»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig
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»Nein, danke«, antwortete Bernd Auerbach höflich. »Vielleicht das nächste Mal.« Er musste grinsen, wenn er über die Einheimischen nachdachte. Den Fußweg zum nächsten Bierkeller in Neuhaus hatten er und seine Freundin bereits Anfang September längst für sich entdeckt, und sie genossen die kurze Wanderung durch den Wald, um sich auf dem Felsenkeller der Familie Würth niederzulassen und das schmackhafte Kellerbier sowie eine deftige Brotzeit zu genießen. Sie hatten noch nie von einem Bratwurstsalat oder Bratwurst-Schaschlick gehört. Auch der knusprige Krustenbraten war ihnen fremd gewesen. Durch Zufall schlenderten sie in Röttenbach die Schulstraße dorfauswärts entlang und kamen bald zum Neubaugebiet Am Sonnenhang. Riesige Erdbewegungen waren dort zu beobachten. Baumaschinen, Kräne und Bagger waren im Einsatz, als ihnen ein Jogger entgegenkam. »Entschuldigung«, sprach ihn Anna Wollschläger an, »können Sie uns sagen, wohin dieser Weg führt?« Dabei deutete sie in Richtung Westen, raus aus dem Dorf.
»Wenn Sie hier hochgehen«, antwortete der Freizeitsportler und schnaufte dabei wie ein mittelalterlicher Postgaul, »kommen Sie in den Wald. Laufen Sie immer den Hauptweg entlang, bis zu einer Weggabelung. An einem Baumstamm finden Sie ein Hinweisschild, das Ihnen den Weg zum Neuhauser Bierkeller zeigt, ungefähr drei Kilometer von hier.« Er sah auf seine Armbanduhr. »In einer halben Stunde wird geöffnet.« Dann drehte er sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, um und lief wieder davon.
»Dankeschön«, rief ihm Anna Wollschläger nach. Die beiden Sachsen nahmen ihren Weg wieder auf und durchliefen, kurz nachdem die Schulstraße in einen breiten Feldweg übergegangen war, einen Hohlweg, dessen Ränder mit dichten Schlehenhecken und wilden Kirschbäumen bewachsen waren. Immer weiter ging es bergan. Links und rechts des Weges standen nun Getreidefelder. Bald würden die mächtigen Mähdrescher mit ihren riesigen, messerbewehrten Mäulern kommen und sich die satt gewachsenen Ähren einverleiben. Doch noch drang das kräftige Blau der Kornblumen und das tiefe Rot des Klatschmohns aus den Rändern der Getreidefelder. Als die beiden die Anhöhe erklommen hatten, kurz vor dem Waldrand, blieben sie stehen. Rechter Hand erschlossen sich ihnen weite Blicke bis nach Erlangen und Nürnberg. Geradeaus und links konnten sie bis in die hügelige Landschaft der Fränkischen Schweiz sehen. »Schön hier«, entfuhr es Anna Wollschläger. Fasziniert genossen sie weitere fünf Minuten die Schönheit der Landschaft und tauchten bald darauf in den kühlenden Schatten des Waldes ein. Mühelos fanden sie das beschriebene Hinweisschild und ließen sich eine halbe Stunde später auf einer der schattigen Bänke des Bierkellers nieder. »Das nenne ich Lebensqualität«, urteilte Bernd Auerbach, als er den ersten, tiefen Schluck des süffigen und kühlen Kellerbieres zu sich genommen hatte. »Die Franken leben im Paradies«, meinte er. Drei Mal besuchten die beiden Sachsen den Neuhauser Bierkeller in kurzen Abständen.
*
Bernd Auerbach fuhr in einem alten VW Golf, den er in Fürth auf einem öffentlichen Parkplatz aufgebrochen und kurzgeschlossen hatte, das Stadtgebiet von Nürnberg an. Bereits Tage zuvor hatte er sich vergewissert, dass der Parkplatz nicht kameraüberwacht war. Der schwere Rucksack, den er getragen hatte, lag nun auf der Rücksitzbank. Die Kapuze seines Anoraks hatte er vom Kopf gezogen, aber die Sonnenbrille behielt er nach wie vor auf der Nase, obwohl die Sonne selbst überhaupt nicht zu sehen war. Nun fing es sogar leicht zu nieseln an. Seine Hände, welche den Pkw in eine leichte Linkskurve zogen, steckten in feinen Lederhandschuhen. Aufmerksam kontrollierte Bernd Auerbach den rollenden Verkehr vor und hinter sich. Immer wieder wanderten seine Augen auf den Innenspiegel des Pkw. In dieser frühen Morgenstunde war noch nicht viel los auf den Straßen der Stadt. Der Berufsverkehr setzte gerade erst ein und er hatte noch mehr als eine Stunde, um sein Vorhaben auszuführen. Zeit, schnell noch im bunten Treiben der Bahnhofshalle bei McCafé ein Frühstück einzunehmen.
