»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig

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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig

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Motive des schrecklichen Bombenanschlags möglicherweise im Bereich eines persönlichen Rachefeldzuges liegen könnten, welcher einem getöteten Mitarbeiter des Konsulats gegolten haben soll. Warum bei dem Anschlag allerdings weitere neun unschuldige Menschen ihr Leben lassen mussten, nun, diese Frage ist im Moment noch völlig ungeklärt. Die Polizei vor Ort hat für heute um dreiundzwanzig Uhr eine Pressekonferenz anberaumt. Viele Fragen bleiben im Moment noch offen. Wir berichten weiter. Bleiben Sie dran. Und nun schalten wir zurück ins Studio Mainz. Es folgt die Wiederholung der Sendung Die Fischers Froni und der Jägers Toni, aus unserer Serie Der Bergdoktor

      »Glaubst du das mit der palästinensischen Großfamilie?«, wollte die Kunni, sichtlich erschüttert, wissen und schob sich ein Stück Kuchen in den Mund.

      »Könnt scho sein«, antwortete die Retta, »das sind doch sowieso alles Schlaggn und Gauner, die Palästinenser. Wie die scho ausschaua! Mit ihre Bärt und stiere Blick. Zum Fürchtn. Da brauch ich mich doch bloß an den Arafat zu erinnern, mit seinem komischen Kopftuch und den kleinen, listigen Schweinsaugen. Von denen kannst du doch keinem net traun. Das sind doch alle Gangster und Verbrecher.«

      »Aber die bringen doch keine zehn Leut net um, die mit ihnen gar nix zu tun ham. Mirnixdirnix. Am helllichten Tag noch dazu. Also ich glaub des net. Wenns die NSU noch geben tät, dann tät ich sagn, da stecken die dahinter.«

      »Meinst du?«, zweifelte Margarethe Bauer und griff sich ihr zweites Stück Kuchen. »Hast du noch an Kaffee? Ist das die Milde Sorte vo Tchibo? Hast ganz schön stark gmacht. Hoffentlich kann ich heut Nacht schlafen.«

       16

      Nicht nur Ahmet Özkan hatte vor Jahren unfreiwilligen Kontakt mit dem syrischen Geheimdienst, auch die palästinensische Großfamilie Abusharekh in Berlin-Neukölln pflegte rege Beziehungen mit den Glaubensbrüdern, wobei sich diese Aktivitäten jedoch am Rande der Legalität bewegten. Ali, der Familienvorstand, stand politisch dem syrischen Regime und dem Führungsgremium der Baath-Partei sehr nahe. Er unterstützte den 1969 gegründeten Geheimdienst der Syrer, indem er schon so manchen in Deutschland aktiven Regimefeind diskreditiert hatte. Einige unaufgeklärte Morde und Entführungen wären ohne seine Informationsbereitschaft nicht geschehen. Obwohl Ali Abusharekh bei seinen Kontakten sehr vorsichtig war, war ihm der Bundesnachrichtendienst doch auf die Schliche gekommen und hatte auch den Verfassungsschutz informiert. Ali Abusharekh wurde von Zeit zu Zeit observiert, sein Festnetz- und sein Mobiltelefon wurden vom BND abgehört.

      Doch er war ein äußerst vorsichtiger, verschlagener und misstrauischer Mann. Über vertrauliche Angelegenheiten, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt waren, sprach er nie am Telefon. Er zog das persönliche Gespräch außerhalb der eigenen vier Wände vor. Im Notfall benutzte er sein abhörsicheres Satellitentelefon. Nur ganz wenige Menschen kannten die Telefonnummer. Seine Kontakte reichten bis tief in die Türkei hinein, wo noch Hundertausende Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, darauf warteten, bis an die nordafrikanische Küste weitertransportiert zu werden, um ihre ungewisse Überfahrt nach Europa anzutreten. Seine Beziehungen waren aber auch über halb Europa verteilt, und wann immer ein Boot mit Flüchtlingen in Lampedusa oder einem anderen Mittelmeerhafen eintraf, wusste er nach wenigen Stunden, ob Syrer unter den Ankömmlingen waren und welche politischen Ansichten sie vertraten. Der Chef des Familienclans befehligte höchstpersönlich mehrere Schleuserbanden im Nahen Osten, Tunesien und Libyen. Er verdiente am Leid der Flüchtlinge und setzte bewusst ihr Leben aufs Spiel, indem er seine Handlanger anwies, nur alte, verrottete Seelenverkäufer für die Überfahrt zu beschaffen, Boote und Fischkutter, welche den Namen seetüchtig in keinster Weise mehr verdienten. Darauf pferchten seine Leute die hoffnungsvollen Flüchtlinge und ließen sie dann mit den Schleppern in See stechen. Meist in der Nacht und bei jedem Wetter. Circa einhundertdreißig Kilometer waren es von Tunesien, circa dreihundert von Libyen bis nach Lampedusa. Kurz genug, um zu jeder Zeit zu sterben, lange genug, um stundenlange Ängste und Zweifel zu durchleben. Auch im Mittelmeer gab es nicht selten überraschend auftretende, heftige Stürme und Gewitter mit meterhohen Wellen. Einmal, als die Flüchtlinge sich weigerten, auf hoher See auf ein anderes Boot umzusteigen, versenkten die Schlepper kurzerhand das Flüchtlingsboot. Ali Abusharekh erinnerte sich an den Anruf auf seinem Satellitentelefon, damals, vor einem knappen dreiviertel Jahr, als er weit nach Mitternacht mit dem Problem konfrontiert wurde. »Lasst sie absaufen«, hatte er voller Zorn in den Hörer geschrien. Mehr als zweihundert Menschen – Kinder, Frauen und Männer – ertranken elendiglich und qualvoll, als ihr alter Kutter in den Tiefen des Mittelmeers versank. Die Schlepper, welche die Ventile des alten Kahns geöffnet hatten, verhöhnten die wenigen, die noch schwimmend auf der Wasseroberfläche trieben. Bald würden auch ihre Kräfte nachlassen.

      *

      Hinter dem mannshohen Maschendrahtzaun, an dessen oberen Ende drei Reihen Stacheldraht gezogen waren, ragten die langen, dreistöckigen Mannschaftswohngebäude der ehemaligen Polizeikaserne empor. Kein besonders schöner Anblick, diese in Stein errichtete Tristesse und die kahl geteerten Flächen zwischen den langgezogenen Gebäuden. Ein Wohnblock stand aufgereiht neben dem anderen. Es sah aus wie in einem Sammellager, aber das war es ja auch. Das Rote Kreuz hatte zusätzlich riesige Mannschaftszelte zwischen den Gebäuden aufgebaut, manche reichten bis direkt an die Hauswände heran, manche standen in unmittelbarer Nähe des Zauns. Reihen von mobilen Dixie-Toiletten, von Schmeißfliegen umschwärmt, schlossen sich an und stanken vor sich hin. Niemand fühlte sich zuständig, sie zu entleeren. Vor manchen Fenstern der Wohngebäude waren Wäscheleinen gezogen, an denen wenig reizvolle Unterwäsche, Kopftücher und Hemden zum Trocknen hingen. Ein blickdichtes Schiebetor, der offizielle Zugang zu dem Areal, rundete den unappetitlichen Eindruck der Gesamtanlage ab, welche auf ein Aufnahmevolumen von sechshundertfünfzig Asylsuchenden ausgelegt war. Derzeit lebten knapp tausend Flüchtlinge hinter dem Zaun, der die Anlage in einem großen Rechteck umgab. Die Aufnahmestelle platzte aus allen Nähten. Selbst die Kapelle und die Cafeteria waren zu Notunterkünften umfunktioniert worden. Garagen dienten zur Lagerung von allem möglichen Krimskrams, und die im Freien aufgestellten Mannschaftszelte waren auch schon brechend voll. Einhundertzwanzig Männer mussten sich einen Waschraum teilen. Asylanten aus dreißig verschiedenen Herkunftsländern lebten derzeit vorübergehend auf dem Areal der Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Zirndorf an der Rothenburger Straße 31, welches dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem BAMF unterstand. Sie kamen aus Tschetschenien, Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, Ghana, dem Sudan, Uganda und anderen Krisenländern. Die wenigsten von ihnen hatten tatsächlich eine echte Chance, in Deutschland bleiben zu dürfen, und würden über kurz oder lang wieder in ihre Heimat abgeschoben werden. Das galt ganz besonders für die neuen Syrer, die sich seit ein paar Tagen in der Aufnahmestelle aufhielten. Die Leitung der Einrichtung war überfordert und aufs Höchste erbost. Noch versuchten sie herauszufinden, welcher Idiot ihnen die Syrer geschickt hatte. Wo käme man denn hin, wenn denen auch noch Tür und Tor geöffnet würden. Nun ja, jeder von denen hatte die Regeln und rechtsstaatlichen Verfahren zu akzeptieren. Flüchtling hin oder her. Den wenigsten Anträgen lagen wirklich asylrelevante Fluchtgründe zu Grunde. Das war doch jedem klar. Bürgerkrieg hin oder her, politische Verfolgung oder nicht. Was wollten denn die ganzen Ausländer in Deutschland? Sie sprachen die Sprache nicht, hatten kaum eine Chance auf eine Arbeitsstelle und bewegten sich außerhalb ihres beschissenen Kulturkreises. Die konnten doch dem deutschen Staat nicht ewig auf der Tasche liegen? Das galt nicht nur für die syrischen Flüchtlinge. Vielen der BAMF-Mitarbeiter gingen solche oder ähnliche Gedanken durch den Kopf, wenn sie das tägliche Leid wahrnahmen. »Deutschland kann es sich einfach nicht leisten, dass jeder dahergelaufene Ausländer wie die Made im Speck hier leben möchte. Noch dazu im schönen Bayern, dem deutschen Musterland.« So dachten die etwas extremistischer eingestellten Beamten, sprachen aber ihre Gedanken nicht aus. Sie arbeiteten sehr genau, nach allen Vorgaben der Regeln und waren von ihrem Naturell her eher misstrauisch eingestellt. Sie glaubten nur, was sie schwarz auf weiß sahen. Darin hatten sie Erfahrung. Mit Lügengeschichten brauchte man ihnen schon gar nicht zu kommen. Da konnten sie sehr empfindlich reagieren. Überaus empfindlich

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