar nimmer, aber mia san jenseits des Weißwurstäquators, Hirni, quasi in der nördlichen Entwicklungszone unseres bayerischen Freistaates, da derfst du dich net wundern. Schau, selbst die Türn san net abgschlossn.«
Neugierig trat Toni Hirnthaler an den grünen Pkw heran und legte seine Pratze auf den Türgriff der Beifahrertür. »Brauchts an Feuerlöscher?«, rief er in die Runde.
13
Thomas Keller sah zu dem asymmetrisch angeordneten Turm des Leipziger Alten Rathauses empor, welcher das Renaissancebauwerk im Goldenen Schnitt teilte. Er hielt es in der Zentrale der NEL nicht mehr aus. Er musste raus. Raus an die frische Luft. Ungeduldig wartete er auf den Anruf von Bernd Auerbach. Vor einer Viertelstunde hatte er sich unter die Kunden und Touristen auf dem Marktplatz gemischt. Die Angebote der Händler und das Treiben der Touristen und Einkäufer interessierten ihn nicht. Er wartete nur auf drei banale Worte, die in den Telefonhörer einer öffentlichen Telefonzelle am Nürnberger Hauptbahnhof gesprochen werden sollten. Sie würden ihm Gewissheit verschaffen, dass die Sache geklappt hat: »Oh, Entschuldigung, verwählt.« Auf diesen kurzen Satz wartete er voller Ungeduld und Nervosität. Er sah erneut auf seine Armbanduhr. Zehn Minuten nach neun Uhr. Vielleicht war Bernd Auerbach noch auf der Suche nach einer öffentlichen Telefonzelle? Vielleicht waren gerade alle besetzt? Vielleicht war ein unvorhersehbares Ereignis eingetreten, welches die gesamte Angelegenheit verzögerte? Vielleicht war Bernd Auerbach beim Autodiebstahl beobachtet worden und längst verhaftet? Vielleicht …, vielleicht …, vielleicht ... »Entschuldigung der Herr, haben Sie die genaue Uhrzeit?« Thomas Keller war in seiner Gedankenwelt versunken und zuckte nervös zusammen. Ein altes Mütterchen stand vor ihm und sah ihn fragend an. In der rechten Hand hielt sie eine rote Lederleine, an deren Ende ein Spitz hing, der zu ihm aufblickte und freudig mit dem Schwanz wedelte. Sein zotteliges Fell war blütenweiß. Es harmonierte farblich mit der frischen Dauerwelle seines Frauchens. Auch das kleine rote Mäschchen, welches der kleine Kläffer auf seinem Kopf trug, passte im Farbton hervorragend zum Lodenmantel der Alten. Erneut sah Thomas Keller auf seine Armbanduhr. »Es ist jetzt genau vierzehn Minuten nach neun Uhr, meine Dame«, gab er zur Antwort und versuchte seine Nervosität zu unterdrücken.
»Siehst du, Rasputin«, sprach das Frauchen zu ihrem weißen Putzwedel am Ende der roten Hundeleine, »es gibt doch noch höfliche Menschen, richtige Gentlemen.« Rasputin gab wie zur Bestätigung ein heißeres »Wihau« von sich und setzte eifrig sein Schwanzwedeln fort.
Seine Nervosität stieg. Thomas Keller musste daran denken, wie er früher mit solchen Situationen umgegangen war, als sie an der deutsch-deutschen Grenze nachts auf Lauer lagen und darauf warteten, Republikflüchtlinge zu stoppen. Damals, bei der MfS-Elitetruppe, beim Wachregiment Feliks Dzierzynski. Es war eine harte Zeit. Sie hatten jede Menge Arbeit – Stress total. Er erinnerte sich daran, wie schwierig es für ihn war, seine Sympathie für den Nationalsozialismus zu verbergen. Es gab ihn ja offiziell gar nicht. Er wurde totgeschwiegen, obwohl es von Anbeginn der DDR immer kleine Nazigruppen gab, die die Ansichten des Führers verherrlichten. Ab 1983, es war wie eine Explosion, verfünffachten sich plötzlich die Gewalttaten der Rechtsextremen. Ihm war das egal, in vielen Fällen sogar recht. Auch er trug dazu bei, die Taten totzuschweigen. Es sollte eben nicht wahr sein, was nicht wahr sein durfte. So einfach war das. Ließ sich eine rechtsextremistische Tat nicht mehr verheimlichen, so wurde sie eben dem Klassenfeind im Westen zugeschoben oder als krimineller Handlungsakt und nicht als politisch begründet abgetan. Er verstand das manchmal auch nicht. Die Denkweisen