Der warme Kaffee tat ihm gut, und er dachte an seinen ersten Auftrag, den er vor zwei Wochen von Thomas Keller erhalten hatte. Endlich ging es los. Endlich konnte er seinen bescheidenen Beitrag für ein besseres Deutschland leisten. Nun konnte er beweisen, was in ihm steckte, und auch die angemietete Scheune in Röttenbach konnte nun sinnvoll genutzt werden – die Scheune, in die er sich die letzten Tage zurückgezogen hatte und seiner Arbeit nachgegangen war. »Würden die Röttenbacher wissen, was in dem Gebäude gelagert ist«, dachte er sich, »wären sie kaum so umgänglich und hilfsbereit.« Wie weise von Thomas Keller, so einen geräumigen Lager-und Arbeitsraum gleich mit anzumieten. Der plastische C4 Sprengstoff aus den ehemaligen NVA-Beständen, die TNT-Zünder, die Sprengkapseln, die Relais und Handtastaturen, die Metallkugeln, die zwei automatischen Schnellfeuergewehre, die amerikanischen Splitterhandgranaten, die Thomas Keller aus dem Kosovo besorgt hatte, Pistolen und Munition – kurzum alles, was sich zum Kampf gegen die verhassten Ausländer einsetzen ließ und sich im Umzugsgut befand, hatte in der Scheune ausreichend Platz gefunden. Als Ergebnis lagen nun zwei selbstgebastelte Bomben auf dem Rücksitz des alten VW Golfs und warteten auf ihren tödlichen Einsatz. Zwei Feuerlöscher der Marke Gloria steckten in dem Rucksack. Er hatte das Löschpulver sorgfältig entfernt, den Boden sowie die Seitenwände der Behälter mit Blei verstärkt und den verbliebenen Raum mit Stahlkugeln aufgefüllt. Der kittähnliche Sprengstoff, die TNT-Zünder, Relais, Akkus – alles war professionell arrangiert. Sobald er die Zündung auslöste, würden die Metallkugeln an den schwächsten Stellen der Behälter in einem berechneten Sechzig-Grad-Winkel mit einer derartig gewaltigen Zerstörungskraft und Geschwindigkeit nach vorne austreten und verheerende Schäden an Mensch und Material anrichten. So war es geplant, so sollte es sein. Bernd Auerbach freute sich schon insgeheim auf das bevorstehende Feuerwerk. Er sah auf seine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde. Danach würde das Türkische Konsulat nicht mehr das sein, was es im Moment noch war.
*
Während Bernd Auerbach noch an den Resten seines lauwarmen Kaffees nippte, bereiteten sich vierzehn Rentner aus München auf ihren Besuch im Historischen Straßenbahndepot St. Peter in der Schloßstraße 1 vor. Sie waren mit dem Regionalexpress der Deutschen Bahn angereist. Alle hatten in ihrem aktiven Berufsleben mit Schienenfahrzeugen zu tun. Drei von ihnen waren Straßenbahnschaffner gewesen. Auch zwei ehemalige Dampflokomotivführer waren dabei. Fünf hatten bei Krauss-Maffei Elektrolokomotiven montiert. Sie fieberten dem Besuch im Straßenbahndepot entgegen, denn sie hatten ihren Ausflug schon vor Monaten geplant und organisiert. Selbst den Nürnberger Oberbürgermeister hatten sie angeschrieben, damit ihnen ein Sonderbesuchstermin gewährt wurde, denn die öffentlichen Besuchszeiten des Depots waren ausschließlich auf das erste Wochenende im Monat festgelegt. Man konnte die vierzehn durchaus als »Pufferküsser« bezeichnen, als Bahnsexuelle. Nun standen sie vor dem Nürnberger Hauptbahnhof und blinzelten in den jungen Tag. »Pack mers«, rief Toni Hirnthaler in die Runde, »es is net weit, des schaff mer z‘Fuß. Auf gehts! Außerdem san mir eh zfrüh dran.«
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Die vierzehn Rentner aus München waren bereits eine gute Weile unterwegs, als Bernd Auerbach aus dem Südausgang des Bahnhofs trat. Die Kapuze seines Anoraks hatte er wieder bis in die Stirn gezogen. Seine Augenpartie bedeckte die dunkle Sonnenbrille. Schnellen Schrittes überquerte er die Straße Hinterm Bahnhof und lief auf den geparkten VW Golf zu. Bevor er die Fahrertür des gestohlenen Pkws öffnete, sah er sich nach allen Seiten um. Dann schwang er sich auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss,